Vom Literaturkritiker zum politischen Publizisten
Kennern des literarischen Lebens ist er noch gut bekannt, ebenso Lesern des Satiremagazins "Titanic": Walter Boehlich war ein kluger, geradliniger und unabhängiger Publizist. Im S. Fischer Verlag erscheint nun eine 700 Seiten starke Sammlung mit seinen Artikeln.
Kennern des literarischen Lebens ist er noch gut bekannt, ebenso Lesern des Satiremagazins "Titanic". Walter Boehlich (1921- 2006) katapultierte sich 1955 mit einer langen, kenntnisreichen Rezension von Eva Rechel-Mertens' Übersetzung von Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" in den Suhrkamp Verlag. Solch einen Kritiker, soll Peter Suhrkamp gesagt haben, "können wir uns draußen nicht leisten". Nachfolger Siegfried Unseld trennte sich dann 1968 im Streit von Boehlich, der inzwischen Cheflektor geworden war, und dessen Kollegen Karlheinz Braun, Peter Urban, Klaus Reichert und Urs Widmer. Im später sogenannten "Lektorenaufstand" artikulierten sie ihren Willen zur Mitbestimmung. Gemeinsam gründeten die Geschassten den Verlag der Autoren; Boehlich wurde Publizist.
Die Zeiten, in denen zumindest bekannte Kritiker und Journalisten ihre Artikel in einem oder gar mehreren Büchern versammeln durften, sind seit mehreren Jahrzehnten vorbei. Dies sagt mehr über die nachlassende Bedeutung der Kritik und das beschleunigte Veralten ihrer Anlässe aus als über die Texte selbst, wie "Die Antwort ist das Unglück der Frage" zeigt, diese 700-seitige Sammlung von Artikeln Walter Boehlichs. Ob sich der kluge und offenbar bis zur Sturheit geradlinige Mann über die Auswahl gefreut hätte, ist allerdings fraglich; zu Lebzeiten hatte er sie sich verbeten.
Boehlich beginnt als Literaturkritiker. Unbarmherzig geht er mit Übersetzern ins Gericht und lernt dafür auch schon mal Jiddisch. Ebenso unnachgiebig zeigt er sich in Debatten über deutsche Themen und äußert sich fundiert über den Berliner Antisemitismusstreit wie über den Historikerstreit, über die Frankfurter Aufführung von Rainer Werner Fassbinders "Die Stadt, der Müll und der Tod", die deutsche Leitkultur und die Vereinigung.
Aus dem Literaturkritiker wird nach und nach ein politischer Publizist, stets unabhängig links. Das lässt ihn in den 80er-, erst recht in den 90er-Jahren an den Rand rücken. Boehlich veröffentlicht anfangs in vielen Medien, später vor allem in der "Titanic", dem WDR und wenigen anderen. Eindrucksvoll liest sich noch heute, wie Boehlich die bundesdeutsche Verdammung der Stasi als Verdrängungsversuch der NS-Geschichte liest. Oder wie er den beliebten Antisemitismusvorwurf auseinandernimmt, ob ihn nun Joachim Fest, Henry M. Broder oder israelische Politiker äußern.
Nicht wenig allerdings ist in diesem Band nur von historischem Interesse. Es erhellt auch nicht die intellektuelle Physiognomie Boehlichs, dass die Herausgeber Helmut Peitsch und Helen Thein die Aufsätze in 13 Kapitel verzetteln. Weil sie in den Kapiteln wiederum chronologisch ordnen, wird man fortwährend aus späten Jahren in frühe zurückgeworfen. Umso wichtiger wäre es, den Zusammenhang der Texte nachlesen zu können, doch deren knappe Ankündigungen strotzen vor Fehlern und Stilblüten: "Jahre bevor lateinamerikanische Literatur in Isabel Allende vom bundesrepublikanischen Lesepublikum entdeckt zu werden schien, verortete Boehlich den Roman eines kubanischen Autors in der Vielfalt der Literaturen des Subkontinents." Walter Boehlich würde sich im Grabe umdrehen.
Besprochen von Jörg Plath
Walter Boehlich: Die Antwort ist das Unglück der Frage. Ausgewählte Schriften
Herausgegeben von Helmut Peitsch und Helen Thein
Mit einem Vorwort von Klaus Reichert
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011
704 Seiten, 26 Euro
Die Zeiten, in denen zumindest bekannte Kritiker und Journalisten ihre Artikel in einem oder gar mehreren Büchern versammeln durften, sind seit mehreren Jahrzehnten vorbei. Dies sagt mehr über die nachlassende Bedeutung der Kritik und das beschleunigte Veralten ihrer Anlässe aus als über die Texte selbst, wie "Die Antwort ist das Unglück der Frage" zeigt, diese 700-seitige Sammlung von Artikeln Walter Boehlichs. Ob sich der kluge und offenbar bis zur Sturheit geradlinige Mann über die Auswahl gefreut hätte, ist allerdings fraglich; zu Lebzeiten hatte er sie sich verbeten.
Boehlich beginnt als Literaturkritiker. Unbarmherzig geht er mit Übersetzern ins Gericht und lernt dafür auch schon mal Jiddisch. Ebenso unnachgiebig zeigt er sich in Debatten über deutsche Themen und äußert sich fundiert über den Berliner Antisemitismusstreit wie über den Historikerstreit, über die Frankfurter Aufführung von Rainer Werner Fassbinders "Die Stadt, der Müll und der Tod", die deutsche Leitkultur und die Vereinigung.
Aus dem Literaturkritiker wird nach und nach ein politischer Publizist, stets unabhängig links. Das lässt ihn in den 80er-, erst recht in den 90er-Jahren an den Rand rücken. Boehlich veröffentlicht anfangs in vielen Medien, später vor allem in der "Titanic", dem WDR und wenigen anderen. Eindrucksvoll liest sich noch heute, wie Boehlich die bundesdeutsche Verdammung der Stasi als Verdrängungsversuch der NS-Geschichte liest. Oder wie er den beliebten Antisemitismusvorwurf auseinandernimmt, ob ihn nun Joachim Fest, Henry M. Broder oder israelische Politiker äußern.
Nicht wenig allerdings ist in diesem Band nur von historischem Interesse. Es erhellt auch nicht die intellektuelle Physiognomie Boehlichs, dass die Herausgeber Helmut Peitsch und Helen Thein die Aufsätze in 13 Kapitel verzetteln. Weil sie in den Kapiteln wiederum chronologisch ordnen, wird man fortwährend aus späten Jahren in frühe zurückgeworfen. Umso wichtiger wäre es, den Zusammenhang der Texte nachlesen zu können, doch deren knappe Ankündigungen strotzen vor Fehlern und Stilblüten: "Jahre bevor lateinamerikanische Literatur in Isabel Allende vom bundesrepublikanischen Lesepublikum entdeckt zu werden schien, verortete Boehlich den Roman eines kubanischen Autors in der Vielfalt der Literaturen des Subkontinents." Walter Boehlich würde sich im Grabe umdrehen.
Besprochen von Jörg Plath
Walter Boehlich: Die Antwort ist das Unglück der Frage. Ausgewählte Schriften
Herausgegeben von Helmut Peitsch und Helen Thein
Mit einem Vorwort von Klaus Reichert
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011
704 Seiten, 26 Euro