Vom Mausarm bis zum Burnout

Von Stephanie Kowalewski |
Zehn Stunden oder mehr vor dem Rechner – für EDV-Spezialisten im Berufsalltag ist das keine Seltenheit. Dass damit aber auch gesundheitliche Risiken einhergehen, wird in der Computer-Szene, die sich selbst gern als jung, dynamisch und belastbar betrachtet, gerne übersehen. Einseitige körperliche Belastungen und Dauerstress können zu massiven Beschwerden führen.
Der Zeigefinger krümmt sich leicht, übt ein wenig Druck auf die Maustaste aus und entspannt sich wieder. Keine große Sache, doch die Menge macht’s. Ein Bildschirmarbeiter macht diese kleine Bewegung mehrere hundert Mal am Tag und dann können die Mausklicks große Probleme bereiten, sagt der Facharzt für Arbeitsmedizin Reinhard Böffel.

"Ja zunächst kommt es zu Reizungen, klassisches Beispiel Schmerz, es kann aber auch zu Missempfindungen kommen, wie Elektrizitätsgefühl, so Kribbeln. Dann gibt es natürlich auch noch Gelenkbeschwerden. Da gibt es ein Krankheitsbild, das nennt man RSI abgekürzt, Repetitiv Strain Injury, das heißt durch sehr starke Bewegungen entstehen Belastungen im Handgelenk und im Ellenbogengelenk, insbesondere der Sehnenscheiden."

Mit so einem RSI-Syndrom oder Mausarm, wie der Volksmund es nennt, kann dann sogar das Heben einer Kaffeetasse zur Tortour werden. Der Arbeitsmediziner rät frühzeitig einen Arzt aufzusuchen, denn sonst können die Beschwerden chronisch werden oder gar bleibende Schäden an Gelenken hinterlassen.

Außerdem kann es hilfreich sein, öfter mal die Tastatur statt der Maus zu nutzen und Handballenunterlagen zu verwenden. Und ganz wichtig: immer wieder kleine Pausen einlegen, mal aus dem Fenster schauen und die Sitzposition ändern. Das, sagt Reinhard Böffel, ist auch ganz wichtig für die Augen, denn die leiden ebenfalls unter der vielen Bildschirmarbeit.

"Wenn sie sehr starr auf den Bildschirm schauen besteht die Gefahr, dass man die Augen künstlich offen lässt. Man merkt das nicht, das geschieht im Unterbewusstsein. Und dadurch werden Tränenflüssigkeiten zu wenig produziert und dadurch kommt es zu diesen brennenden, trockenen Augen, unter Umständen auch zu Kopfschmerzen."

Betroffen sind all jene, die regelmäßig viele Stunden am Computer arbeiten, wie etwa Call-Center-Mitarbeiter, Schreibkräfte und Programmierer. Die Bildschirme werden zwar immer strahlungsärmer und haben eine bessere Auflösung, doch gleichzeitig erhöht sich die Zeit, die wir vor der Computermattscheibe verbringen stetig. Das frisst den Fortschritt der Technik dann fast wieder auf.

Nach der PC-Arbeit im Büro retuschieren wir in der Freizeit unsere digitalen Schnappschüsse am Computer, surfen im Internet oder spielen eine Partie Fußball gegen die brasilianische Nationalmannschaft. Und das alles meist an nicht ergonomisch gestalteten Arbeitsplätzen. Das kann fatale Folgen haben:

"Durch langes Sitzen kommt es zu Zwangshaltungen, zur Verspannung der Rückenmuskulatur, einmal im Halswirbelsäulenbereich und im Lendenwirbelsäulenbereich. Deswegen empfiehlt der Arbeitsmediziner einen Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen. Also keine einseitige, lange Körperhaltung."

Optimal ist ein höhenverstellbarer Schreibtisch und ein Stuhl, der sich individuell einstellen lässt und den Rücken besonders in der Lendenwirbelsäule stützen. Doch selbst der ergonomisch perfekte PC-Arbeitsplatz kann krank machen haben Anja Gerlmaier und Erich Latniack vom Institut für Arbeit und Technik, IAT, in Gelsenkirchen herausgefunden. Sie wollten wissen, wie gesund die Arbeit von IT-Spezialisten eigentlich ist. Also gingen sie in Firmen und erforschten den Arbeitsalltag und die Arbeitsbelastung der Computerspezialisten.

"Und haben da halt festgestellt, dass von der gesundheitlichen Situation her diese Beschäftigtengruppe ein viermal höheres Risiko zum Beispiel hat an Burnout zu erkranken. Wir haben auf der anderen Seite festgestellt, dass sehr viele IT-Fachleute auch ein deutlich erhöhtes Risiko haben an Rückenschmerzen, Nackenschmerzen zu leiden, an Magenbeschwerden beziehungsweise sehr viele dieser Mitarbeiter leiden auch an Schlafstörungen und an Nervosität."

Das Ergebnis überraschte ein wenig, sagt Anja Gerlmaier.

"Weil Burnout wird eigentlich in erster Linie assoziiert mit Pflegeberufen. Man ist früher davon ausgegangen, dass Burnout bei Leuten entsteht, die sich zuviel emotional engagieren in ihrem Job und keine ausreichende Wertschätzung für ihre Arbeit, die sie tun, zurückerhalten, und das dadurch quasi der Prozess des sich Entleerens entsteht. Das ist natürlich bei IT-Arbeit so nicht gegeben, weil in erster Linie findet ja eine Interaktion mit dem Computer statt."

Belastend ist hier vielmehr, dass die Arbeitsanforderungen oft widersprüchlich sind und die Programmierer eigentlich ständig unter Zeitdruck arbeiten. Häufig müssen sie Dinge, die sie schon erledigt waren, ändern und überarbeiten. Die Folge sind ausgebrannte, völlig überlastete IT-Spezialisten. Und die sind zumindest zum Teil selbst Schuld daran, sagt Erich Latnika vom IAT.

"Und es ist schwierig, das Leuten zu vermitteln, die genau auf so eine Leistungsorientierung selber ausgerichtet sind. Wir haben nämlich das Problem, dass diese Leute alle hochmotiviert sind, selber leistungsorientiert arbeiten und sich selber auch wenig Grenzen geben."

Genährt wird diese Haltung auch durch Bilder von so genannten Startup-Firmen. In leicht chaotischen Lofts lümmeln sich da meist junge Männer auf Bürostühlen, die Füße auf dem Schreibtisch, tippen sie lässig Softwareprogramme in den Laptop auf ihrem Schoß. Im Hintergrund hippe Musik, es wird gelacht und rund um die Uhr gearbeitet.

"Das ist quasi als Leitbild propagiert worden und ein bisschen leidet die ganze Branche heute noch drunter, dass dieser Jugendlichkeitswahn da immer noch dominiert. Also die Schwierigkeit ist tatsächlich, dass es eigentlich notwendig ist, nach Belastungsphasen sehr schnell auch abzuschalten und was ganz anderes zu machen. Also wir propagieren vor allem, dass Wochenendeinsätze runtergefahren werden."

Das gilt auch für den Arbeitsalltag. Erich Latniak empfiehlt, immer wieder mal kleine Pausen einzulegen.

"Wenn sie entspannter arbeiten können und sich selber auch die Pausen gönnen, sind sie leistungsfähiger. Das wird oft verkannt und es ist auch ein Know-how was in den Unternehmen nicht verankert ist."