Bahn schlägt Auto
Früher ein trauriges Stück Schiene, heute sind die Pendlerzüge in den Stoßzeiten immer proppenvoll. Denn seit es Direktverbindungen vom Odenwald in die Mainmetropole gibt, steigen viele Autofahrgemeinschaften auf die Bahn um.
Mit einem pfeifenden Signal warnt der Lokführer der Odenwaldbahn an einem unbeschränkten Bahnübergang die Fußgänger. An der alten Trasse der Bahn, die aus dem Mittelgebirge Richtung Ballungsraum Rhein-Main führt, ist längst nicht jeder Überweg gesichert. Dafür war in den letzten Jahrzehnten kein Geld da, ebenso wenig wie für die Elektrifizierung. Dennoch ist der Triebwagen, der eine knappe Minute nach dem Warnpfiff am Bahnsteig hält, ein modernes Fahrzeug – mit Dieseltreibstoff statt mit Strom betrieben.
Einstieg. Das Wageninnere ist hell und freundlich, großzügige Panorama-Fenster geben den Blick auf die sanften Hügel des vorderen Odenwaldes nicht weit von Darmstadt frei.
Berufspendler Carsten Schieck, der aus dem Odenwald-Städtchen Reinheim zu seinem Arbeitsplatz in einem Frankfurter Verlag unterwegs ist, hat heute einen Sitzplatz ergattert – das gelingt nicht immer:
"Es fehlen ein zwei Wagen, man kennt die Zeiten schon, es ist jetzt dieser Zug, der immer sehr, sehr voll ist. Aber ansonsten – sie sehen ja, selbst wir haben jetzt Sitzplätze. Ich bin auch schon ein paarmal gestanden nach Frankfurt, das macht natürlich keine Spaß. Aber im Großen und Ganzen, es passiert sehr selten, insofern ist es auch kein Problem."
Carsten Schieck ist seit gut einem Jahrzehnt ein Fan der Odenwaldbahn. Sie hat ein Streckennetz von etwa mehr als 200 Kilometern. Betrieben wird die Strecke von der VIAS GmbH, einem Konsortium aus der nordrhein-westfälischen Rurtalbahn, an der auch der Kreis Düren beteiligt ist, sowie den dänischen Staatsbahnen.
Zeitersparnis und keine Parkplatzprobleme
Entscheidend war, dass der neue Betreiber der Odenwaldbahn vor einem Jahrzehnt Direktverbindungen aus dem Odenwald nach Frankfurt am Main in den Fahrplan aufnahm, die die alte Bundesbahn nie angeboten hatte. Jahrzehntelang mussten Berufspendler aus dem Odenwald immer in Darmstadt umsteigen, wenn sie nach Frankfurt wollten. Damit war die Bahn für viele unattraktiv, das hat sich nun mit den Direktverbindungen in die Mainmetropole entscheidend verändert, versichert Carsten Schieck. Manche Autofahrgemeinschaften aus dem Odenwald stiegen auf die Bahn um.
"Ja, einige. Die Direktverbindung macht halt viel aus. Das war für viele der Grund, warum sie dann Fahrgemeinschaften aufgelöst haben und jetzt alle mit der Bahn unterwegs sind. Weil: Zeitersparnis, keine Parkplatzprobleme in Frankfurt, man hat ja nicht immer einen Parkplatz direkt dabei, wenn man irgendwo bei einem Arbeitgeber in der Innenstadt ist. Und auch die Kosten: Mit dem Benzinpreisanstieg, da haben ein paar natürlich auch rechnen können, das es besser ist mit der Bahn zu fahren."
Die Monatskarte kostet Carsten Schieck 178 Euro.
Für den grünen hessischen Verkehrsminister Tarek Al Wazir ist die Odenwaldbahn inzwischen ein Beleg dafür, dass auch Autopendler auf die Bahn umsteigen, wenn das Angebot stimmt.
"Die Odenwaldbahn ist ein schönes Beispiel, was da in kurzer Zeit möglich ist. Die war vor 15 Jahren ein trauriges Stück Schiene mit unglaublich vielen Langsam-Fahrstellen, mit einem völlig unattraktiven Material, die alten 'Silberlinge' der DB sind da gerollt und man kam nicht vor und nicht zurück und dementsprechend ist auch kaum einer damit gefahren."
Das hat sich in der Tat radikal geändert – gerade die Pendlerzüge in den Stoßzeiten sind nun seit Jahren immer proppenvoll, freut sich der Minister.
"Die Strecke wurde saniert, sie wurde neu ausgeschrieben, die VIAS hat das gewonnen, hat neues Material angeschafft und die Fahrgastzahlen sind in sehr kurzer Zeit deutlich nach oben gegangen, weil das Angebot sehr viel attraktiver geworden ist beziehungsweise erstmals wirklich attraktiv war und ich sage immer: Jeder, der da drin sitzt, steht nicht auf der Straße und deswegen müssen auch die eingefleischesten Autofahrer, die größten Fans zugeben: Wenn die Leute nicht im Zug sitzen, dann stehen sie auf der Straße und dann geht nichts mehr."
Entlastung des Wohnungsmarkts durch Pendler
Die Odenwaldbahn verlässt auf ihrem Weg Richtung Frankfurt den Bahnhof Darmstadt-Nord, passiert das große Fabrikareal des Chemiekonzerns Merck mit rund 9000 Beschäftigten. Weil hier viele der Odenwald-Pendler ausgestiegen sind, ist die Bahn auf ihrem letzten Abschnitt Richtung Frankfurt am Main bereits ein wenig leerer geworden. Fast alle Fahrgäste, die bisher stehen mussten, finden jetzt einen Sitzplatz. Bis zum Hauptbahnhof Frankfurt am Main wird der Zug nun nicht mehr halten. Er ist damit auf diesem Abschnitt deutlich schneller, als es je ein Auto sein könnte. Das bestätigt auch Berufspendler Carsten Schieck:
"Ja, allein bis ich durch Darmstadt durch bin, ob ich jetzt südlich von Darmstadt auf die A5 fahre oder mich durch Darmstadt quäle, da brauche ich fast schon die Zeit, die ich jetzt hier für die Direktfahrt brauche."
Die schnelle Verbindung, die die Odenwaldbahn nun aus dem Mittelgebirge in den Rhein-Main-Ballungsraum bietet, führt auch dazu, dass jetzt Menschen aus abgelegenen Orten im Odenwald täglich pendeln, die früher wegen zu langer Wege in den Ballungsraum gezogen wären. Das beobachtet Carsten Schieck.
"Ja gut, wenn man morgens sieht, von woher die Leute überall kommen, die jetzt nach Frankfurt pendeln. Der Einzugsbereich von Frankfurt hat sich damit natürlich nochmal vergrößert in dieser Region. Es kommen viele aus Richtung Reichelsheim, die nach Reinheim kommen, den Park and Ride nutzen und dann nach Frankfurt zur Arbeit fahren."
Mit dem Auto braucht man aus dieser Ecke des Odenwalds bis in die Frankfurter Innenstadt etwas mehr als eine Stunde, wenn es keinen Stau gibt. Den gibt es aber ziemlich oft. Mit dem Zug ist man von Reinheim aus in 45 Minuten am Rand des Bankenviertels. Eine Zeit, die man täglich bewältigen kann. Man muss also nicht unbedingt in die Stadt ziehen. Damit trägt die Odenwaldbahn ihren Anteil zur Entspannung am Wohnungsmarkt der Mainmetropole bei. Alles in allem schreibt die Bahn in diesem Fall tatsächlich eine Erfolgsgeschichte aus der Sicht der Pendler.