Vom Rauswurf zum Start-Up

Moderation: Liane von Billerbeck |
Vor etwa einem Jahr hatte der neue Verleger der "Münsterschen Zeitung" der kompletten Redaktion gekündigt und sie durch eine jüngere Mannschaft ersetzt. Die Rausgeworfenen konterten den Vorwurf mangelnder Innovationsfreude mit einem neuen Projekt: ein lokales Internetmagazin für Münster. Inhalte dafür gebe es mehr als genug, sagt der Redakteur Stefan Clauser.
Liane von Billerbeck: Sie arbeiten in einer tiefkatholischen Stadt, in Münster nämlich, und guten Glauben brauchen sie auch, die Redakteure des Online-Magazins www.echo-muenster.de. Vor einem Jahr war ihnen von ihrem Verleger Knall auf Fall gekündigt worden, und die Redaktion wurde durch junge Redakteure ersetzt. Mangelnde Innovationsfreude, lautete damals der Vorwurf. Genau die aber haben die alten Hasen inzwischen gezeigt und etwas Einmaliges begonnen, ein Lokalblatt im Internet nämlich, www.echo-muenster.de, und wie das funktioniert, darüber will ich jetzt mit Stefan Clauser sprechen, einem der Redakteure. Schönen guten Tag!

Stefan Clauser: Schönen guten Morgen!

von Billerbeck: Das muss so eine Art schwarzer Freitag gewesen sein, als Ihnen damals vom Verleger die Nachricht übermittelt wurde: Ihr könnt alle gehen. Wie haben Sie diesen Moment in Erinnerung?

Clauser: Na ja, mit der Formulierung "schwarzer Freitag" treffen Sie den Nagel auf den Kopf. Das hat uns natürlich erst mal den Teppich unter den Füßen weggezogen, zwar gab es bei uns im Kollegium durchaus Beobachtungen und Befürchtungen, die angedeutet haben, dass da was im Schwange ist. Dass es aber zu der Komplettkündigung der gesamten Redaktion kommen würde, damit hatte natürlich keiner gerechnet, und das hat uns erst mal einigermaßen rat- und hilflos zurückgelassen.

von Billerbeck: Wie waren denn die Reaktionen in Münster auf diesen Akt?

Clauser: Die Reaktionen in Münster waren aus unserer Sicht wirklich überwältigend. Wir haben unzählige, wirklich, das darf man so formulieren, unzählige Solidaritätsbekundungen aus der Bevölkerung, aus der Leserschaft erfahren. Wir haben eine Solidaritätsparty kurz nach dem 19. Januar veranstaltet, zu der Hunderte von Menschen kamen aus allen relevanten Gruppen und aus Parteien und überhaupt aus der gesamten Stadtgesellschaft Münsters, und wir zehren von diesem Zuspruch auch bis heute noch. Das ist in jedem Gespräch spürbar, in dem wir in der Stadt auftreten.

von Billerbeck: Hat denn das, was der Verleger der alten Redaktion da angetan hat mit der Entlassung, eigentlich Auswirkungen gehabt auf die "Münstersche Zeitung", also, haben die Leute ihre Abos abbestellt? Das passiert ja manchmal ganz schnell, wenn man eingeschnappt ist als Leser oder Dinge nicht teilt, die Entscheidungen, die da getroffen werden.

Clauser: Ja, genauen Einblick haben wir da natürlich nicht, aber es darf schon als gesichert gelten, dass der Auflagenverlust bei den Abonnenten die Erwartungen oder das Kalkül des Verlegers Lensing-Wolff aus Dortmund maßgeblich überschritten hat, man munkelt, bis um das Zehnfache. Aber das ist natürlich in Zahlen schlecht zu fassen, weil das ein gut gehütetes Geheimnis des Unternehmens bleibt.

von Billerbeck: Wenn Sie sich daran erinnern, dann war das erst mal ein Schock: Alle erfahren, ihr seid jetzt hier weg und ihr könnt hier nicht mehr arbeiten bei der "Münsterschen Zeitung". Wie ging das dann weiter? Wie kam es denn zu dieser Idee mit einer Online-Lokalzeitung? Das ist ja nun nicht etwas, worauf man gleich kommt.

Clauser: Na ja, die Idee ist eigentlich aus der Überlegung geboren, dass wir uns mit der Frage beschäftigen mussten, wie füllen wir die Zeit in einer Transfergesellschaft, in die etwa die Hälfte des seinerzeit freigesetzten Kollegiums gewechselt ist, wie füllen wir die Zeit in dieser Transfergesellschaft sinnvoll? Es bleibt also letztendlich pro Arbeitnehmer ein Jahr, das ihm zur Verfügung steht, sich weiterzuqualifizieren und wenn möglich in neue Arbeit vermitteln zu lassen, und für uns stand relativ schnell fest, dass wir uns auf dem Online-Markt orientieren müssen. Das wird einem einfach deutlich, wenn man sich mit Stellenausschreibungen befasst, das ist eine Qualifikation, die heute im Journalismus einfach nachgefragt wird und für uns als etwas in Ehren ergraute Redakteure, die - zumindest die Hälfe - die 50 schon überschritten haben, gilt es wirklich, jede Chance zu nutzen. Also haben wir uns ein Konzept überlegt, das unter Beteiligung eines Partners, einer Medienagentur hier aus Münster, genau dieses Ziel erfüllte, nämlich eine Qualifikation zum Online-Redakteur zu schaffen.

von Billerbeck: Und dann haben Sie quasi gesagt, okay, wenn wir das jetzt schon lernen, dann wollen wir es auch praktisch anwenden und jetzt machen wir mal so eine Online-Zeitung.

Clauser: Genau. Das war letztendlich dann die Überlegung im zweiten Schritt, bei der wir dann auch erfreulicherweise auf offene Ohren gestoßen sind, sowohl bei der Transfergesellschaft, der wir inzwischen angehören, als auch vor allen Dingen bei der Agentur für Arbeit, die ja die entsprechenden Fördermittel bereitstellen musste.

von Billerbeck: Nun sind ja Lokalzeitungen auch etwas für ältere Leute, Sie haben gesagt, das Redaktionsteam gehört auch nicht mehr zu den 20-Jährigen, aber gerade ältere Leute, jedenfalls von der jetzigen älteren Generation, da sind ja noch viele dabei, die ihre Probleme mit dem Internet haben. Lesen die Sie denn online?

Clauser: Ich darf das mal mit einer kleinen Anekdote beantworten. Wir haben just letzte Woche eine Rückmeldung aus einem Seniorenwohnheim hier in Münster bekommen, dass also da an den beiden oder drei vernetzten Rechnern, die da vorhanden sind, "Echo Münster" erstens als Startseite eingerichtet ist, zweitens aber auch viel frequentiert wird von den älteren Leuten, auch diskutiert wird, also insofern ... Das ist sicherlich nicht repräsentativ, aber ich glaube, dass man mit einem derartigen Angebot, wie wir es machen, zunehmend auch ältere Leute erreicht. Und bei Älteren würde ich auch noch mal unterscheiden, ich sage mal, die 65-, 70-Jährigen hier in Münster, die sind ...

von Billerbeck: Die sind noch so fit ...

Clauser: Die sind absolut internetaffin, also, das nimmt doch zu.

von Billerbeck: Glauben, ich habe es schon erwähnt, ist ja in so einer tiefkatholischen Stadt wie Münster so eine Art täglich Brot. Wie tief ist denn Ihr Glauben an den Erfolg Ihrer Internetseite?

Clauser: Das ist gut gefragt. Natürlich ist der groß, ohne jeden Zweckoptimismus, wir sind der Überzeugung, dass ein Angebot, wie wir es hier unterbreiten - Lokalzeitung im Internet oder besser gesagt lokales Magazin im Internet - eine sichere Zukunft haben dürfte. Die Frage ist: Wie schafft man es, sich wirtschaftlich so aufzustellen, um ein tragfähiges Betreibermodell für so ein Angebot hinzukriegen?

von Billerbeck: Das heißt, wie viele Anzeigen bekommt man auf diese Seite.

Clauser: Das heißt es auf gut Deutsch, weil Abosysteme im Internet nach unserer Überzeugung sicher keine Zukunft haben.

von Billerbeck: Nun haben Sie sich ja entschlossen, sich ganz auf die Lokalberichtserstattung zu beschränken, das heißt, die Ereignisse der großen Welt, die bleiben draußen. Reicht Ihnen das, und reicht das Ihren Lesern?

Clauser: Ob es unseren Lesern reicht, wird sich zeigen. Uns, das kann ich sagen, reicht es auf jeden Fall.

von Billerbeck: Ist genug los in Münster?

Clauser: Es ist genug los und es gibt auch genug zu tun, also, wir bearbeiten sechs lokale Subressorts und haben, weil wir auch bislang nicht auf die Mitwirkung oder nicht maßgeblich auf die Mitwirkung freier Mitarbeiter zurückgreifen können, das, was wir hier schreiben, alles - wie man so schön sagt - mit der Hand selber zu schreiben. Das ist ein relativ anspruchsvolles Arbeitsprogramm, das uns eigentlich auch fulltime fordert.

von Billerbeck: Man hört das Telefon im Hintergrund klingeln, also wir sind in einer Lokalredaktion, das ist ganz klar. Wenn die Förderung in einem Dreivierteljahr ausläuft, gibt es dann schon Ideen, was dann?

Clauser: Konkrete Ideen nicht. Was es gibt im Moment, sind Gespräche, wir führen insbesondere auch in engem Kontakt mit unserem Maßnahmenträger, muss man jetzt etwas geschwollen sagen, also mit der Medienagentur, mit der wir zusammenarbeiten, da basteln wir an Ideen, wie man ein Betreibermodell auf die Beine stellen kann, also sozusagen den Nachfolgebetreiber für "Echo Münster", wenn die Transferzeit beendet ist. Da stehen wir am Anfang der Gespräche, das wird sich sicherlich auch noch einige Zeit hinziehen und - gut, dann wird es im Spätherbst, spätestens zur Jahreswende wird es dann wirklich spannend, denn dann gilt herauszufinden, ob wir diese tragfähige Lösung finden oder nicht.