Vom Schlager bis zur Oper
Im Jahre 1889 haben sich in Ulm die Bäcker zu einer Innung zusammengeschlossen. Nur zwei Jahre später bekamen sie Lust, zusammen zu singen. So ist vor 120 Jahren der Bäckermeister-Gesangsverein entstanden. Den Chor gibt es heute noch.
Helmut Zimmermann, der Chorleiter sucht im Notenschrank nach den Liedern für die Probe heute. Drei Hängeregister voller Musikstücke.
"Also wir haben also alles im Repertoire vom Schlager bis zur Oper, Operette. Ist also alles vorhanden, was man sich so denken kann. Zum Beispiel Matrosenchor 'Fliegender Holländer', lateinische Sachen, kaukasisches Volkslied. Jagd und Wein, golden Western Songs, sind also sehr, sehr alte Sachen dabei."
Die Sänger kommen gemächlich aus der Gaststätte herüber in die kleine Gymnastikhalle des Ulmer Eisenbahnsportklubs. Linoleumfußboden, Rauputz, Holzdecke. Hier singen sie jeden Dienstag. Nach und nach sinken alle auf die gepolsterten Stühle vor dem Klavier, manche noch mit einem Weizenbier in der Hand.
"So! Es geht los ... oder?"
Kein Warmsingen, keine Stimmbildung. Wenn die Noten verteilt sind, geht's los.
"Segen der Arbeit, Treue dem Lied.
Wir dienen dem Volk, wir schaffen das Brot.
Wir singen das Lied vereint im Chor."
Der Bäckersegen, eine Hymne an das Handwerk. Im ersten Bass singt Karl Betz, jetzt 74 Jahre alt. Als junger Bäckergeselle kommt er schon in den Chor. Damals, so 1960 rum. Sein Vater ist damals der Vorstand des Gesangsvereins.
"Und der hat gesagt: `Da gehst du mit.´ Da ist man zwar ein wenig widerwillig `gangen, in dem Alter. Aber im Lauf der Jahre ist man da natürlich `neigwachse. Und heut möchte man es halt nicht mehr vermissen. Gell? Man sieht seine Freunde, sieht, wie man mi'tnander alt wird und mit´nander noch schön singen kann."
Karl Betz ist längst im Ruhestand, sein Sohn führt jetzt den Bäckerbetrieb, einen der größten in Süddeutschland. Über 200 Mitarbeiter in 44 Filialen. Ein Großbäcker.
Helmut Wind im Tenor dagegen betreibt eine kleine Bäckerei auf dem Dorf: Nur er und ein Geselle. Eigentlich sind sie Konkurrenten - aber hier im Bäckerchorder Innung singen sie auf Augenhöhe:
"Der Gesangverein bindet das Untereinander, das Miteinander in der Innung. Und ich bin überzeugt, wenn der Gesangverein nicht mehr da ist, dann ist auch der Zusammenhalt nicht mehr da. Weil, das wöchentliche Miteinander ist eigentlich das Prägende."
Alle 22 Betriebe der Ulmer Bäckerinnung unterstützen den Chor. Bezahlen den Chorleiter, die Saalmiete, die neuen Noten.
Karl Betz: "Mir singen halt einfache Sachen, die schnell ins Gehör gehen. Für mich ist das das Wichtigste, dass der Chorleiter ein 'Kerle' ist, der wo halt zu uns passt. "
Reiner Zimmermann ist offensichtlich so ein "Kerle". 1987 hat der nebenberufliche Dirigent den Bäckerchor übernommen und findet seitdem die richtigen Stücke und den rechten Ton:
"'"Alles recht und gut, aber keine leise Tanzmusik. Also ein bissel leiser bitte, wenn´s geht. Bissle zärtlicher sein ... (übertreibt) 'Ich hab das Glück bestellt für heute Abend' – isch´n Scheiß. Also ein bissle lockerer das Ganze.
Und: Es ist schon ein bissle eine Leistung da – ganz klar – aber wir sind ein geselliger Gesangverein, der natürlich auch in der Öffentlichkeit präsentieren kann. Wenn´s drauf ankommt, singen die also sehr gut, muss ich sagen. Ist also einer von den guten Chören im Ulmer Bereich.""
Auf Hochzeiten, zu Geburtstagen, auf Beerdigungen singt der Bäckerchor. Auf Stadt-Festen. Und immer drei Lieder zu Beginn der Jahreshauptversammlung der Innung. Oder auf Bäckerausstellungen. Zehn bis zwanzig Auftritte im Jahr, auch auswärts.
"Görlitz, beim Sängertreffen von den Fleischern und von den Bäckern, in Kassel, in Hannover, in Berlin. In Düsseldorf haben wir schon gesungen, in München haben wir schon gesungen. Und Wien war einfach einmalig, also Wien war schön."
Am liebsten singen die Männer in Kirchen, weil die Akustik ihre Stimmen gut zur Geltung bringt. Zum jährlichen Erntedankgottesdienst ist der Chor bei den Pfarrern der Gegend sehr gefragt, weil die Bäcker neben den Kirchenliedern auch schönen Altarschmuck aus Brot mitbringen.
Nur der Nachwuchs fehlt. Zwar hat man vor ein paar Jahren fünf Metzger vom Fleischersingchor aufgenommen, aber die waren auch schon im Rentenalter. Und die Idee, Frauen aufzunehmen, gemischter Chor werden – abgelehnt!
"Da streiken wir, da machen wir nicht mehr mit."
Aber wie können sie dann junge Sänger begeistern?
Helmut Wind: "Die möchten was Fetziges, was Modernes und ich glaube, dass es sich erst wieder normalisiert, mit den jungen Leut´, wenn man was anderes singt."
Die Probe ist zu Ende. Alle stehen auf und tragen die Stühle weg. Der Notenwart sperrt die Musikstücke in den Schrank. Es ist grade mal 21 Uhr, Bäcker gehen früh schlafen.
"Also wir haben also alles im Repertoire vom Schlager bis zur Oper, Operette. Ist also alles vorhanden, was man sich so denken kann. Zum Beispiel Matrosenchor 'Fliegender Holländer', lateinische Sachen, kaukasisches Volkslied. Jagd und Wein, golden Western Songs, sind also sehr, sehr alte Sachen dabei."
Die Sänger kommen gemächlich aus der Gaststätte herüber in die kleine Gymnastikhalle des Ulmer Eisenbahnsportklubs. Linoleumfußboden, Rauputz, Holzdecke. Hier singen sie jeden Dienstag. Nach und nach sinken alle auf die gepolsterten Stühle vor dem Klavier, manche noch mit einem Weizenbier in der Hand.
"So! Es geht los ... oder?"
Kein Warmsingen, keine Stimmbildung. Wenn die Noten verteilt sind, geht's los.
"Segen der Arbeit, Treue dem Lied.
Wir dienen dem Volk, wir schaffen das Brot.
Wir singen das Lied vereint im Chor."
Der Bäckersegen, eine Hymne an das Handwerk. Im ersten Bass singt Karl Betz, jetzt 74 Jahre alt. Als junger Bäckergeselle kommt er schon in den Chor. Damals, so 1960 rum. Sein Vater ist damals der Vorstand des Gesangsvereins.
"Und der hat gesagt: `Da gehst du mit.´ Da ist man zwar ein wenig widerwillig `gangen, in dem Alter. Aber im Lauf der Jahre ist man da natürlich `neigwachse. Und heut möchte man es halt nicht mehr vermissen. Gell? Man sieht seine Freunde, sieht, wie man mi'tnander alt wird und mit´nander noch schön singen kann."
Karl Betz ist längst im Ruhestand, sein Sohn führt jetzt den Bäckerbetrieb, einen der größten in Süddeutschland. Über 200 Mitarbeiter in 44 Filialen. Ein Großbäcker.
Helmut Wind im Tenor dagegen betreibt eine kleine Bäckerei auf dem Dorf: Nur er und ein Geselle. Eigentlich sind sie Konkurrenten - aber hier im Bäckerchorder Innung singen sie auf Augenhöhe:
"Der Gesangverein bindet das Untereinander, das Miteinander in der Innung. Und ich bin überzeugt, wenn der Gesangverein nicht mehr da ist, dann ist auch der Zusammenhalt nicht mehr da. Weil, das wöchentliche Miteinander ist eigentlich das Prägende."
Alle 22 Betriebe der Ulmer Bäckerinnung unterstützen den Chor. Bezahlen den Chorleiter, die Saalmiete, die neuen Noten.
Karl Betz: "Mir singen halt einfache Sachen, die schnell ins Gehör gehen. Für mich ist das das Wichtigste, dass der Chorleiter ein 'Kerle' ist, der wo halt zu uns passt. "
Reiner Zimmermann ist offensichtlich so ein "Kerle". 1987 hat der nebenberufliche Dirigent den Bäckerchor übernommen und findet seitdem die richtigen Stücke und den rechten Ton:
"'"Alles recht und gut, aber keine leise Tanzmusik. Also ein bissel leiser bitte, wenn´s geht. Bissle zärtlicher sein ... (übertreibt) 'Ich hab das Glück bestellt für heute Abend' – isch´n Scheiß. Also ein bissle lockerer das Ganze.
Und: Es ist schon ein bissle eine Leistung da – ganz klar – aber wir sind ein geselliger Gesangverein, der natürlich auch in der Öffentlichkeit präsentieren kann. Wenn´s drauf ankommt, singen die also sehr gut, muss ich sagen. Ist also einer von den guten Chören im Ulmer Bereich.""
Auf Hochzeiten, zu Geburtstagen, auf Beerdigungen singt der Bäckerchor. Auf Stadt-Festen. Und immer drei Lieder zu Beginn der Jahreshauptversammlung der Innung. Oder auf Bäckerausstellungen. Zehn bis zwanzig Auftritte im Jahr, auch auswärts.
"Görlitz, beim Sängertreffen von den Fleischern und von den Bäckern, in Kassel, in Hannover, in Berlin. In Düsseldorf haben wir schon gesungen, in München haben wir schon gesungen. Und Wien war einfach einmalig, also Wien war schön."
Am liebsten singen die Männer in Kirchen, weil die Akustik ihre Stimmen gut zur Geltung bringt. Zum jährlichen Erntedankgottesdienst ist der Chor bei den Pfarrern der Gegend sehr gefragt, weil die Bäcker neben den Kirchenliedern auch schönen Altarschmuck aus Brot mitbringen.
Nur der Nachwuchs fehlt. Zwar hat man vor ein paar Jahren fünf Metzger vom Fleischersingchor aufgenommen, aber die waren auch schon im Rentenalter. Und die Idee, Frauen aufzunehmen, gemischter Chor werden – abgelehnt!
"Da streiken wir, da machen wir nicht mehr mit."
Aber wie können sie dann junge Sänger begeistern?
Helmut Wind: "Die möchten was Fetziges, was Modernes und ich glaube, dass es sich erst wieder normalisiert, mit den jungen Leut´, wenn man was anderes singt."
Die Probe ist zu Ende. Alle stehen auf und tragen die Stühle weg. Der Notenwart sperrt die Musikstücke in den Schrank. Es ist grade mal 21 Uhr, Bäcker gehen früh schlafen.