Vom Schlager zum modernen Musiktheater

Von Holger Hettinger · 20.08.2010
Moslem, Jude, Christ: Der 40-jährige Komponist Samir Odeh-Tamimi ist ein wenig von allem. Seine jüngste Komposition, die theatralische Erzählung "Leila und Madschnun", ist ein eindringlicher Bericht über den Zusammenhang von Liebe und Wahnsinn.
"Ich bin ein bisschen Moslem, ich bin ein bisschen Jude, ich bin ein bisschen Christ, ich bin ein bisschen… - also ich komme aus Palästina, aus Israel."

Jemand, der so etwas sagt, den nennt man in kulturbeflissenen Kreisen gerne einen "Wanderer zwischen den Kulturen". Samir Odeh-Tamimi würde angesichts einer solch erhabenen Formulierung sein feines, weises Lächeln aufsetzen, und darüber nachdenken, was da schon wieder in ihn hineininterpretiert wird. Wanderer, das sind die Leute mit den Trekkingschuhen und der schrillen Funktionskleidung. Samir Odeh-Tamimi wandert nicht.

Er erforscht, freut sich über Fundstücke und neue Eindrücke, lässt sich überraschen, berühren. Der 40-jährige Komponist hat genug Hinterland und kosmopolitische Bildung, um die verschiedenen Kulturen in ihren Eigenheiten und Kontexten zu erfassen. Das macht das Gespräch mit dem Musiker auch so interessant: Er ist keiner jener Apologeten, deren Botschaft darin besteht, dass alle Menschen irgendwie gleich sind. Sondern jemand, der zum Kern vordringen möchte, das Fremdartige aus sich selbst heraus verstehen möchte.

Zu seiner Biografie hat Odeh-Tamimi ein herrlich entspanntes Verhältnis. Sein Umzug nach Europa, nach Griechenland: Zufall. Die Weiterreise nach Deutschland? Zufall. Und auch sein erster Kontakt zur Musik:

"Auch Zufall, da kam eine Lehrerin in die Schule, wollte Blockflöte unterrichten, da habe ich mich gemeldet, wie viele andere Kinder. Und von 500 Kindern sind wir nur zu zweit geblieben, und zum Schluss dann ich alleine. Und immer wieder tauchten Menschen auf, die mich an die Hand genommen haben – und das war für mich dann auch eine Selbstverständlichkeit."

Es folgen erste Erfahrungen am Keyboard, der Kontakt mit Volksmusik und mit arabischen Schlagern. Zusätzlich verschlingt Odeh-Tamimi die großen Sinfonien und Konzerte europäischer Komponisten. An der Bremer Musikhochschule kommt er – aus Zufall, was sonst? – in die Klasse der koreanischen Komponistin Younghi Pagh-Paan. Sie lehrt ihn, die kompositorischen Traditionen seiner Heimat aufzugreifen und mit seiner Begeisterung für die europäische Avantgarde zu mischen. In über 30 Kompositionen hat er dieses Spannungsfeld ausgelotet – mit hochintensiven Resultaten.

Seine jüngste Komposition, die theatralische Erzählung "Leila und Madschnun", erzählt vom berühmtesten Liebespaar des islamischen Kulturkreises: Keine süßliche Romeo-und-Julia-Erzählung, sondern der eindringliche Bericht über jemanden, dem die Liebe seines Lebens genommen wird – und der durch den Verlust fast wahnsinnig wird:

"Also, jeder, der die Geschichte liest, merkt sofort: Er war wirklich verrückt! Also, jemand, der sich zurückzieht von der Menschheit, lebt mit den Tieren, schmeißt dann auf die Menschen mit Steinen, die in die Nähe kommen, solche Sachen."

Service:
"Leila und Madschnun" von Samir Odeh-Tamimi hatte als Uraufführung auf der Ruhrtriennale Premiere und ist noch mehrere Male im der Bochumer Jahrhunderthalle zu sehen.
Mehr zum Thema