Wenn sich die Klingen kreuzen
Schon in der Renaissance entwickelten sich erste Fechtgesellschaften. Zu einer Sportart wurde Fechten 1862 - es entstand der erste deutsche Fechtclub in Hannover. Wir gehen der Geschichte des Fechtens bis heute nach.
"Ich bin Edgar, zehn Jahre alt. Ich mochte so altertümliche Fechtfilme: 'Die drei Musketiere', 'Fluch der Karibik', und dann habe ich einfach geguckt, wo es Fechten gibt."
"Ich habe mal ein Buch gelesen, da ging es um Mädchen und die konnten sehr gut fechten und da hat mich die Neugier gepackt. Ich bin Mara und ich bin neun Jahre alt."
"Ich heiße Marit, ich bin elf Jahre alt und ich mag halt so Fantasy-Bücher und -Filme. Ich lese jetzt gerade 'Herr der Ringe' und da fechten die auch immer und dann habe ich halt mit Fechten angefangen."
Mara: "Eigentlich ist es schon anstrengend."
Edgar: "Man hat eben sehr viel Muskelkater, also, nach dem Training."
Mara: "Aber es macht halt Spaß!"
Jeden Freitag treffen sich Marit, Edgar und Mara zusammen mit 15 anderen Kindern ihres Alters in einer Berliner Schulsporthalle zum Training der Fechtgemeinschaft Rotation.
Leander: "Es macht auch einfach Spaß, weil man mit einem Schwert umgehen kann, also, mit einem Florett, was man ja sonst nicht kann. Jemanden zu treffen, dass sich keiner weh tut."
Florett, Säbel und Degen
Marit: "Man hat Schutzkleidung, also nicht eine alte Rüstung oder so, sondern richtige Schutzkleidung."
Leander: "Die Fechthose, dann gibt es noch so eine Unterziehweste, Fechtsocken, die Maske, ein Körperkabel, damit alles mit Strom ist und die Elektroweste."
Fechtsocken und Handschuhe hat Leander selbst, die übrigen Sachen wie auch die Waffen stellt der Verein, kostenlos.
Edgar: "Es gibt drei verschiedene Waffen beim Fechten: Einmal das Florett, den Säbel und den Degen, aber wir lernen hauptsächlich Florett und später können wir uns dann entscheiden, welche Waffe wir noch lernen."
Nachdem sich die Kinder erwärmt haben, ziehen sie sich ihre Fechtkleidung an und die elektrischen Trefferanzeigen werden aufgebaut. Was ist das Wichtigste beim Fechten?
Leander: "Mein Spruch ist beim Fechten: In der Abwehr liegt der Angriff! Also, man soll nicht immer drauf los stechen, sondern man sollte auch aufpassen, dass man keine Treffer kriegt."
Das Kindertraining der Fechtgemeinschaft Rotation Berlin wird ehrenamtlich betreut.
Maximilian: "Man braucht halt viel Disziplin, weil es relativ streng ist. Man nimmt nicht sofort die Waffe in die Hand, sondern man lernt erstmal die Grundlagen. Die Kinder sind dann häufig gelangweilt und die, die das dann wirklich wollen und später technisch sauberer werden wollen, die bleiben dann auch, tendenziell mehr Jungen."
Demnächst macht Soe ihren Trainerschein
Maximilian ist 20 Jahre alt und ficht seit sieben Jahren im Verein. Als Co-Trainer hat er eine eigene Anfängergruppe und gibt an die Kinder weiter, was er im Verein gelernt hat.
Maximilian: "Die Mädchen bilden dann immer so eine kleine Gruppe, teilweise ist es ein Drittel, manchmal sind es fast gar keine Mädchen. Die stellen sich das schon ein bisschen anders vor. Man kriegt auch blaue Flecke."
Soe: "Alle Mädels, die bei uns starten, die haben wirklich was im Kopf und sind so selbstbewusst und wollen was. Und dann ist es natürlich auch gut für die Haltung, Du musst auch immer gerade sein."
Soe betreut mit Maximilian zusammen diese Gruppe. Demnächst macht sie ihren Trainerschein, aber auch danach wird sie kein Honorar für das Training der Kinder nehmen. Im Fechtverein Rotation gibt es keine bezahlten Trainer. Ein Grund für die niedrigen monatlichen Mitgliedsbeiträge: 5 Euro für Kinder und 10 für Erwachsene.
Soe: "Das ist hier eine sehr familiäre Atmosphäre. Vor kurzem ist einer meiner Jungs von den Kleinen da zu mir gekommen, meinte, dass wir die einzige Institution sind, wo er gerne hingeht, weil in der Schule wird er gemobbt und zu Hause geht es ihm auch nicht so gut, aber hier fühlt er sich immer zu Hause, und das fand ich ganz schön."
Mara: "Ich habe erst die Vereinsmeisterschaften mit gefochten und na ja, war nicht so gut. Aber immerhin bin ich 3. Platz geworden."
Meisterhau und Zornhau
Zuckschwert: "Der Grundschlag, der Angriff ist dieser: Ich habe einen normalen Oberhau, ich treffe, Tod! Jetzt wäre die Möglichkeit, sie pariert es mit diesem Meisterhau, mit dem Zornhau und bedroht mich gleichzeitig und kann jetzt stechen. Bin ich wieder tot."
Fünf Männer und eine Frau stehen sich paarweise gegenüber. Mit beiden Händen schwingen sie ihre Langschwerter beim historischen Fechten. Die schartigen Klingen kreuzen sich, gleiten aneinander ab und erheben sich zu erneutem Schlag auf die Waffe des Gegners. Oder auf seinen Leib? Die taktischen Bewegungsabläufe von Angriff und Verteidigung, die so genannten Fechtzeiten folgen mittelalterlichen Regeln der Fechtkunst.
Zuckschwert: "Das Vor ist immer der Angriff, der Vorschlag, das Nach ist immer, wenn ich angegriffen werde, muss ich darauf reagieren, und das Indes ist das Reagieren während ich angegriffen werde, während ich mich versuche, aus meinem Nach, diesem Nachteil zu manövrieren."
Grundlage des Trainings im Twerchau e. V. sind Fechtbücher aus dem Mittelalter und der Renaissance. Für einen Mitgliedsbeitrag von 10 Euro im Monat kann man alte Kampftechniken verstehen, erlernen und natürlich auch vorführen. Dazu gehören der Zweikampf mit dem Dolch, der Mordaxt und dem Langen Schwert.
Ariane: "Also beim Langen Schwert, das wird ja mit zwei Händen geführt."
Ariane ist über den Hochschulsport zum historischen Fechten gekommen:
"So schwer sind die gar nicht. Sie können auch gerne mal eins in die Hand haben, wenn Sie das wollen."
Gefühlte zwei Kilo, bei einer Länge von 1,20. Eine martialisch anmutende Waffe, die jedes Knabenherz höher schlagen ließe. Doch zum Schwertraining muss man volljährig sein.
"Blaue Flecke sind normal"
Ariane: "Meine Arme tun nach dem Training auch nicht mehr weh. Aber ich bin auch relativ trainiert, sagen wir es mal so."
Mit Oberarmen wie die eines Boxers.
Ariane: "Blaue Flecke sind normal. Heute habe ich, glaube ich auch schon was abgekriegt. Also, man sollte nicht Angst haben getroffen zu werden oder sich zu verletzen. Natürlich soll man das auch mit Bedacht ausüben. Dazu haben wir ja auch die Schutzrüstung an."
Fechtmaske, Hals- und Brustschutz, Eishockeyhandschuhe. Im Prinzip ist der ganze Körper eingerüstet. .
Ariane: "Mir persönlich hier im Verein geht es darum, einen Freikampf mal mitzumachen. Das würde ich als langfristiges Ziel für mich schon sagen, dass ich darauf Lust hätte."
Zuckschwert: "Es gibt inzwischen auch internationale Turniere, nicht nur mit anderen Vereinen."
Benjamin Zuckschwert ist der Übungsleiter des Schwerttrainings:
"In so einem Turnier ist schon durchaus ein bisschen Heftigkeit dabei. Angedeutet wird das nicht, so ein Schlag, den spürt man dann auch. Jegliche getroffene Stelle am Körper zählt. Man kämpft zur damaligen Zeit auch schon bis zum ersten Blut. Das höhere Blut gewinnt dann, und das höchste Blut ist immer die Kopfwunde oder die Wunde am Scheitel. Da hätten wir dann wirklich die höchste Stelle des Körpers erreicht. Da wir natürlich selbst nicht bis aufs Blut kämpfen wollen, sondern uns freuen, wenn wir unseren Trainingspartner das nächste Mal wieder begrüßen können ohne Wunden, ist das natürlich nicht so.
Trotzdem kann es bei einem Freikampf schon ordentlich zur Sache gehen. Nichts für Dimitri:
"Ich bin auf der Suche nach der Methode, mir der ich alt werden möchte, die mich jung halten soll ..."
Er ist 49 Jahre alt:
"... und ich denke, ich habe es hier gefunden."
20 Kilo schwerer Metallpanzer
Wenn andere Jungen früher die Indianerhaube aufsetzten, zog er schon damals lieber eine Rüstung an:
"Ich würde es für mich so sagen, ich will mich selbst besiegen. Arschbacken zusammenkneifen und trotzdem noch eine Runde mehr laufen. Das Schwert in der Hand oder auch die Rüstung, wenn ich sie dann an habe, ist für mich nur noch der Kick oben drauf, das Spielkind."
Seine Rüstung trägt Dimitri bei Showkämpfen auf Mittelalterevents. Außer im Sommer, wo er sich schon ohne Feindberührung, allein durch das Tragen des 20 Kilo schweren Metallpanzers außer Gefecht setzte und in sich zusammenbrach.
Mirko: "Mit Helm, mit Schulterplatten, mit einer Brustplatte oder einem Kettenpanzer ..."
Mirko ist 20 Jahre jünger als Dimitri und etwas härter im Nehmen:
"... Plattehandschuhe, dann noch Beinzeug, aus auch aus Metall besteht. Und wer sich den Luxus gönnen will, kann man sich auch Plattenschuhe sich noch dazu holen."
Hier im Twerchau e. V. macht er sich fit für die Auftritte mit seiner Showkampftruppe:
"Da legen wir Wert, dass es halbwegs einheitlich ist von der Epoche, da muss es schon stimmig sein, nicht, dass jemand mit irgendetwas aus der Renaissance oder dann was aus dem frühen Mittelalter, sondern, da muss es schon stimmig sein."
Wie man auch rein folkloristisches Fechten verachtet. In der Choreografie der Showkämpfe will Mirko dicht an den überlieferten Vorlagen der historischen Kampfkunst bleiben:
"Welche Epoche, wie viel Kette, wie viel Platte? Ja, macht schon Spaß! Ist auf jeden Fall auch ein anderes Fechten."
Die Verteidigung des Stammes
Nimscholz: "Die ersten Schwerter, die aufgetaucht sind, sind eigentlich Bronzeschwerter, die sind in der Bronzezeit aufgetaucht, die hatten sicherlich auch einen rituellen Charakter und waren aber eigentlich für den Kampf da."
Clemens Nimscholz ist von Beruf Informatiker. Er ist so etwas wie das historische Gewissen des Schwertfechtervereins, ein Experte auf dem Gebiet der mittelalterlichen Kampfkünste:
"So ein Schwert ist erstmal eine reine Kampfwaffe, die kann man zu nichts anderem verwenden. Man sagt halt immer, dass die nicht zum Hieb verwendet wurden, weil die halt einfach zu bruchgefährlich waren, dass die vor allem für den Stich eingesetzt wurden, für die Verteidigung des Stammes, vielleicht auch um Rivalitäten im Stammesoberhaupt auszukämpfen. Die waren relativ kurz, so vielleicht 60 Zentimeter."
Von gleicher Länge wie das römische Kurzschwert, der beidseitig geschliffene Gladius. Ein Legionär kann damit auch im dichtesten Kampfgewühl zuschlagen und stechen. Im Einzelnahkampf außerhalb der geschlossenen Formation ist der Gladius allerdings weniger vorteilhaft. Der von Germanen und Kelten stammende Spatha hat eine Länge von etwa einen Meter und ersetzt auch bei den Römern nach und nach den kurzen Gladius.
Der Spatha mit seiner etwa 5 Zentimeter breiten Klinge wird aus einfachem Stahl geschmiedet und verbreitet sich im frühen Mittelalter auf allen Schlachtfeldern. Noch das Ritterschwert des 12. Jahrhunderts unterscheidet sich kaum von dieser spätantiken Blankwaffe. Nur die Klinge verjüngt sich zur Spitze hin, es ist länger und somit noch wirkungsvoller für den Kampf Mann gegen Mann.
Eine Spirale in der Waffenentwicklung
Nimscholz: "Ich denke, dass der Zweikampf von Anfang an einen relativ ritualisierten Charakter hatte, da man immer auch einen göttlichen Beistand erwartet hat. Also, eigentlich haben immer auch die Götter die Entscheidung getroffen, wie man dachte. Zurück in das frühe Mittelalter bei den Wikingern oder Germanen ist auch überliefert, dass zum Beispiel die Kampfplätze eingehaselt wurden. Das heißt, da wurden extra Haselstäbe in die Erde gemacht und der Hasel war dem Gott Tyr zugeordnet. Und der Gott Tyr war der Richtgott gewesen, der Gott der Schlacht und des Zweikampfes und auch der des Rechts."
Schon damals gab es eine Spirale in der Waffenentwicklung. Neue Angriffswaffen erforderten eine effektivere Verteidigung und umgekehrt. Bis ins 12. Jahrhundert trägt man relativ leichte Rüstungen wie das Kettenhemd. Die Pfeile der Armbrust entwickeln aber mittlerweile eine derartige Durchschlagskraft, dass die Rüstungen zu schweren Plattenpanzern weiterentwickelt werden. Sie sind durch Hiebe der breiten Klingen nur schwer zu bezwingen. Wieder werden die Schwerter länger. Mit knapp anderthalb Metern und schlankeren Klingen können sich diese so genannten Anderthalbhänder in die Plattenrüstung des Gegners bohren oder diese aufbrechen.
Nimscholz: "Hier haben wir das lange Schwert. Zum Beispiel auch für das Duell wurde es eingesetzt. Wir haben auch später dann schon die ersten Versportlichungen, im 16. Jahrhundert, da wurde es auch viel eingesetzt, obwohl es dann eher Federn waren, die waren auch wesentlich dünner von der Klinge her und flexibel gewesen."
Erlernt wird der Zweikampf in zunftähnlich organisierten Fechtbruderschaften, doch nur für Männer, die überhaupt das standesmäßige Recht haben, eine Waffe zu tragen. Die Kampfkunst wird von privilegierten Meistern gelehrt und gilt als Handwerk zur Selbstverteidigung und zur Verteidigung der Ehre. Doch die Kämpfer üben sich auch schon in quasi sportlichem Zweikampf.
Nimscholz: "Die Regeln waren ganz einfach, gewonnen hat derjenige, der dem Anderen die höhere Platzwunde verpasst. Das heißt, wenn wir beide gefochten haben und Sie haben mir auf der Wange eine Platzwunde verpasst und ich Ihnen auf der Stirn, dann habe ich gewonnen. Dann ist man raus, hat sich verbinden lassen, ist wieder rein und hat weiter gemacht mit dem Nächsten."
Ab 1600 durchschlagen die Geschosse der aufkommenden Feuerwaffen die schweren Rüstungen. Sie werden damit überflüssig. Kein Plattenpanzer, wozu dann noch das Langschwert? So werden die Blankwaffen wieder kürzer. Der Degen setzt sich mit seiner schmalen Klinge durch. Wenn auch als Waffe nicht mehr kriegsentscheidend, im Gemenge des Nahkampfs ist er das geeignete Instrument zum Abstechen des Gegners. Für den zivilen Gebrauch wird der Degen aber noch leichter. Um sein Hab und Gut vor Banditen zu schützen oder beim Streit in der Schänke, reicht eine noch schmalere Klinge wie beim für den Stoß optimierten Rapier.
Degen und Rapier werden die klassischen Duellwaffen dieser Zeit – wir befinden uns in der Epoche des Frühbarock, der Maler Rubens, Rembrandt und Velázquez. Das Duell kommt regelrecht in Mode. Tausende Adlige und Offiziere bringen sich bei der Verteidigung ihrer Ehre gegenseitig um. Dabei sterben mittlerweile mehr Offiziere als auf den Schlachtfeldern. Das Duell wird unter Todesstrafe gestellt und kann nur noch im Verborgenen stattfinden. Dennoch wird bis ins 19. Jahrhundert weiter um die Ehre gefochten. Offiziell zwar verboten, müssen Offiziere in Österreich-Ungarn sogar mit ihrer Entlassung rechnen, wenn sie ein Duell verweigern, weil sie damit Ehrgefühl und Pflicht eines Offiziers verletzen.
Fechten auf der Theaterbühne
Borho: "Also, im Duell wäre das so, dass wir stehen, und der Eine fängt an."
Hier wird nicht für das gegenseitige Abstechen trainiert, sondern für eine Theateraufführung.
Borho: "Im szenischen Fechten sind wir vorsichtiger, da fragen wir, bist du bereit?"
Gerd Borho schlägt mit seinem Degen leicht an die Waffe einer Studentin.
Borho: "Unser Anfang ist eben sanft, und sie ist dann bereit und dann geht's erst richtig los. Sie muss machen den Stoß, parieren und noch mal stoßen. Das ist ihre Aufgabe."
Der Diplomfechtmeister unterrichtet Theaterfechten an der Charlottenburger Schauspielschule in Berlin. Hier wird gerade eine Choreografie für ein Duell einstudiert.
Borho: "Der Standard heißt jetzt: Sixt, Stoß, Parade, Sixt, Stoß. Ich muss jetzt diesen Angriff immer abwehren, denn sie stößt ja nicht hier, sondern sie will mich hier treffen und da kann ich mit der Sixt nichts anfangen, da brauche ich das Pendant, das ist die Quart. Verstanden? Ja?"
Dariah Dönch versteht das, denn sie ficht schon fast zwei Jahre an der Schauspielschule:
"Das ist eine Choreo, die wir einstudiert haben, ein Schlagabtausch. Also, Schwerpunkt liegt auf Schlägen in dem Teil. Es trainiert gut – erstmal, weil man sich auf den Partner einstellen muss. Also, es gibt die Choreografie, was einem eine Sicherheit gibt, aber es ist trotzdem so, dass jeder unterschiedlich ficht und einen unterschiedlichen Rhythmus hat."
Jeder Schlag und Schritt, jede Abwehr sind genau einstudiert, dennoch bewegen sich Studentin und ihr Trainer wie bei einem frei improvisierten Gefecht.
Borho: "Beim szenischen Fechten ist alles choreografiert. Das ist auch der Riesenunterschied zum Sportfechten. Beim Sportfechten will ich treffen, mache ich kleine Bewegungen, so dass der Andere nicht weiß, was ich will. Im Szenischen Fechten mache ich die Bewegungen so groß mit Auftakt, damit der Zuschauer sofort weiß, jetzt passiert was."
Das Theaterfechten ist eine Form des szenischen Fechtens. Auch in jedem "Mantel-und-Degen-Film" folgen die Kampfszenen einer exakten Choreographie. Es gibt sogar internationale Meisterschaften im szenischen Fechten. Gerd Borho nimmt daran mit seiner eigenen Fechttruppe teil:
"Wir denken uns ein Stück aus, was dann eben zu einem Duell führt, was aber auch historisch auch in irgendeiner Form belegbar ist bzw. was da rein passt. Also, die Meisterschaften im szenischen Fechten basieren auf diesen zwei großen Dingen: Technik und Arte. Wir haben also drei Kategorien: Das Eine ist Moyen Age, das ist alles, was vor dem 16. Jahrhundert ist, also, zurück in die Steinzeit, wenn man so möchte. Dann haben wir Grande Siècle, die hohe Fechtkunstzeit, das ist also 16. bis 19. Jahrhundert und alles, was das da nicht reinpasst, ist Fantasy."
Die fünf Schauspielstudenten proben für den Semesterabschluss eine Szene aus einem der bekanntesten Degenromane der Weltliteratur. Mit Alexandre Dumas befinden wir uns im Jahrhundert der hohen Fechtkunst.
Borho: "Wir machen eine Wirtshausszene. Er schikaniert seine Frau und seine Tochter und die sind ziemlich aufmüpfig. Dann kommen die Musketiere, die sitzen dann schon da und die greifen dann ein, also es gibt dann ein wüstes Gebalge nachher."
Der richtige Moment für den Angriff
Fechtlehrer: "Eins, zwei, genau!"
Mittwochs trainieren die Jugendlichen und Erwachsenen der Fechtgemeinschaft Rotation.
Fechtlehrer: "Dann kriegst du ihn nicht zu fassen ..."
Der älteste Fechter ist 77 Jahre alt.
Die elektrischen Anzeigen piepsen bei jedem Treffer der Klinge auf den Gegner.
Fechtlehrer: "Richtig ausstoßen, gleich hinterher, das ist der richtige Moment für den Angriff!"
Doch nicht jeder Treffer zählt. Gefochten wird in den drei Wettkampfartenarten Florett, Degen und Säbel. Äußerlich ähneln die Waffen einander. Unterschiedlich sind aber die gültigen Treffer. Bei der jeweiligen Waffe zählen nur Stich oder Hieb auf bestimmte Körperregionen.
Hempelmann: "Das ist das Florett. 'Floret' ist das Blümchen, das kommt also aus dem Französischen."
Marianne Hempelmann ficht seit einem halben Jahrhundert im Verein Rotation:
"Die haben also diese so genannte Brokatweste darüber an, und nur wenn ich auf diese Jacke treffe, dann ist der Treffer gültig."
Sie gewann mehrmals die Bronzemedaille bei den Senioren-Weltmeisterschaften. 2013 wurde sie sogar Weltmeisterin mit der Damenflorett-Mannschaft:
"Das Florett ist also die leichtere Waffe. Die Länge der Klinge ist überall gleich, ist 90 Zentimeter. Aber beim Degen ist von der Maske bis zur Fußspitze alles Treffer. Da ist auch die Glocke größer, weil auch die Hand Trefffläche ist."
Beim Degen zählt jeder Treffer mit der Klingenspitze. Beim Florett hingegen bekommt nur der den Punkt, der zugleich auch angegriffen hat.
Hempelmann: "Und die dritte Waffe ist das, was die beiden jetzt dort machen, das ist der Säbel."
Weiße Sportart wie Segeln und Tennis
Fechtlehrer: "Säbel ist dynamischer, weil es hauptsächlich eine Hiebwaffe ist. Und Säbel kommt eigentlich dem Rapierfechten näher. Das hatten die Musketiere und die Fechttechniken, das sah mehr nach Säbelfechten aus."
Beim Säbel gelten nicht nur Stiche, sondern auch die Hiebe des Angreifers an Kopf und Oberkörper als Treffer. Blaue Flecke bleiben da, trotz Schutzkleidung nicht aus.
Hempelmann: "Der Säbel ist eigentlich die Grundwaffe, wenn man so will. Wie wenn die Kinder sagen, so, jetzt gehe ich drauf los, jetzt haue ich zu. Viele Kinder denken, wenn sie zu uns zum Fechten kommen, jetzt können sie da so rumfuchteln und rumschlagen."
Bei Wettkämpfen wird in mehreren Runden jeweils auf fünf Treffer in drei Minuten gefochten.
Angriff oder Finte, Parade und Riposte, also, sofortiger Gegenangriff und schließlich Treffer erfolgen blitzschnell. Es ist kaum vorstellbar, wie die Kampfrichter bei den ersten Olympischen Spielen in Athen 1896 nur per Augenschein über einen Treffer entscheiden konnten. Die elektrische Trefferanzeige wurde erstmals beim Degenfechten bei den Spielen 1936 eingesetzt.
Hempelmann: "Und so kurz vor der Wende fingen sie dann auch an, dass Säbel elektrisch gefochten wurde. Das ist auch die Waffe, wo zuletzt die Frauen fechten durften. Also, ganz früher als ich anfing, da gab es für die Frauen nur Florett. Und olympisch für die Frauen, glaube ich, ist der Säbel jetzt knapp zehn Jahre, würde ich denken."
Bei Wettkämpfen treten die Geschlechter getrennt voneinander an. Doch im Training ficht man durchaus gegeneinander. Konstantin macht das schon seit vier Jahren im Verein:
"Was ich behaupten würde, ist, dass die Frauen immer ein bisschen sauberer, also, mit mehr Technik fechten würden. Die Männer eher so ein bisschen, einfach drauf gehen, ja bisschen aggressiver sind, aber ich glaube, später ist da echt kein Unterschied mehr."
Der Fechtsport gehört zu den so genannten Weißen Sportarten wie Segeln und Tennis. Zum Fechten hatten über lange Zeit nur die gehobenen Gesellschaftsschichten Zugang. Im DDR-Betriebssportverein Rotation kostete der Mitgliedsbeitrag in den 50er-Jahren 80 Pfennige.
Die Jungen lernen von den Alten
Hempelmann: "Und deshalb hat sich natürlich gerade auch im Ostteil, ja, wie soll man sagen, das war normal alles, war für jeden zugänglich, egal, wo man herkam, was man für Geld verdient hat oder aus welcher Klasse man kam, war für alle gleich. Aber solche Vereine wie Grunewald oder der Berliner Fechtklub, die hatten schon so einen bestimmten Standard gehabt und haben sicher nicht alle reingelassen."
Die meisten Vereine aus dem Osten mussten nach der Wende aufgeben. Rotation hat überlebt. Vielleicht, weil es hier schon immer solidarisch zugeht. Die Jungen lernen von den Alten. Man verzichtet auf bezahlte Trainer. Waffen und Kleidung stellt der Verein, bis man sich eine eigene Ausrüstung leisten kann und deren Reparatur übernehmen die Mitglieder. Der monatliche Beitrag von zehn Euro ist auch nur möglich, weil in Berlin Sportvereine keine Gebühr für die Nutzung von Schulsporthallen bezahlen müssen.
Hempelmann: "Die jungen Leute, die müssen jetzt härter werden und die kommen jetzt abends und dann suchen die sich − gehen die rum und sagen, kannst du mit mir was machen, wollen wir jetzt fechten, auf fünf Treffer, auf zehn Treffer? Oder sagen, Mensch zeige mir mal, ich komme nicht zurecht damit, kannst du mir das noch mal zeigen? Warum funktioniert dies nicht und jenes nicht? So läuft das."
Soe: "Lothar, zum Beispiel, ich glaube, der ist jetzt 77, und der hat heute mit mir Lektion gemacht und hat gesagt, guck mal Soe, weil ich hab schon ewig nicht mehr gegen Linksfechter gefochten, und das ist noch was anderes. Und er macht das immer noch, und ich glaube, es war auch das Erste, was er zu mir gesagt hat: Diesen Sport kannst du so lange machen, bis du mit den Beinen zuerst aus der Halle rausgetragen wirst."