Vom Segen niedriger Zinsen

Euro-Münzen: Zinsrenditen weit oberhalb des Wirtschaftswachstums sind auf Dauer illusorisch.
Euro-Münzen: Zinsrenditen weit oberhalb des Wirtschaftswachstums sind auf Dauer illusorisch. © picture alliance / dpa
Von Thomas Fricke |
Viel zu lange waren die Renditen auf Finanzanlagen so attraktiv, dass Investoren ihr Geld lieber in das x-te Derivat steckten, als es einem Mittelständler oder Start-up zu geben, sagt der Ökonom Thomas Fricke. Das sei derzeit zum Glück anders.
Das Wehklagen ist groß. Wer spart, kriegt kaum Zinsen auf sein Geld. Dagegen poltern seit Monaten der Sparkassenpräsident, ebenso wie alle, die den Euro noch nie gut fanden. Und die Schuldigen scheinen ausgemacht. Zumindest mangelt es nicht an bösen Vermutungen. Es sind die Euro-Notenbanker, die mit Billiggeld fahrlässig die Märkte fluten und den Finanzministern noch das Schuldenmachen erleichtern.

Ist die Sache wirklich so einfach? Will die Welt uns nur Böses? Vor lauter Schimpfen über niedrige Sparrenditen scheinen Ursache und Wirkung durcheinander zu geraten. Womöglich sind die Niedrigsätze eher Symptom als Auslöser unserer Probleme. Es könnte sogar sein, dass die neue Zeit der krisenbedingt niedrigen Renditen zum Segen für uns alle wird, selbst für den Sparer in uns.

Es ist ja nicht so, dass es nur in der Euro-Zone derzeit niedrige Zinsen gibt. Das ist fast weltweit so. Und es ist auch typisch für die Zeit nach dem Platzen einer Finanzblase. Das hat erst mal nichts mit den Notenbankern zu tun.

Über mehr als zwei Jahrzehnte wurde Sparern die Illusion vermittelt, sie könnten mit mutigem Geldanlegen sechs, acht, ach was, zweistellige Prozent Renditen erzielen. Das kann auf Dauer nicht aufgehen, wenn die tatsächliche Wirtschaftsleistung nur um drei oder vier Prozent wächst. Genau diese Illusion ist nun geplatzt. Seitdem versuchen Privatleute, Banken und Regierungen jene Schulden abzubauen, die sie zur Vermögensmehrung oft aufnahmen. Keine gute Zeit für Anleger, die ja jemanden brauchen, dem sie das Geld leihen, der sich also verschuldet. Ergebnis: Tiefzinsen.

So betrachtet sind die Niedrigrenditen eine Art Quittung für illusorisch hohe Gewinne zuvor. Die Vermögenswerte müssen sich allmählich wieder normalen Verhältnissen nähern. Pech für heutige Sparer, die so die Zeche für vorige Partyexzesse zahlen müssen. Aber nicht wirklich zu ändern.

Es wäre auch fahrlässig, wenn die Notenbanken dagegen hielten. Natürlich birgt billiges Geld die Gefahr, neue Spekulationen zu nähren. Da gilt es achtsam zu sein. Alle Erfahrung mit dem Platzen früherer Finanzblasen lehrt aber, dass bei höheren Zinsen viel Schlimmeres droht.

Dann fiele das nötige Entschulden noch schwerer, und dann würden die Unternehmen noch weniger in Maschinen, Büros und Personal investieren, weil es teurer wäre, so etwas zu finanzieren. In den 30er-Jahren hat genau das zur großen Katastrophe geführt, wie man heute weiß – zu Pleiten, Massenarbeitslosigkeit und jahrelanger Depression.

Das Gute ist, dass die Niedrigzinsen gleichsam einen Zeitenwandel beschleunigen und der Wirtschaft nach der Finanzillusion in eine solidere Ära verhelfen können. Über drei Jahrzehnte irrer Bankensause hinweg waren die Renditen auf Finanzanlagen so attraktiv, dass Investoren ihr Geld logischerweise lieber in das x-te Derivat steckten, als es einem Mittelständler oder Start-up zu geben, bei denen die Gewinnaussichten in der Regel schwächer und wackliger sind.

Dieser Hang zur virtuellen Anlage hat uns im Laufe der Zeit eine Dominanz der Finanzwirtschaft beschert, die es etwa zu Wirtschaftswunder-Zeiten nicht gab – und die auch eher zulasten realwirtschaftlicher Wertschöpfung und Arbeitsplätze gegangen ist.

Wenn das stimmt, bietet die neue Zeit eine Chance. Dann werden sich Konzerne wieder entscheiden, erwirtschaftete Gewinne in eine neue Fabrik zu stecken – statt in Wertpapiere, die weniger abwerfen. Da wird manche Investition im Vergleich wieder attraktiv erscheinen, deren Rendite vor Kurzem noch zu mickrig wirkte.

Und dann könnte sich bald der fatale Trend umkehren und Banken sich wieder auf das konzentrieren, wofür sie da sind: denen Geld zu geben, die in die Zukunft investieren und Wohlstand sichern – statt Hochfrequenzhandel ohne erkennbaren Nutzen zu betreiben. Dann gäbe es dank neuer Dynamik auch für Sparer wieder solidere Erträge.


Thomas Fricke, geboren 1965, war von 2002 bis 2012 Chefökonom der Financial Times Deutschland und leitet seit 2007 das Internetportal WirtschaftsWunder. Er hat in Aachen und Paris Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft (Institut d’Etudes Politiques de Paris, Université Paris I – Sorbonne) studiert und arbeitete zunächst als Deutschland- und Osteuropa-Experte beim Pariser Konjunkturforschungsinstitut OFCE. Anschließend begann er seine journalistische Karriere beim Berliner Tagesspiegel. Als Wirtschaftsjournalist arbeitete er bei der Wirtschaftswoche und beim Manager Magazin in Hamburg. Im März 2013 erschien sein Buch "Wie viel Bank braucht der Mensch?". Im Juni 1998 erhielt er den Deutsch-französischen Journalistenpreis, im Februar 2013 den Preis für Wirtschaftspublizistik der Keynes-Gesellschaft.
Thomas Fricke, Ökonom und Publizist
Thomas Fricke, Ökonom und Publizist© privat