Vom Spüllappensyndrom, Discofinger und anderen gefährlichen Krankheiten
Ärzte sind besonders erfinderisch, wenn es um das Aufspüren neuer und besonders tückischer Krankheiten geht. Und so gibt es neben dem Spüllappensyndrom den schlimmen Discofinger und die Golfballleber, wie ein Blick in das Buch "Hypochondrie kann tödlich sein" von John Naish eindrucksvoll und amüsant belegt.
Amüsant, mit spitzer Feder und einer großen Portion schwarzem englischem Humor hat sich John Naish Hunderter sehr merkwürdiger, lustiger und manchmal auch verrückt wirkender Forschungsberichte gewidmet, über die er während seiner Arbeit als Medizinjournalist gestolpert ist.
Forschungsberichte, die allesamt in so renommierten Fachblättern wie unter anderem dem Lancet, dem British Medical Journal oder im New England Journal of Medicine erschienen sind und denen damit eigentlich Seriosität garantiert ist. An letzterem kommen dem Leser aber nach der Lektüre von John Naish 184-seitigem Paperback "Hypochondrie kann tödlich sein" erhebliche Zweifel.
Wie sonst kann es sein, dass Mediziner ernsthaft über den Rummelplatzschlaganfall schreiben, der nach einer allzu ruckhaften Achterbahnfahrt droht. Oder sich ausführlich dem seltenen Kreditkartenischias widmen, an dem ganze zwei Patienten litten, weil sie ständig auf ihren viel zu dicken Portemonnaie in der Hosentasche saßen. Wieso spricht man vom "schlimmen Discofinger-Syndrom", wenn bislang nur ein einziger Fall bekannt ist? 1979 war es, da bildete sich ein Abszess am Mittelfinger einer 17-Jährigen, weil sie beim Tanzen zu lange mit den Fingern geschnippt hatte. Und warum berichten Ärzte ausführlich über die Golfballleber, die bislang bei einem einzigen Mann, einem 63-jährigen Ingenieur, behandelt werden musste? Der Mann hatte sich durch das ständige Ablecken seines Golfballes mit Pflanzenschutzmitteln vergiftet.
Schuld, an dem geradezu absurd wirkenden Eifer der Wissenschaftler zu allem und jedem einen Forschungsbericht abzufassen und zu veröffentlichen, sind wir alle, sagt John Naish. Wir sind gierig geworden nach neuen Bedrohungen, meint der Autor und attestiert sich und allen anderen eine Tendenz zu einer Art modernen Hypochondrie, die er spöttisch als "das Meisterwerk menschlicher Schaffensfreude" feiert. Denn nichts wird so gerne gelesen wie Berichte über neu entdeckte Bedrohungen, meint der Medizinjournalist. Und er muss es wissen, immerhin schreibt John Naish seit zehn Jahren für die "Times" über genau diese Themen. Und so attestiert er seiner Zunft auch einen gewissen Zynismus, mit dem diese munter alle Verlautbarungen aus Medizinerkreisen und Pressemitteilungen der Pharmaindustrie unkritisch veröffentliche.
Bei dem ebenso unkritischen Leser könnte das aber schlimme Folgen haben: Denn plötzlich werden in kleine Unpässlichkeiten schwere, wenn nicht sogar tödliche Krankheiten hineininterpretiert. Ein Magenzwicken wird da gar als an ein bösartiges Krebsgeschwür gedeutet. Langsam aber sicher reiht man sich so ein in die Schlange der Hypochonder. Also, der Menschen, die sich ständig und übertrieben um ihre Gesundheit sorgen. Da mittlerweile, glaubt man den Berichten der Mediziner, überall böse Gefahren lauern, ist das auch wirklich nicht schwer.
So berichtet Naish in seinem Buch über die Gefahren des Spüllappen, des Telefons, des Tauchens, des Radfahrens und des Musikhörens ebenso eindrucksvoll wie über den Bürosmog. Denn nicht nur das Faxgerät pustet Ozon aus, sondern die in der Luft schwebenden abgestorbenen Haut-, Kosmetik-, Hefe-, Fußpilz- sowie Kopfhautpartikelchen sind alles andere als gesund. Sie alle wimmeln von Viren und Bakterien. Bei der Untersuchung von Spüllappen stießen die Forscher gar auf Salmonellen und Staphylokokken, beides die häufigsten Auslöser von Nahrungsmittelvergiftungen.
Wenn das nicht Grund zur Sorge um die eigene Gesundheit ist, was dann? Willkommen also im Club der Hypochonder. Einem überaus illusteren Club übrigens wie John Naish in seinem historischen Abschnitt beweist: Zu den "besten Hypochonder der Geschichte" gehören unter anderem Molière, Immanuel Kant, Leonard Bernstein, Charles Darwin, Florence Nightingale und Marcel Proust. Ihnen allen ist gemein, dass sie der Sorge um ihre Gesundheit einen Großteil ihrer Zeit opferten. Proust etwa verließ kaum noch das Haus, weil er panische Angst vor Krankheitserregern hatte. Florence Nightingale, die Begründerin der Krankenpflegeausbildung, kämpfte ihr Leben lang gegen ihre Krankheitsängste, die sie daran hinderten Treppen zu steigen. Und Immanuel Kant war sich sicher, dass seine Kopfschmerzen mit einer speziellen Art von Elektrizität in den Wolken zusammenhingen. Zu schade, dass Kant heute nicht mehr lebt, denn dann hätte er sicher einen Wissenschaftler gefunden, der sich seiner Krankheit ausführlich in einer Studie gewidmet hätte.
Aber Vorsicht, auch die Hypochondrie kann gefährlich, ja sogar tödlich sein. Denn wenn jemand glaubt, krank zu sein, kann er oder sie tatsächlich krank werden. Dann wird aus einer eingebildeten Krankheit eine echte Krankheit, der so genannte Necebo-Effekt tritt ein. "Die Leute sind davon überzeugt, dass etwas schief gehen wird, und diese Prophezeiung erfüllt sich dann auch", erkannte der Amerikaner Arthur Barkey, als er die Auswirkung von Aspirin auf Herzpatienten untersuchte: "Wurden die Aspirin-Patienten vor möglichen Nebenwirkungen gewarnt, nahm die Zahl der Patienten zu, die an ebendiesen Nebenwirkungen litten."
John Naishs Spott über die Mediziner, Medien, Pharmaindustrie und über die Konsumenten solcher Forschungsberichte kennt keine Grenzen. Nichts ist ihm heilig, in einer messerscharfen Analyse seziert er erbarmungslos alles und jeden und macht so deutlich: Krankheitserforschung hat immer auch etwas mit Krankheitserfindung zu tun. Wie sonst ist es zu erklären, dass die ehemals sehr populäre Eisenbahnkrankheit verschwunden ist oder keiner mehr von Tanz- und Springwut spricht, dafür heute aber munter das Zappelphilipp-Syndrom diagnostiziert wird? Lässt eigentlich nur einen Schluss zu: Passen sie auf sich auf und machen sie einen großen Bogen um forschungswütige Ärzte, wer weiß, was ihnen sonst noch droht.
John Naish: Hypochondrie kann tödlich sein. Handbuch für eingebildete Kranke
Aus dem Engl. von Susanne Schmitz
Rowohlt Taschenbuch Verlag 2005
184 Seiten, Paperback
7,90 Euro
Forschungsberichte, die allesamt in so renommierten Fachblättern wie unter anderem dem Lancet, dem British Medical Journal oder im New England Journal of Medicine erschienen sind und denen damit eigentlich Seriosität garantiert ist. An letzterem kommen dem Leser aber nach der Lektüre von John Naish 184-seitigem Paperback "Hypochondrie kann tödlich sein" erhebliche Zweifel.
Wie sonst kann es sein, dass Mediziner ernsthaft über den Rummelplatzschlaganfall schreiben, der nach einer allzu ruckhaften Achterbahnfahrt droht. Oder sich ausführlich dem seltenen Kreditkartenischias widmen, an dem ganze zwei Patienten litten, weil sie ständig auf ihren viel zu dicken Portemonnaie in der Hosentasche saßen. Wieso spricht man vom "schlimmen Discofinger-Syndrom", wenn bislang nur ein einziger Fall bekannt ist? 1979 war es, da bildete sich ein Abszess am Mittelfinger einer 17-Jährigen, weil sie beim Tanzen zu lange mit den Fingern geschnippt hatte. Und warum berichten Ärzte ausführlich über die Golfballleber, die bislang bei einem einzigen Mann, einem 63-jährigen Ingenieur, behandelt werden musste? Der Mann hatte sich durch das ständige Ablecken seines Golfballes mit Pflanzenschutzmitteln vergiftet.
Schuld, an dem geradezu absurd wirkenden Eifer der Wissenschaftler zu allem und jedem einen Forschungsbericht abzufassen und zu veröffentlichen, sind wir alle, sagt John Naish. Wir sind gierig geworden nach neuen Bedrohungen, meint der Autor und attestiert sich und allen anderen eine Tendenz zu einer Art modernen Hypochondrie, die er spöttisch als "das Meisterwerk menschlicher Schaffensfreude" feiert. Denn nichts wird so gerne gelesen wie Berichte über neu entdeckte Bedrohungen, meint der Medizinjournalist. Und er muss es wissen, immerhin schreibt John Naish seit zehn Jahren für die "Times" über genau diese Themen. Und so attestiert er seiner Zunft auch einen gewissen Zynismus, mit dem diese munter alle Verlautbarungen aus Medizinerkreisen und Pressemitteilungen der Pharmaindustrie unkritisch veröffentliche.
Bei dem ebenso unkritischen Leser könnte das aber schlimme Folgen haben: Denn plötzlich werden in kleine Unpässlichkeiten schwere, wenn nicht sogar tödliche Krankheiten hineininterpretiert. Ein Magenzwicken wird da gar als an ein bösartiges Krebsgeschwür gedeutet. Langsam aber sicher reiht man sich so ein in die Schlange der Hypochonder. Also, der Menschen, die sich ständig und übertrieben um ihre Gesundheit sorgen. Da mittlerweile, glaubt man den Berichten der Mediziner, überall böse Gefahren lauern, ist das auch wirklich nicht schwer.
So berichtet Naish in seinem Buch über die Gefahren des Spüllappen, des Telefons, des Tauchens, des Radfahrens und des Musikhörens ebenso eindrucksvoll wie über den Bürosmog. Denn nicht nur das Faxgerät pustet Ozon aus, sondern die in der Luft schwebenden abgestorbenen Haut-, Kosmetik-, Hefe-, Fußpilz- sowie Kopfhautpartikelchen sind alles andere als gesund. Sie alle wimmeln von Viren und Bakterien. Bei der Untersuchung von Spüllappen stießen die Forscher gar auf Salmonellen und Staphylokokken, beides die häufigsten Auslöser von Nahrungsmittelvergiftungen.
Wenn das nicht Grund zur Sorge um die eigene Gesundheit ist, was dann? Willkommen also im Club der Hypochonder. Einem überaus illusteren Club übrigens wie John Naish in seinem historischen Abschnitt beweist: Zu den "besten Hypochonder der Geschichte" gehören unter anderem Molière, Immanuel Kant, Leonard Bernstein, Charles Darwin, Florence Nightingale und Marcel Proust. Ihnen allen ist gemein, dass sie der Sorge um ihre Gesundheit einen Großteil ihrer Zeit opferten. Proust etwa verließ kaum noch das Haus, weil er panische Angst vor Krankheitserregern hatte. Florence Nightingale, die Begründerin der Krankenpflegeausbildung, kämpfte ihr Leben lang gegen ihre Krankheitsängste, die sie daran hinderten Treppen zu steigen. Und Immanuel Kant war sich sicher, dass seine Kopfschmerzen mit einer speziellen Art von Elektrizität in den Wolken zusammenhingen. Zu schade, dass Kant heute nicht mehr lebt, denn dann hätte er sicher einen Wissenschaftler gefunden, der sich seiner Krankheit ausführlich in einer Studie gewidmet hätte.
Aber Vorsicht, auch die Hypochondrie kann gefährlich, ja sogar tödlich sein. Denn wenn jemand glaubt, krank zu sein, kann er oder sie tatsächlich krank werden. Dann wird aus einer eingebildeten Krankheit eine echte Krankheit, der so genannte Necebo-Effekt tritt ein. "Die Leute sind davon überzeugt, dass etwas schief gehen wird, und diese Prophezeiung erfüllt sich dann auch", erkannte der Amerikaner Arthur Barkey, als er die Auswirkung von Aspirin auf Herzpatienten untersuchte: "Wurden die Aspirin-Patienten vor möglichen Nebenwirkungen gewarnt, nahm die Zahl der Patienten zu, die an ebendiesen Nebenwirkungen litten."
John Naishs Spott über die Mediziner, Medien, Pharmaindustrie und über die Konsumenten solcher Forschungsberichte kennt keine Grenzen. Nichts ist ihm heilig, in einer messerscharfen Analyse seziert er erbarmungslos alles und jeden und macht so deutlich: Krankheitserforschung hat immer auch etwas mit Krankheitserfindung zu tun. Wie sonst ist es zu erklären, dass die ehemals sehr populäre Eisenbahnkrankheit verschwunden ist oder keiner mehr von Tanz- und Springwut spricht, dafür heute aber munter das Zappelphilipp-Syndrom diagnostiziert wird? Lässt eigentlich nur einen Schluss zu: Passen sie auf sich auf und machen sie einen großen Bogen um forschungswütige Ärzte, wer weiß, was ihnen sonst noch droht.
John Naish: Hypochondrie kann tödlich sein. Handbuch für eingebildete Kranke
Aus dem Engl. von Susanne Schmitz
Rowohlt Taschenbuch Verlag 2005
184 Seiten, Paperback
7,90 Euro