Vom Todestreifen zur Lebenslinie der Natur

Kai Frobel im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Fast vier Jahrzehnte war Deutschland durch den sogenannten Todestreifen getrennt. Im Schutze der Grenze gedieh aber die Natur, entstand ein Lebensraum für sonst bedrohte Arten. Vor 20 Jahren entwickelten Naturschützer die Idee, aus dem Grenzstreifen das längste Biotop Deutschlands zu machen: das Grüne Band. Mitinitiator Kai Frobel sieht in dem Grünen Band ein "ganz lebendiges ökologisches Denkmal auch der Wiedervereinigung".
Katrin Heise: Heute vor 20 Jahren, am 9. Dezember 1989, da haben sich Naturschützer im Bayrischen Hof getroffen und ein einzigartiges Naturschutzprojekt gegründet: das Grüne Band. Dort, wo Deutschland 28 Jahre lang getrennt war, von Norden nach Süden, von Travemünde bis eben nach Hof, dort sollte der ehemalige Todesstreifen zu einer Art Lebenslinie werden. Im gerade wieder zugänglichen Grenzgebiet hatte sich in den Jahren der Trennung nämlich eine Art Biotop entwickelt mit Pflanzen und Tieren, zum Teil sehr seltenen. Dieses Biotop sollte erhalten werden. Dr. Kai Frobel vom Naturschutz BUND ist einer der Mitinitiatoren. Mit ihm sprach meine Kollegin Liane von Billerbeck und ließ sich erst mal schildern, wie sich an der Grenze so ein Refugium für die Natur hat entwickeln können.

Kai Frobel: Nun, diese innerdeutsche Grenze war ja wirklich schrecklich und brutal gegenüber den Menschen. Sie war aber auch eine Grenze gegenüber der intensiven Landnutzung. Das heißt, in dem Bereich zwischen dem ehemaligen Kolonnenweg, im Bereich der Minen, im Bereich der Grenzzäune war ein im Schnitt bundesweit etwa 100 Meter breiter Streifen entstanden, allerdings auch 1400 Kilometer lang, quer durch die Republik, der deswegen letztendlich verbuscht ist, versumpft ist, verwildert ist, so wie wenn Sie in Ihrem Garten über mehrere Jahrzehnte lang nichts machen. Und die Natur hatte damit eine Atempause, hat eine Chance bekommen und hat die genutzt. Und es wurde ein letzter Rückzugsraum für bundesweit über 600 Tier- und Pflanzenarten der Roten Liste, eine einzigartige Schatzkammer der Natur – ausgerechnet im Todesstreifen, der damit letztendlich zu einer Art Lebenslinie für die Natur wurde.

Liane von Billerbeck: Nennen Sie doch mal ein paar Beispiele: Welche Pflanzen und Tiere haben sich da erhalten?

Frobel: Eine ganz charakteristische Vogelart ist das Braunkehlchen zum Beispiel.

von Billerbeck: Habe ich noch nie was von gehört.

Frobel: Ja, ist auch relativ selten, steht auf der Roten Liste, braucht so verbuschte Bereiche, magere Wiesen und hat früher gerne auf den Grenzzäunen oben gebalzt. Dasselbe gilt für den Neuntöter, den Raubwürger, Ziegenmelker – das sind alles Arten, wo, denke ich, die Namen schon vielen Menschen gar nichts mehr sagen, Arten, die in unserer Kulturlandschaft in den 50er- und 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts noch weiter verbreitet waren und die wegen der Nutzungsruhe ausgerechnet im Bereich des ehemaligen Todesstreifens ihren letzten Rückzugsraum gefunden haben. Es sind aber auch attraktive Arten, wie zum Beispiel der Schwarzstorch in den bewaldeten Lagen im Frankenwald oder im Harz oder der Fischotter an der Elbe oder an thüringisch-bayrischen Grenzgewässern.

von Billerbeck: Als 1989 die Mauer fiel, wie kam es dann zu der Idee des Grünen Bandes?

Frobel: Nun, es war durch Untersuchungen, die ich selbst in den 70er-Jahren geleitet hatte, schon weit vor der Grenzöffnung bekannt, welche unersetzbare Funktion ausgerechnet dieser Bereich für den Naturschutz hat. Und als die Grenze fiel und wir alle froh waren, dass diese Anlagen der Vergangenheit angehört haben, wollten wir ein Signal setzen, dass im Schatten ausgerechnet dieser Grenze sich für die Natur so viel erhalten hat, dass hier das längste Biotop Deutschlands besteht, und hatten dann im Dezember 1989, also jetzt praktisch vor 20 Jahren, eingeladen zu einem ersten gesamtdeutschen Treffen nach Hof. Der Naturschützer und der BUND war der Einlader, und dort ist eine einstimmige Resolution gefasst worden für ein grünes Band, ein Stück Wildnis quer durch Deutschland.

von Billerbeck: Wer hatte denn die Idee für den Namen?

Frobel: Die Idee stammte damals von mir, als ich die Resolution verfasst und vorbereitet hatte. Innerdeutsche Grenze konnte man damals Gott sei Dank dann auch nicht mehr sagen, Demarkationslinie auch nicht, Todesstreifen auch nicht. Und Grün steht für Leben und Band für etwas, was im Naturschutz so selten ist. Naturschutz leidet in Deutschland drunter, dass es so zersplittert ist – hier ein Biotop, 500 Meter weiter ein Biotöpchen, zwei Kilometer weiter vielleicht mal ein kleines Schutzgebiet, alles zersplittert. Und hier ist Natur am Stück und bandförmig zusammenhängend 1400 Kilometer lang, was ganz Seltenes, was es so in unserer Landschaft überhaupt nicht gibt, und Grünes Band sollte dies symbolisieren.

von Billerbeck: Was geschah denn nun in den Gebieten nach der Grenzöffnung? Das waren ja sehr unterschiedliche Grundstücke, und ich stelle mir das nicht leicht vor, da tatsächlich ein Band über 1300 Kilometer zusammenzufügen.

Frobel: Nun, nach Hof gab es eine große Euphorie und es wurden viele Schutzgebiete einstweilig unter Schutz gestellt. Mittlerweile sind 150 Naturschutzgebiete neu am Grünen Band entstanden, aber vor allen Dingen Anfang der 90er-Jahre gab es massive Schnitte ins Grüne Band, und zwar durch Landwirtschaft. Es wurden Biotope, die über Jahrzehnte sich entwickelt haben, innerhalb weniger Stunden schlicht und einfach weggeackert, und hier kam es auch zu großen Verlusten. Über 2000 Hektar im Grünen Band wurden leider Gottes zu einem braunen Band. Das konnte dann aber gestoppt werden.

Heute ist es so, dass wir keine Flächenverluste mehr haben und dass ein großer Teil des Grünen Bandes auch unter Schutz steht und dass im Bereich der Landwirtschaft viele Landwirte jetzt auch das Grüne Band mit pflegen zum Beispiel mit Beweidung, mit Schafen oder Rindern nach Vorgaben des Naturschutzes. Und da ist man heute von der Konfrontation zur Kooperation mit der Landwirtschaft gekommen.

von Billerbeck: Nun hat ja sicher jedes Teilstück innerhalb des Grünen Bandes seine Besonderheiten, besonders das Land Thüringen, habe ich gelesen, war sehr aktiv, und auch im Harz hat man sich sehr gekümmert. Vielleicht können Sie mal zwei Beispiele erzählen über so spezielle Stellen in diesem Grünen Band, auch wenn Sie sagen, das Band an sich ist das Besondere.

Frobel: Nun, im Schatten dieser Grenze hat sich nicht nur dieser Streifen Natur erhalten, sondern auch ein bisschen bedingt durch diese periphere Lage, durch auch heute noch ein bisschen abgelegene Ecken ganz tolle Gebiete, zum Beispiel im Bereich der Elbe oben bei Lenzen, bei Salzwedel, tolle Auwaldreste, schöne Auenwiesen mit Weißstorch, mit Schwarzstorch, heute ist der Seeadler auch wieder dort daheim, Wälder, in denen jetzt auch der Fischotter wieder durch die Gewässer streift und auch heute noch recht ruhige Bereiche.

Ganz anders sieht es zum Beispiel im Thüringer Wald aus oder im Vogtland, wo wirklich prächtige, bunt blühende Bergwiesen heute das Grüne Band prägen mit Dutzenden von seltenen Schmetterlingsarten, die dadrüber gaukeln. Also das Grüne Band ist sehr vielgestaltig. Es gibt vermoorte Bereiche, es gibt heideähnliche Flächen, es gibt uralte Waldbereiche, und diese Mischung macht letztendlich auch den Wert aus.

von Billerbeck: Dr. Kai Frobel vom BUND ist mein Gesprächspartner, Mitinitiator des Grünen Bandes, eines Naturschutzgebietes, eines ganz einzigartigen, dass es nun seit 20 Jahren gibt an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze. Herr Frobel, wenn man Sie hört, dann merkt man schon, dass da Ihr Herzblut ganz heftig beteiligt ist an diesem Projekt. Forschen Sie auch in diesen Gegenden oder was läuft da ab an wissenschaftlicher Arbeit auch? Es ist ja nicht bloß ein Naturschutzgebiet, man hat ja dann dort Tiere und Pflanzen, die man sonst selten findet.

Frobel: Also es gab zum Beispiel vor ein paar Jahren eine bundesweite Erfassung, die längste Biotopkartierung, die je in Deutschland gelaufen ist, wo man zum Beispiel festgestellt hat, es sind über 100 verschiedene Lebensraumtypen, also Moore, alte Wälder, Feuchtgebiete und Ähnliches in diesem Grünen Band enthalten. Es laufen zahlreiche Bestandsaufnahmen, wo ganz gezielt und auch fast jedes Jahr neue Arten am Grünen Band gefunden werden.

Und was auch noch das Grüne Band ja kennzeichnet: Es ist ja ein Stück weit auch so eine Erinnerungslandschaft. Man kann da noch feststellen, was da mal für ein Riss durch dieses Land geht. Also dieses Grüne Band ist jetzt zwar eine friedliche Spur in der Landschaft, aber sie zeigt ja auch kommenden Generationen, was da mal in der Mitte im Herzen Deutschlands existiert hat. Und deswegen laufen jetzt auch starke Verbindungen, auch Untersuchungen, auch Forschungsprojekte mit Historikern zusammen, mit Zeitzeugen, um letztendlich aufzuarbeiten und auch für die Nachwelt zu erhalten die Erinnerung. Und das Grüne Band ist letztendlich ein ganz lebendiges ökologisches Denkmal, letztendlich auch der Wiedervereinigung.

von Billerbeck: Dieses ökologische Denkmal interessiert sicher nicht nur Forscher und Naturschützer, sondern auch Erlebnistouristen, sage ich mal. Ich habe vor ein paar Wochen einen Artikel gelesen, da haben Mountainbiker versucht, entlang des Grünen Bandes – zu radeln kann man gar nicht sagen, also es war wohl eher eine Abenteuertour. Was passiert denn da schon und sehen Sie da ein bisschen eine Gefahr, dass das Grüne Band beeinträchtigt wird oder wie wird das integriert, dieser Tourismus in den Naturschutz?

Frobel: Nun, ganz im Gegenteil, wir sehen in einem naturnahen, in einem sanften Tourismus und entsprechend angepassten Angeboten eine ganz tolle Chance, auch Werbung letztendlich für diese sehr faszinierende Naturschutzidee, und deswegen läuft derzeit ein Modellprojekt, gefördert vom Bundesumweltministerium und Bundesamt für Naturschutz, in drei Regionen entlang dieses Grünen Bandes, wo ganz gezielt – und zwar abgestimmt untereinander vom Naturschutz, Naturschutzbehörden und den Tourismusorganisationen vor Ort – ganz gezielt Angebote entwickelt werden. Das heißt, es gibt jetzt Fahrradtouren, es gibt Wandermöglichkeiten, es gibt eine schöne Beschilderung auch draußen. Sie können unter "Erlebnis Grünes Band" im Internet entsprechende Angebote finden, Sie können Kurzurlaube buchen regelrecht in diesen schönen Landschaften, sei es im Schiefergebirge, im thüringischen, sei es im Frankenwald, sei es im Harz oder eben an der Elbe oben.

Das ist ein absolut gutes Projekt, und diese Verbindung sanfter Tourismus/Natur erleben/Kultur erleben und gleichzeitig mit Zeitzeugen zusammen auch erfahren, wie diese Grenzsituation vor Ort tatsächlich mal gewesen ist, das ist ein unheimlich faszinierendes Angebot. Und da kann ich nur jeden einladen, das Grüne Band auch zu besuchen und zu entdecken.

von Billerbeck: 1300 Kilometer lang ist das Grüne Band. Sagen Sie mal, haben Sie einen Ort, an dem Sie ganz besonders gern sind?

Frobel: Einer der liebsten Orte ist mir im Bereich Nordbayern/Südthüringen das Steinachtal, ganz naturnahe Fließgewässer, schön ausgeprägter Brachebereich der ehemaligen Grenze – das ist der Ort, wo die Idee in den 70er-Jahren entstanden ist, wo ich auch persönlich aufgewachsen bin, praktisch in Sichtweise der Grenze im Westen. Und das ist natürlich der Ort, wo letztendlich das größte Naturschutzprojekt Deutschlands unter Federführung des BUND entstanden ist. Und da liegt es nahe, dass ich da sehr gerne öfters zurückkehre.

von Billerbeck: Sagt Kai Frobel, Mitinitiator des Grünen Bandes vom BUND, das Naturschutzprojekt auf dem ehemaligen Todesstreifen. Informationen finden Sie übrigens auch im Internet unter www.gruenesband.info.