Üben macht den Meister
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Ständig dieselbe Stelle spielen, ohne dass es besser wird? Üben will gelernt sein! Schon Franz Liszt wusste: "Nicht auf das Üben der Technik kommt es an, sondern auf die Technik des Übens." Das Gehirn läuft dabei auf Hochtouren. Und verändert sich.
Wie übt man am besten? Gibt es überhaupt die perfekte Strategie? Angehende Profimusiker verbringen in ihrer Kindheit und Jugend durchschnittlich 10.000 Stunden am Instrument – und zwar meist schon vor dem Musikstudium.
Dabei machen manche schneller Fortschritte als andere. Alles eine Frage der Begabung – oder der richtigen Strategie?
Ziele setzen
Üben – wofür? Um den inneren Schweinehund zu überwinden, müssen wir uns motivieren: "Ich brauche ein Ziel", sagt Nils Mönkemeyer.
Der Bratschist hat die Zeit des ersten Lockdowns als sehr schwierig empfunden. Keine Konzerte, keine Perspektive. Was da hilft? Zwischenziele, erklärt Mönkemeyer: "Wir müssen uns kleine Ziele setzen, um auf einen Punkt hinarbeiten zu können."
Nützlich ist hier zum Beispiel ein Übetagebuch – mit Etappen- und Tageszielen. Hat man die erfüllt, darf man sich auch selbst eine kleine Belohnung schenken. Das motiviert zusätzlich.
Gymnastik am Instrument
Ob einzelne Töne, Tonleitern oder Etüden – unsere Muskeln müssen sich erst aufwärmen. Für Blechbläser ist das Einblasen besonders wichtig – und kostet Zeit. Eine Stunde plant Hornist Carsten Duffin dafür morgens ein, noch vor der Orchesterprobe.
"Das ist wie beim Sportler", erklärt er. "Da zwickt es auch jeden Tag an einer anderen Stelle - mal im Knie, mal in der Hüfte." Der Musiker tue sich mal mit der Höhe schwer, mal mit der Mittellage. Umso wichtiger: "Immer einblasen! Immer."
Wiederholen, aber richtig
Nochmal und nochmal dieselbe Stelle: Beim Üben ist das zentral. Wichtig ist dabei: Keine Fehler wiederholen und festigen. Gerade sehr schnelle und komplexe Bewegungsabläufe werden im Gehirn in den sogenannten Basalganglien abgespeichert.
Dann läuft alles unbewusst und automatisiert ab. Eigentlich praktisch. Das Problem ist nur: "Die Basalganglien vergessen auch nichts", erklärt Eckart Altenmüller, Professor für Musikphysiologie und Musikermedizin.
"Wenn ich etwas falsch in die Basalganglien einautomatisiert habe, brauche ich viele Monate Zeit, um das wieder herauszubringen." Eine falsche Bogenhaltung beim Geigespielen etwa benötigt laut einer russischen Studie bis zu 30.000 richtige Wiederholungen.
Die Großhirnrinde regelt die Feinmotorik
Üben wir ein neues Stück, sind die Bewegungen unserer Muskeln zunächst recht grobmotorisch. "Da ist im Gehirn sehr viel mehr aktiv, als wir nachher für die Ausführung brauchen", so Altenmüller. Für die Feinmotorik ist unsere Großhirnrinde zuständig.
Nach und nach werden so unsere Bewegungen immer feiner und koordinierter. "Beim Üben lernen wir, unsere Nervenzellaktivität zu hemmen." Die Feinmotorik ersetzt die Grobmotorik.
Aber lässt sich die beliebig steigern? Eckart Altenmüller hat bei einer Studie herausgefunden: Pianisten müssen am Tag durchschnittlich drei Stunden und 45 Minuten am Instrument verbringen, um ihre feinmotorische Präzision weiter zu verbessern. Was sie in der Zeit üben, ist unerheblich.
Probleme lösen
Gelingt eine Stelle nicht, helfen unzählige Wiederholungen oft nicht weiter. Augustin Hadelich kennt das: Oft funktioniert eine Passage auf der Geige gut, wenn er sie langsam und isoliert spielt – nicht aber im Zusammenhang. "Das liegt oft daran, dass die Finger einfach von woanders herkommen oder die Bewegung im schnellen Tempo anders aussieht", erklärt der Geiger.
Typisches Beispiel: schnelle Doppelgriffpassagen. Hadelichs Rezept: ein paar mal langsam üben, dann sofort wieder im Tempo. "Einfach um zu sehen: Übe ich wirklich die richtige Bewegung?" Denn die soll ja in die Basalganglien einprogrammiert werden.
Auch Technik mit Ausdruck üben
Einzelne Passagen rein technisch zu üben, davon hält Nils Mönkemeyer nicht viel: "Es ist wichtig, Abläufe in die musikalische Vorstellung zu integrieren." Das wird beim Üben häufig vergessen.
"Wenn ich die Stelle zehn Mal langsam und sauber gespielt habe und dann mit voller Emotion, dann ändert sich natürlich auch der ganze Körper." Auch hier sehen die Bewegungen dann oft ganz anders aus.
Üben mit rotierender Aufmerksamkeit
Ein Tipp des verstorbenen Musikpädagogen und Cellisten Gerhard Mantel: Eine Passage mehrmals hintereinander üben und den Fokus jedes Mal auf einen anderen Aspekt legen: Lautstärke, Rhythmus, Tempo, Klangfarbe, Artikulation und so weiter.
Der Hirnforscher Eckart Altenmüller findet diese Strategie durchaus sinnvoll: "Selbst Hochprofis sind in der Regel nicht in der Lage, gut und präzise auf zwei Dinge gleichzeitig zu achten."
Parameter, die einzeln beleuchtet werden, merkt sich das Gehirn hingegen viel besser und behält sie auch für die folgenden Durchläufe bei.
Pausen und Schlaf wirken Wunder
Niemand kann viele Stunden am Stück effektiv üben. Körper und Geist brauchen Pausen. "Nach 50 Minuten werden meine Finger müde", sagt Augustin Hadelich. "Dann mache ich eine Pause". Aus eigener Erfahrung weiß der Geiger, dass die Verletzungsgefahr sonst steigt.
Eine Übungseinheit von etwa einer Dreiviertelstunde ist gut, findet auch Eckart Altenmüller. Dann braucht auch der Kopf eine kurze Pause. Am besten festigt sich das Geübte übrigens im Schlaf.
Ideal ist: morgens üben und einen Mittagsschlaf halten.
Nicht zu viel üben
Wenn wir zu viel üben, verlieren wir Zeit. Schlimmer noch: Die Leistung verschlechtert sich sogar.
Das Phänomen kennen wir aus der Sportpsychologie. Aber auch bei Musikern kommt es vor. Zu langes Üben kann die zuvor mühsam erarbeiteten Bewegungsprogramme wieder zerstören, sagt Eckart Altenmüller:
"Da spielt die muskuläre Ermüdung eine Rolle. Bei Flötisten beispielsweise ist es wichtig, dass die Gesichtsmuskulatur elastisch bleibt. Verspannt sie sich, wird der Ton schrill und die Intonation schlechter."
Mental üben
Ohne Instrument zu üben, ist eine gute Möglichkeit, wenn wir beispielsweise im Zug sitzen, die Zeit aber sinnvoll nutzen möchten.
Das geht so: Notentext anschauen, einprägen und sich alle Bewegungen genau vorstellen, ebenso den Klang. Der Effekt für unser Gehirn ist übrigens derselbe, als würden wir mit Instrument üben.
Notentext auswendig lernen
Solisten spielen in der Regel auswendig. Wer kein fotografisches Gedächtnis besitzt, muss sich den Notentext gut einprägen. Worauf man sich nicht verlassen sollte, ist das sogenannte Fingergedächtnis: Üben wir ein Stück lange genug, "wissen" unsere Finger irgendwann von selbst, wo sie hinmüssen.
In einer stressigen Konzertsituation kann es aber zu Aussetzern kommen, warnt Augustin Hadelich.
Er hat eine andere Methode entwickelt: Er spielt die Geigenstimme zwischendurch probeweise auf dem Klavier – und zwar mit der rechten Hand. "Dann bleibe ich an genau den Stellen stecken, die ich noch nicht gut genug auswendig gelernt habe", erklärt er. "Das sind dann wie zwei Gedächtnisse desselben Stückes nebeneinander."