Vom Verschwinden der Liebe
"Die Verdächtige" handelt vom Verschwinden - vom Verschwinden der Liebe und ganzer Personen. Im Gewand eines Kriminalromans evoziert die 1959 geborene Autorin Judith Kuckart Stimmungen, die nicht mehr in unsere Zeit zu passen scheinen. Und sie überführt die Retro-Atmosphäre ihres Romans in die Gegenwart: Er spielt in einer Kleinstadt in der Nähe Wuppertals.
Nicht ganz von dieser Welt ist die Frau, die am Anfang des neuen Romans von Judith Kuckart eine Vermisstenanzeige aufgibt. "Der Mann, den ich liebe, ist am Sonntag vor zwei Wochen in der Geisterbahn verschwun-den", sagt die seltsam altmodisch wirkende Erscheinung mit aufgerisse-nen Augen. Sie trägt einen Mantel, dessen Kragen "wie ein riesiges Rha-baberblatt" über ihre Schultern fällt, die aschblonden Haare mit einer Spange hochgesteckt, wirkt ihr Nacken wie der eines Mädchens.
Marga Burg ist Ende 30. Sicher hat sie als Kind schon genauso ausgesehen, denkt sich Robert, der Kriminalhauptkommissar, dem der Kollege augen-zwinkernd den Fall zuspielt. Ihm ist es recht, auch wenn er sofort merkt, dass mit dieser Frau etwas nicht stimmt. Sie gefällt ihm, ihre melancholi-sche Unbeholfenheit spricht ihn an, zumal er gerade von seiner Ehefrau verlassen wurde, deren Geruch er jede Nacht in der Nase hat, weil er es nicht über sich bringt, ihr Bettzeug abzuziehen. Noch hofft er Nacht für Nacht, sie läge neben ihm, "wenn auch abgewandt, um selbst im Schlaf ihren Unmut über die Beziehung auszudrücken."
Mit einem einzigen Satz kann Judith Kuckart eine ganze Geschichte erzäh-len. Und es steckt eine Wehmut in ihren Sätzen, die unheimlich ist. Im Gewand eines Kriminalromans evoziert die 1959 geborene Autorin Stim-mungen, die nicht mehr in unsere Zeit zu passen scheinen. Man fühlt sich für Momente wie in einem frühen Film von Louis Malle, "Fahrstuhl zum Schafott" beispielsweise, mit der Musik von Miles Davis und dem Gesicht von Jeanne Moreau, oder wie bei Truffaut, Godard, Antonioni oder Hitch-cock.
"Die Verdächtige" handelt vom Verschwinden, vom Verschwinden der Liebe und ganzer Personen, vom Tod, von Angst, Panik und Kälte, vom unwirklichen Gefühl, keinen Zugang zur Wirklichkeit zu finden, und vom Schwindel, der jene ergreift, denen das Leben den Boden unter den Füßen wegzieht.
Dabei gelingt es der Autorin, die auch als Choreografin und Regisseurin arbeitet, die Retro-Atmosphäre ihres Romans in die Gegenwart zu über-führen. Er spielt in einer Kleinstadt in der Nähe Wuppertals. Marga Burg ist in einem Milieu aufgewachsen, das an Else Lasker-Schülers Drama "Die Wupper" denken lässt. Der Vater war Arbeiter einer mittlerweile stillge-legten Fahrstuhl-Fabrik, die Mutter putzte dort.
Seit dem frühen Tod der Eltern lebt sie mit dem jüngeren Bruder in der Wohnung, an deren Tür immer noch ein Emaille-Schild mit der Aufschrift "Familie Burg" hängt. Sie hat Religionswissenschaften studiert, aber nie eine Stelle gefunden, mittlerweile arbeitet sie im Straßenverkehrsamt. Der Mann, dessen Verschwinden sie anzeigt, scheint ihre erste große Liebe gewesen zu sein, Kulissenbauer und Teilhaber einer Filmproduktionsfir-ma.
Im Zentrum des in der dritten Person erzählten Romans steht Robert Mandt, ein intelligenter und feinfühliger Ermittler, dem die Kollegen at-testieren, er sähe aus wie George Clooney. Isa, seine Ehefrau, meint aller-dings, er gleiche eher einem männlichen Model, das in einer Polizeifach-zeitschrift Versicherungen verkaufen soll. Und so sehr ihn das beleidigt, insgeheim stimmt er ihr zu.
Er hat von seinem Vater eine Bob-Dylan-Sammlung geerbt und ist Fan von Dylans Radio-Sendung, die er sich aus dem Internet holt und auf CDs brennt. Sie bilden den Soundtrack seines Lebens. Die Figur des sympathi-schen und melancholischen Polizisten ist die eigentliche Findung des Ro-mans. Ihm laufen die Frauen zu, ohne dass er es so recht bemerkt. Und so geht die Kriminalstory in einen Liebesreigen über, der per Beischlaf die kühnsten Verwandtschaften stiftet.
Was am meisten für diesen Roman einnimmt, ist sein zärtlicher Blick, sei-ne prinzipielle Zuneigung zu allem, was er beschreibt. "Die Verdächtige" ist mit der Radiosendung von Bob Dylan verwandt, der die Musik ver-gangener Jahrzehnte nicht im Sinne einer Retrospektive spielt, sondern mit dem Impetus enthusiastischer Vergegenwärtigung.
Mehr als einmal denkt man an Camus' "zärtliche Gleichgültigkeit der Welt". "Die Verdächtige" könnte auch "Die Fremde" heißen. Doch die Sou-veränität, zu der Judith Kuckart in ihrem sechsten Roman gefunden hat, macht derlei Spielchen überflüssig. Wer so gut evozieren kann, braucht nicht zu zitieren.
Rezensiert von Meike Feßmann
Judith Kuckart: Die Verdächtige. Roman
DuMont Verlag, Köln 2008,
285 Seiten, 19,90 Euro
Marga Burg ist Ende 30. Sicher hat sie als Kind schon genauso ausgesehen, denkt sich Robert, der Kriminalhauptkommissar, dem der Kollege augen-zwinkernd den Fall zuspielt. Ihm ist es recht, auch wenn er sofort merkt, dass mit dieser Frau etwas nicht stimmt. Sie gefällt ihm, ihre melancholi-sche Unbeholfenheit spricht ihn an, zumal er gerade von seiner Ehefrau verlassen wurde, deren Geruch er jede Nacht in der Nase hat, weil er es nicht über sich bringt, ihr Bettzeug abzuziehen. Noch hofft er Nacht für Nacht, sie läge neben ihm, "wenn auch abgewandt, um selbst im Schlaf ihren Unmut über die Beziehung auszudrücken."
Mit einem einzigen Satz kann Judith Kuckart eine ganze Geschichte erzäh-len. Und es steckt eine Wehmut in ihren Sätzen, die unheimlich ist. Im Gewand eines Kriminalromans evoziert die 1959 geborene Autorin Stim-mungen, die nicht mehr in unsere Zeit zu passen scheinen. Man fühlt sich für Momente wie in einem frühen Film von Louis Malle, "Fahrstuhl zum Schafott" beispielsweise, mit der Musik von Miles Davis und dem Gesicht von Jeanne Moreau, oder wie bei Truffaut, Godard, Antonioni oder Hitch-cock.
"Die Verdächtige" handelt vom Verschwinden, vom Verschwinden der Liebe und ganzer Personen, vom Tod, von Angst, Panik und Kälte, vom unwirklichen Gefühl, keinen Zugang zur Wirklichkeit zu finden, und vom Schwindel, der jene ergreift, denen das Leben den Boden unter den Füßen wegzieht.
Dabei gelingt es der Autorin, die auch als Choreografin und Regisseurin arbeitet, die Retro-Atmosphäre ihres Romans in die Gegenwart zu über-führen. Er spielt in einer Kleinstadt in der Nähe Wuppertals. Marga Burg ist in einem Milieu aufgewachsen, das an Else Lasker-Schülers Drama "Die Wupper" denken lässt. Der Vater war Arbeiter einer mittlerweile stillge-legten Fahrstuhl-Fabrik, die Mutter putzte dort.
Seit dem frühen Tod der Eltern lebt sie mit dem jüngeren Bruder in der Wohnung, an deren Tür immer noch ein Emaille-Schild mit der Aufschrift "Familie Burg" hängt. Sie hat Religionswissenschaften studiert, aber nie eine Stelle gefunden, mittlerweile arbeitet sie im Straßenverkehrsamt. Der Mann, dessen Verschwinden sie anzeigt, scheint ihre erste große Liebe gewesen zu sein, Kulissenbauer und Teilhaber einer Filmproduktionsfir-ma.
Im Zentrum des in der dritten Person erzählten Romans steht Robert Mandt, ein intelligenter und feinfühliger Ermittler, dem die Kollegen at-testieren, er sähe aus wie George Clooney. Isa, seine Ehefrau, meint aller-dings, er gleiche eher einem männlichen Model, das in einer Polizeifach-zeitschrift Versicherungen verkaufen soll. Und so sehr ihn das beleidigt, insgeheim stimmt er ihr zu.
Er hat von seinem Vater eine Bob-Dylan-Sammlung geerbt und ist Fan von Dylans Radio-Sendung, die er sich aus dem Internet holt und auf CDs brennt. Sie bilden den Soundtrack seines Lebens. Die Figur des sympathi-schen und melancholischen Polizisten ist die eigentliche Findung des Ro-mans. Ihm laufen die Frauen zu, ohne dass er es so recht bemerkt. Und so geht die Kriminalstory in einen Liebesreigen über, der per Beischlaf die kühnsten Verwandtschaften stiftet.
Was am meisten für diesen Roman einnimmt, ist sein zärtlicher Blick, sei-ne prinzipielle Zuneigung zu allem, was er beschreibt. "Die Verdächtige" ist mit der Radiosendung von Bob Dylan verwandt, der die Musik ver-gangener Jahrzehnte nicht im Sinne einer Retrospektive spielt, sondern mit dem Impetus enthusiastischer Vergegenwärtigung.
Mehr als einmal denkt man an Camus' "zärtliche Gleichgültigkeit der Welt". "Die Verdächtige" könnte auch "Die Fremde" heißen. Doch die Sou-veränität, zu der Judith Kuckart in ihrem sechsten Roman gefunden hat, macht derlei Spielchen überflüssig. Wer so gut evozieren kann, braucht nicht zu zitieren.
Rezensiert von Meike Feßmann
Judith Kuckart: Die Verdächtige. Roman
DuMont Verlag, Köln 2008,
285 Seiten, 19,90 Euro