Vom Verschwinden der Öffentlichkeit
Im Zentrum von Hannah Arendts Arbeit stand die Erforschung totalitärer Regime. Arendt führte das Entstehen totalitärer Herrschaftsformen nicht zuletzt auf das Verschwinden der Öffentlichkeit zurück. Welchen Stellenwert ihre Theorien für die heutigen gesellschaftlichen Entwicklungen haben, darüber wurde auf den 9. Hannah-Arendt-Tagen in Hannover diskutiert.
"Das hätte nie geschehen dürfen!" Dieses Erschrecken angesichts der systematischen Vernichtung von Menschen mithilfe gedankenloser Befehlsempfänger wie Adolf Eichmann findet sich bei Hannah Arendt immer wieder. Umso erstaunlicher, welche optimistische Botschaft sie dennoch bereit hielt - selbst am Ende ihres berühmten Buches "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft": denn sie setzte auf die im Menschen verankerte Möglichkeit, spontan einen Neuanfang im politischen Miteinander zu schaffen, eine Bresche in die geschichtlichen Abläufe zu schlagen. Mit der altgriechischen "Polis" vor Augen hoffte Arendt dabei auf eine pluralistische Öffentlichkeit, in der die Individuen ihre Meinungen austauschen und politisch handeln.
Die amerikanische Revolution, die Anfänge der französischen und der Ungarn-Aufstand von 1956 galten ihr als besonders markante Beispiele für eine solche Bewegung von unten. Der Sinn von Politik ist Freiheit – dieser gern zitierte Satz krönt dieses emphatische Bild von Öffentlichkeit, das allerdings heute idealisiert wirkt – aber vielleicht kann es ja gerade deshalb als Korrektiv unserer Gegenwart dienen. Der Politikwissenschaftler und Philosoph Iring Fetscher:
"Ich glaube, man kann von Hannah Arendt aus die Entwicklung zur Konsum- und Spaßgesellschaft kritisieren, in der sich die Menschen nur noch darum kümmern, wie sie als Privatmenschen angenehm leben können - und sie kümmern sich nicht um die würdigeren Dinge des Gemeinwesens. Das liegt daran, dass die moderne Massendemokratie uns als Staatsbürgern nur wenige Möglichkeiten der Mitgestaltung lässt. Wir können auswählen zwischen Kandidaten, die von den Parteien vorgegeben werden. Zu Kommunalwahlen gehen inzwischen weniger als 50 Prozent."
In starken Farben wurde in Hannover unsere Mediengesellschaft beschrieben: die Journalisten, einst von Willy Brandt als "Randfiguren der holzverarbeitenden Industrie" bezeichnet, seien zu Entertainern des elektronischen Zeitalters mutiert, die Politik wiederum inszeniert ihr Erscheinungsbild mit den Mitteln des PR-Gewerbes. Die Reflexion geht in Talkshows unter, die Entpolitisierung schreitet munter voran. So musste sich die Literaturwissenschaftlerin Ingeborg Nordmann denn auch fragen:
"Ist das Publikum ihrer Ansprachen im öffentlichen Raum überhaupt noch vorhanden? Ich erinnere an den Satz Hannah Arendts, dass das Politische auch in demokratisch verfassten Gesellschaften verschwinden kann. Und die Gründe dafür hat sie sehr ernst genommen: es ist der Verlust der Verantwortungsfähigkeit des Einzelnen in einer globalisierten Welt, es sind die sozialen Erosionen in einer ‚Arbeitsgesellschaft’, der die Arbeit ausgegangen ist, die Überformung der Lebenswelt durch die Sachzwänge der Technik und Ökonomie, die immer häufiger an die Stelle bewusster politischer Entscheidungen zu treten drohen , die Entstehung neuer Menschenmassen, die ‚überflüssig’ sind, die mediale Imagepflege der Politik, und nicht zuletzt die systematische Unterdrückung von Tatsachenwahrheiten."
In der Gedankenlosigkeit sah Arendt die wesentliche Voraussetzung für die Etablierung totalitärer Systeme. Und dass das Verstummen zur Diktatur führen könne, vertraute sie ihren "Denktagebüchern" an. Mit Hannah Arendt über unsere Gegenwart nachzudenken, führt zu der Spekulation, ob totalitäre Herrschaft in irgendeiner Form wiederkehren könnte - zumal die Theoretikerin die Heimatlosigkeit und Verlassenheit des modernen Menschen als Nährboden für inhumane Ideologien erkannte. Iring Fetscher:
"Solange es den Menschen gut geht, und das mag eine fragwürdige Beruhigung sein, akzeptieren sie den Status Quo. Aber wenn es ein Massenelend geben sollte, das nicht mehr durch den Sozialstaat aufgefangen wird, dann weiß man nicht, wohin die orientierungslos gewordenen Massen dann strömen."
Mit diesen Gedanken über die akuten politischen Zustände und das Profil unserer Öffentlichkeit nahmen die 9. Hannah-Arendt-Tage zentrale Elemente ihres Werks auf. Aber auch die Grenzen ihres Denkens wurden in Hannover angedeutet: dass in ihrer Theorie die Begriffe "Arbeiten" und "Herstellen" vom "politischen Handeln" so sehr abgekoppelt sind und das Reich der wirtschaftlichen Abhängigkeiten und ökonomischen Zwänge eher eine Nebenrolle spielt - jenseits der politischen Öffentlichkeit mit ihrem Eigenwert. Kann Hannah Arendt heutigen Politikerinnen und Politikern überhaupt Impulse geben? Die Bildungs- und Forschungsministerin Annette Schavan:
"Hannah Arendt hat sich ja nicht mit der Frage befasst, wie zu regieren sei. Sie war deshalb auch nicht daran interessiert, sich mit dem Ganzen der Politik zu beschäftigen. Aber ihre Appelle sind heute so wichtig wie damals: die Bedeutung von Freiheit für die Politikfähigkeit des Menschen, und der Appell, selbst zu handeln, es nicht anderen zu überlassen, Verantwortung zu übernehmen und auf diese Weise gestalten zu wollen."
Gut, dass bei soviel politischer Diskussion in Hannover immer auch Facetten des Menschen Hannah Arendt sichtbar wurden. Deren Nichte Edna Brocke charakterisierte das prominente Familienmitglied und ging auch auf die Vielen so unverständliche Liebe zu Martin Heidegger ein, eine Liaison, die nach dem Krieg wiederauflebte. Edna Brocke:
"Ich habe sie ein paar Mal darauf angesprochen, auch bei unserer letzten Begegnung im Juli 1975 auf dem Bahnsteig in Marbach, wohin wir sie gebracht hatten, weil sie zu Heidegger fahren wollte. Und dort fragte ich sie salopp: ‚Hannah, muss das sein?’ Und im Flüsterton antwortete sie: ‚Fröschlein, es gibt Dinge, die sind stärker als der Mensch’. Darauf konnte ich damals nichts antworten und kann auch heute nichts sagen."
Die amerikanische Revolution, die Anfänge der französischen und der Ungarn-Aufstand von 1956 galten ihr als besonders markante Beispiele für eine solche Bewegung von unten. Der Sinn von Politik ist Freiheit – dieser gern zitierte Satz krönt dieses emphatische Bild von Öffentlichkeit, das allerdings heute idealisiert wirkt – aber vielleicht kann es ja gerade deshalb als Korrektiv unserer Gegenwart dienen. Der Politikwissenschaftler und Philosoph Iring Fetscher:
"Ich glaube, man kann von Hannah Arendt aus die Entwicklung zur Konsum- und Spaßgesellschaft kritisieren, in der sich die Menschen nur noch darum kümmern, wie sie als Privatmenschen angenehm leben können - und sie kümmern sich nicht um die würdigeren Dinge des Gemeinwesens. Das liegt daran, dass die moderne Massendemokratie uns als Staatsbürgern nur wenige Möglichkeiten der Mitgestaltung lässt. Wir können auswählen zwischen Kandidaten, die von den Parteien vorgegeben werden. Zu Kommunalwahlen gehen inzwischen weniger als 50 Prozent."
In starken Farben wurde in Hannover unsere Mediengesellschaft beschrieben: die Journalisten, einst von Willy Brandt als "Randfiguren der holzverarbeitenden Industrie" bezeichnet, seien zu Entertainern des elektronischen Zeitalters mutiert, die Politik wiederum inszeniert ihr Erscheinungsbild mit den Mitteln des PR-Gewerbes. Die Reflexion geht in Talkshows unter, die Entpolitisierung schreitet munter voran. So musste sich die Literaturwissenschaftlerin Ingeborg Nordmann denn auch fragen:
"Ist das Publikum ihrer Ansprachen im öffentlichen Raum überhaupt noch vorhanden? Ich erinnere an den Satz Hannah Arendts, dass das Politische auch in demokratisch verfassten Gesellschaften verschwinden kann. Und die Gründe dafür hat sie sehr ernst genommen: es ist der Verlust der Verantwortungsfähigkeit des Einzelnen in einer globalisierten Welt, es sind die sozialen Erosionen in einer ‚Arbeitsgesellschaft’, der die Arbeit ausgegangen ist, die Überformung der Lebenswelt durch die Sachzwänge der Technik und Ökonomie, die immer häufiger an die Stelle bewusster politischer Entscheidungen zu treten drohen , die Entstehung neuer Menschenmassen, die ‚überflüssig’ sind, die mediale Imagepflege der Politik, und nicht zuletzt die systematische Unterdrückung von Tatsachenwahrheiten."
In der Gedankenlosigkeit sah Arendt die wesentliche Voraussetzung für die Etablierung totalitärer Systeme. Und dass das Verstummen zur Diktatur führen könne, vertraute sie ihren "Denktagebüchern" an. Mit Hannah Arendt über unsere Gegenwart nachzudenken, führt zu der Spekulation, ob totalitäre Herrschaft in irgendeiner Form wiederkehren könnte - zumal die Theoretikerin die Heimatlosigkeit und Verlassenheit des modernen Menschen als Nährboden für inhumane Ideologien erkannte. Iring Fetscher:
"Solange es den Menschen gut geht, und das mag eine fragwürdige Beruhigung sein, akzeptieren sie den Status Quo. Aber wenn es ein Massenelend geben sollte, das nicht mehr durch den Sozialstaat aufgefangen wird, dann weiß man nicht, wohin die orientierungslos gewordenen Massen dann strömen."
Mit diesen Gedanken über die akuten politischen Zustände und das Profil unserer Öffentlichkeit nahmen die 9. Hannah-Arendt-Tage zentrale Elemente ihres Werks auf. Aber auch die Grenzen ihres Denkens wurden in Hannover angedeutet: dass in ihrer Theorie die Begriffe "Arbeiten" und "Herstellen" vom "politischen Handeln" so sehr abgekoppelt sind und das Reich der wirtschaftlichen Abhängigkeiten und ökonomischen Zwänge eher eine Nebenrolle spielt - jenseits der politischen Öffentlichkeit mit ihrem Eigenwert. Kann Hannah Arendt heutigen Politikerinnen und Politikern überhaupt Impulse geben? Die Bildungs- und Forschungsministerin Annette Schavan:
"Hannah Arendt hat sich ja nicht mit der Frage befasst, wie zu regieren sei. Sie war deshalb auch nicht daran interessiert, sich mit dem Ganzen der Politik zu beschäftigen. Aber ihre Appelle sind heute so wichtig wie damals: die Bedeutung von Freiheit für die Politikfähigkeit des Menschen, und der Appell, selbst zu handeln, es nicht anderen zu überlassen, Verantwortung zu übernehmen und auf diese Weise gestalten zu wollen."
Gut, dass bei soviel politischer Diskussion in Hannover immer auch Facetten des Menschen Hannah Arendt sichtbar wurden. Deren Nichte Edna Brocke charakterisierte das prominente Familienmitglied und ging auch auf die Vielen so unverständliche Liebe zu Martin Heidegger ein, eine Liaison, die nach dem Krieg wiederauflebte. Edna Brocke:
"Ich habe sie ein paar Mal darauf angesprochen, auch bei unserer letzten Begegnung im Juli 1975 auf dem Bahnsteig in Marbach, wohin wir sie gebracht hatten, weil sie zu Heidegger fahren wollte. Und dort fragte ich sie salopp: ‚Hannah, muss das sein?’ Und im Flüsterton antwortete sie: ‚Fröschlein, es gibt Dinge, die sind stärker als der Mensch’. Darauf konnte ich damals nichts antworten und kann auch heute nichts sagen."