Vom Wagnis zweier Textilhändler

Von Jochen Stöckmann |
Eine in Deutschland nur im Düsseldorfer Museum Kunst Palast gezeigte Schau widmet sich mit Blick auf die Jahre 1870 bis 1925 den faszinierenden Parallelen, den gegenseitigen Beeinflussungen, aber auch den unterschiedlichen Wegen der modernen russischen und französischen Kunstentwicklung. Im Zentrum steht die Wandlung der russischen modernen Kunst unter dem Einfluss der Pariser Meister.
Duftige Naturimpressionen von Monet, der in sattem Grün-blau-rot stilisierte "Tanz" von Matisse, dazu Kreuz, Kreis und Quadrat als suprematistisches Schwarz-Weiß-Trio von Malewitsch. Nichts anderes als solch eine Hitparade hochkarätiger Gemälde steht zu erwarten, wenn der Energiekonzern EON eine Ausstellung finanziert - oder mehr noch: "eine eigene Idee realisiert", wie der Kulturbeauftragte Achim Middelschulte zur Eröffnung der "Bonjour Rußland"-Schau in Düsseldorf betont.

Vor lauter Schwelgen mit großen Namen wie van Gogh, Gauguin, Chagall oder Kandinsky könnte man im Museum Kunstpalast glatt das Sehen vergessen - wären da nicht einige wundersame, von kundiger Hand hingezauberte Kontraste und Korrespondenzen: Ilja Repins "Tolstoj" etwa, der als barfüßiger Wanderprediger in Lebensgröße direkt neben Renoirs eleganter Schauspielerin Jeanne Samary erscheint, porträtiert im selben schmalen Hochformat. Da hat Norman Rosenthal, der - natürlich: prominente - Kurator wohl doch ein wenig mehr im Sinn gehabt als nur die Plazierung von Highlights:

"Das ist eine Erzählung, wenn man so will, über die Geschichte der Kunst in Rußland."

Geradezu märchenhaft gerät diese Erzählung, wenn es im zweiten, zentralen Kapitel um die Sammlungen von Iwan Morosow und Sergej Schtschukin geht, zwei Moskauer Textilhändler, die um die Jahrhundertwende eben nicht hinter künstlerische Moden her waren, keine prominenten Namen im Visier hatten:

"Die beiden Sammler haben sich gerade nicht nach dem Markt gerichtet und haben irgendwie Wagnisse durchgezogen und das dann nach Rußland gebracht. Und das hat natürlich die Kunst stark beeinflußt."

Der Blick auf Paris, vermittelt durch Gemälde von Pissaro oder Cézanne, prägte die russischen Künstler in ganz besonderer Weise. Vor allem aber kündigen Braques oder Dérains Landschaften in ihrem kristallinen Kubismus die ebenso radikalen Neuerungen von Moskauer Avantgardisten wie Michail Larionow oder Ntalia Gontscharowa an. Ganz gleich, ob diese Wahlverwandtschaften kunsthistorisch abgesichert sind oder nicht - sie drängen sich mit Rosenthals Gang der Dinge, pardon: der Gemälde einfach auf:

"Bei der Hängung hat man dann plötzlich gemerkt und gesehen: zum Beispiel die Unterschiede und auch die Korrespondenzen zum Beispiel von Chagall und Petrov-Vodkin, das ist wahnsinnig interessant."

Hin und wieder scheinen im Kielwasser der Flaggschiffe ein paar unscheinbare Tender zu dümpeln. So etwas erinnert an alte Zeiten vor der Perestroika, als westliche Museen für jeden Avantgardekünstler auch einige sozialistische Realisten in Kauf nehmen mussten.

Aber das täuscht, etwa beim Blick in ein leicht schummriges Kabinett mit Gemälden aus der Sammlung Sergej Diaghilews, Begründer der "Ballets russes". Zwei halbnackte Herkules-Gestalten sitzen da vor einem Klavier, schwere Hanteln am Boden, die Violine in den feingliedrigen Händen. Ein Selbstbildnis von Ilya Mashkov mit seinem Freund Konchalovskij:

"Nicht bekannte Künstler können auch ganz interessant sein, wie zum Beispiel Mashkov, der für mich eigentlich eine Offenbarung ist. Gerade in dieser Zeit, wo Strawinsky 'Sacre du Printemps' geschrieben hat, der war ja auch Russe. Und da tritt auch Diaghilew sehr hervor - und dieser ganze Primitivismus! Es ist ja nicht nur diese ganz puristische Kunstform von Malewitsch. Die Kunst in Rußland damals, die moderne Kunst, war wahnsinnig vielseitig."

Eben so facettenreich, wie man sie jetzt hautnah erleben kann: Mit den großen, formalen Experimenten von Malewitsch, mit Serows mondänen Porträts eleganter Damen und den großformatig ausgemalten Erzählungen eines Repin, etwa die ausgelassen lärmende Menschenmenge mit Kadetten, Studenten, Professoren und Damen der Petersburger Gesellschaft:

"Das ist die Revolution von 1905. Und wenn man anschaut, wie die Damen angekleidet sind, die sind nicht sehr weit weg von diesen Salondamen. Manchmal werden Revolutionen eben auch von Salondamen mit gemacht. Und eine Frau wie die Achmatowa, die berühmte Dichterin, gehörte zur Kulturelite, sogar in der sowjetischen Zeit."

Natan Altman hat sie porträtiert, 1915, noch vor der Oktoberrevolution. Mit pechschwarzem Haarschopf, ein auf den Boden fließendes Kleid in strahlendem lapislazuliblau, darüber eine leuchtend gelbe Stola, der Hintergrund prismatisch aufgelöst in glitzernde Kristalle. Ein Bild, für das allein sich die Fahrt nach Düsseldorf bereits lohnt - und um das der Kurator kämpfen musste, diesmal allerdings nicht aus politischen Gründen:

"Das Bild wollte ich ganz unbedingt haben - und das haben die Russen ziemlich schwer rausgerückt. Weil das Bild sehr fragil ist und sehr schwer, der Rahmen ist wahnsinnig schwer. Aber das Bild fand ich so wunderbar."


Service:
Die Ausstellung "Bonjour Russland" ist bis zum 6. Januar 2008 im Museum Kunst Palast in Düsseldorf zu sehen.