Wir Weihnachtschristen
Warum ist Weihnachten für viele Menschen das wichtigste kirchliche Fest im Jahr? Das habe auch mit einem gewandelten Religionsverständnis zu tun, sagt der Buchautor Matthias Morgenroth: Religion sei immer "innerweltlicher" geworden.
Die Form des heute gefeierten Weihnachtsfestes sei mit der Familientradition der bürgerlichen Moderne verbunden, sagte der Journalist und Religionsforscher Matthias Morgenroth im Deutschlandradio Kultur. Es handele sich um ein relativ modernes Phänomen, die Weihnachtsbräuche seien alle nicht älter als 200 Jahre alt:
"Der Adventskranz ist 1839 zum ersten Mal von Johann Hinrich Wichern angezündet worden. Der erste gedruckte Adventskalender erschien 1903 in München. Der Christbaum hat seine Popularität erst Ende des 19. Jahrhunderts deutschlandweit als Lichterbaum erhalten."
"Der Adventskranz ist 1839 zum ersten Mal von Johann Hinrich Wichern angezündet worden. Der erste gedruckte Adventskalender erschien 1903 in München. Der Christbaum hat seine Popularität erst Ende des 19. Jahrhunderts deutschlandweit als Lichterbaum erhalten."
Warum gab es diese Hinwendung der Menschen zum Weihnachtsfest? Für Morgenroth liegt eine mögliche Begründung darin, dass Religion im Verlauf der Geschichte immer "innerweltlicher" geworden sei:
"Der große Richterstuhl Gottes, die Sehnsucht nach dem Leben nach dem Tod, den man sich möglicherweise mit Ablass erkaufen kann, wie das im Mittelalter war – das kommt uns heute alles vor, als käme es aus dem 'Namen der Rose', aus mönchischen Urzeiten."
Was wir heute von der Religion erwarten
So erwarte man heute auch ganz andere Antworten von der Religion, meinte Morgenroth:
"Wir sagen: Religion soll einem guten Leben dienen, soll den Frieden weltweit befördern. Dazu sollen doch Religionen da sein. Sie sollen auch der Motor dafür sein, dass dieser Planet weiter bestehen bleibt. Dass die Schönheit der Welt so wahrgenommen wird, dass wir sie schützen wollen. Dieser ganze innerweltliche Zug ist jetzt das, weswegen wir Religion als eigenen Baustein des Lebens ernst und wichtig nehmen."
"Wir sagen: Religion soll einem guten Leben dienen, soll den Frieden weltweit befördern. Dazu sollen doch Religionen da sein. Sie sollen auch der Motor dafür sein, dass dieser Planet weiter bestehen bleibt. Dass die Schönheit der Welt so wahrgenommen wird, dass wir sie schützen wollen. Dieser ganze innerweltliche Zug ist jetzt das, weswegen wir Religion als eigenen Baustein des Lebens ernst und wichtig nehmen."
Dazu passe gut eine Geschichte, die von der Ankunft Gottes auf Erden erzähle:
"Gott kommt zur Welt. Gott ist hier auf dieser Welt irgendwie anwesend und präsent. Und dann noch in so einer kleinen Hoffnungsgeschichte: Ein Kind liegt im Stall. Da lässt sich viel mit anfangen. Und daran lassen sich viele eigene Wünsche, Hoffnungen und Ideen angliedern."
"Gott kommt zur Welt. Gott ist hier auf dieser Welt irgendwie anwesend und präsent. Und dann noch in so einer kleinen Hoffnungsgeschichte: Ein Kind liegt im Stall. Da lässt sich viel mit anfangen. Und daran lassen sich viele eigene Wünsche, Hoffnungen und Ideen angliedern."
Von der Bedeutung des Kirchgangs
Morgenroth verwies darauf, dass in der modernen Religionssoziologie schon länger zwischen dem Christlichen, dem Kirchlichen und dem Religiösen unterschieden werde:
"Es ist nicht mehr deckungsgleich. Nicht jeder, der sich als christlich versteht, der sich auch noch entfernt als kirchenverbunden versteht, geht deswegen automatisch zur Kirche. Man kann nicht am Kirchgang ablesen, wie viele Leute etwas glauben. Das hat sich eben ausdifferenziert. Fest steht: Auch Weihnachtschristen gehen regelmäßig in die Kirche: Einmal im Jahr. Die Rhythmen haben sich verschoben. Aber auch sie haben eine dauerhafte Beziehung."
"Es ist nicht mehr deckungsgleich. Nicht jeder, der sich als christlich versteht, der sich auch noch entfernt als kirchenverbunden versteht, geht deswegen automatisch zur Kirche. Man kann nicht am Kirchgang ablesen, wie viele Leute etwas glauben. Das hat sich eben ausdifferenziert. Fest steht: Auch Weihnachtschristen gehen regelmäßig in die Kirche: Einmal im Jahr. Die Rhythmen haben sich verschoben. Aber auch sie haben eine dauerhafte Beziehung."
Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Die Kirchen heute, sie werden voll sein, viel voller als sonst im Jahr. In Großkirchen wie dem Berliner Dom besuchen an Heiligabend zwischen 12.000 und 14.000 Menschen die Gottesdienste, sechs an der Zahl werden es allein in diesem Jahr im Berliner Dom sein. Dabei ist Weihnachten streng genommen ja gar nicht das wichtigste Fest der Christenheit, das ist Ostern. Sind wir vielleicht am Ende doch nur Weihnachtschristen? Und wenn ja, wie viel Glaube, Liebe, Hoffnung liegt dann eigentlich wirklich in diesem Fest?
Matthias Morgenroth hat diese Frage nicht nur peripher auf dem Weg zum Weihnachtsgottesdienst gestreift, er hat dazu geforscht und veröffentlicht, unter anderem das Buch "Das Weihnachtschristentum. Moderner Religiosität auf der Spur". Ich grüße Sie, guten Morgen!
Matthias Morgenroth: Guten Morgen!
Frenzel: Herr Morgenroth, Weihnachten, Geburt Christi: Für viele ist das das wichtigste kirchliche Fest im Jahr. Wie kommt das eigentlich?
Morgenroth: Na, zunächst einmal muss man feststellen, dass es jetzt so ist. Dass es früher nicht so war – Sie haben es vorhin angesprochen –, sozusagen im ganzen Mittelalter war die Passionszeit, war dann Ostern das Hauptfest. Aber heute ist es, so wie wir es auch nennen, Weihnachten, das Christfest, das das Zentrum bildet für unseren Jahreslauf, unseren religiösen Jahreslauf sozusagen.
Ich sage es immer so, man könnte sagen, man hat Monat für Monat den Alltag und dann hat man irgendwie so etwas den Jahressonntag. Die Advents- und Weihnachtszeit ist der Jahressonntag, die paar Wochen – und da zähle ich dann auch die Zeit zwischen den Jahren mit Neujahr und mit allem, was da noch so kommt, dazu – ist irgendwie anders, ist eine Festzeit, eine religiös grundierte Festzeit. Und das muss man zunächst einmal wahrnehmen.
Familientradition der bürgerlichen Moderne
Frenzel: Liegt das vielleicht daran, dass die Geschichte, die Weihnachtsgeschichte einfach auch die, ja, viel schönere Geschichte ist? Das ist die Geschichte einer Geburt, einer Ankunft, und Ostern ist ja leider Gottes eine Kreuzigungs-, eine Todesgeschichte!
Morgenroth: Das kann auch damit zusammenhängen. Fest steht, es ist unser Fest geworden, es ist fest verbunden mit der Familientradition der bürgerlichen Moderne, all die Weihnachtsbräuche, die wir heute feiern, sind alle nicht älter als maximal 200 Jahre, der Adventskranz ist – das kann man genau datieren – 1839 von Johann Hinrich Wichern zum ersten Mal angezündet worden. Der Adventskalender, der erste gedruckte – das kann man auch datieren – ist 1903 in München zum ersten Mal gedruckt worden. Der Christbaum, der Weihnachtsbaum, das weiß man, den gibt es auch noch nicht sehr lange und hat seine Popularität dann erst Ende des 19. Jahrhunderts wirklich deutschlandweit als Lichterbaum erhalten.
Die Tradition kennt eben keine anderen Argumente als "Wir machen es, weil es immer schon so war", deswegen hat man immer damit verbunden das Gefühl, es ist irgendwie uralt. Ist es nicht: Weihnachten als das Christfest, als das Zentrum moderner Religiosität ist ein modernes Phänomen, ist unser Phänomen. Und da kann man natürlich darüber spekulieren, hat das mit der Geschichte zu tun, hat das mit verschiedenen Themen zu tun, die sich da gut angliedern lassen.
Religion ist "innerweltlicher" geworden
Frenzel: Haben Sie denn Antworten, gibt es da Hinweise darauf, warum auf einmal dieser Schwenk hin zu Weihnachten stattgefunden hat?
Morgenroth: Na ja, man kann zum Beispiel beobachten, dass ja insgesamt Religion innerweltlicher sozusagen geworden ist. Also, wenn man sich überlegt, der große Richterstuhl Gottes, die Sehnsucht nach dem Leben nach dem Tod, die man sich möglicherweise mit Ablass erkaufen kann, wie das im Mittelalter eine breit ausgefächerte Theologie war, das kommt uns heute alles vor, als käme es aus dem "Namen der Rose", aus dem Gruselfilm aus mönchischen Urzeiten!
Wir haben heute, wenn wir nach Religion fragen, ganz andere Antworten. Wir sagen, Religion soll zu einem guten Leben dienen, soll zum Beispiel den Frieden – jetzt ganz groß diskutiert – weltweit befördern, dazu sollen doch Religionen da sein. Sie sollen zum Beispiel der Motor sein, dass dieser Planet weiter bestehen bleibt, dass die Schönheit der Welt so wahrgenommen wird, dass wir sie vielleicht schützen. Also, dieser ganze innerweltliche Zug ist jetzt das, weswegen wir eigentlich Religion für unser Leben als, ja, einen eigenen Baustein des Lebens ernst und wichtig nehmen.
Und da gliedert sich natürlich eine Geschichte an, die davon erzählt, das dürfen wir ja nicht vergessen, das ist das Zentrum: Gott kommt zur Welt, Gott ist hier auf dieser Welt irgendwie anwesend, präsent, und dann auch noch in so einer kleinen Hoffnungsgeschichte, ein Kind im Stall. Da lässt sich viel mit anfangen und viel an eigenen Wünschen und Ideen mit angliedern, ja.
Die Macht der Rituale
Frenzel: Sind das denn Rituale, die sich verändern, also diese Verschiebung, Ostern zu Weihnachten, das ganze Drumherum, was Sie beschrieben haben, Adventskalender, Adventskranz, all diese Dinge ... Sind das sozusagen Äußerlichkeiten oder verändern die auch die Frage, die Art und Weise, wie wir glauben, was wir glauben?
Morgenroth: Das eine ist ohne das andere nicht zu haben. Die Rituale, die Traditionen, das, was wir tun, das ist ja nun noch das außen Projizierte, was wir dann auch innerlich damit verbinden, was vielleicht aber wortlos damit verbunden wird einfach dadurch, dass es gemacht wird. Tatsächlich, es verändert sich, das muss man beobachten.
Viele haben es ja auch oft beklagt in den Kirchen, Theologen, Pfarrer, man hat das so im Ohr, man bekommt dann von der Kanzel zu hören, na ja, ausgerechnet heute kommt ihr und verstört eigentlich die Leute, die mit einer Freude im Herzen gekommen sind und sagen, ja, wir haben unser Zentrum heute eben hier an Weihnachten, rings um Weihnachten angegliedert. Und das, was wir an Weihnachten finden an Religion, findet übrigens nicht nur in den Kirchenräumen, in den Gottesdiensten statt, das spielt die ganze Zeit, jetzt schon in der Adventszeit eine Rolle, und wie gesagt, auch darüber hinaus, Silvester als klassischer Ort, wo wir noch mal Rückschau halten, wo wir sagen, ja, das war es und das soll es werden.
Christentum nur noch als Folklore?
Frenzel: Das heißt, diese Sorge, dass viele Menschen da dieses Christliche nur noch quasi als Kulisse oder vielmehr als, ja, ein bisschen Folklore drum herum benutzen, diese Sorge teilen Sie gar nicht?
Morgenroth: Na ja, man muss unterscheiden: Die moderne Religionssoziologie unterscheidet schon lange das Christliche, das Kirchliche, das Religiöse, es ist nicht mehr deckungsgleich. Nicht jeder, der sich als christlich versteht, der sich auch noch entfernt als kirchenverbunden versteht, geht deswegen automatisch zur Kirche. Man kann nicht am Kirchgang ablesen, wie viel Leute etwas glauben. Das hat sich eben auseinanderdifferenziert. Das ist schwieriger geworden daher, aber es ist nun einmal so.
Fest steht auf jeden Fall, auch Weihnachtschristen gehen regelmäßig in die Kirche: einmal im Jahr! Die Rhythmen haben sich verschoben, aber auch sie haben eine Beziehung, eine dauerhafte Beziehung, die sich mal so und so auch noch anders verschieben kann. Wenn man Kinder hat, geht man vielleicht auch noch mal zu einem Familiengottesdienst unter dem Jahr, man kennt Hochzeiten, Taufen. Also, die Anknüpfungspunkte haben sich verschoben und auch die Rhythmen, wann man Kirchgang für sinnvoll hält.
Frenzel: Matthias Morgenroth, ich danke Ihnen für das Gespräch. Aber Sie müssen uns eins noch verraten: Wenn man sich so viel mit Weihnachten wissenschaftlich beschäftigt hat, wie feiern Sie denn diese Tage jetzt?
Morgenroth: Ich habe drei Kinder, da fällt es ganz leicht, Weihnachten zu feiern, da kann man einfach feiern!
Frenzel: Matthias Morgenroth, ich danke Ihnen und wünsche Ihnen ruhige und besinnliche Tage!
Morgenroth: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.