Vom Wunderkind zum Klangkünstler

Von Bettina Ritter |
Mit 7 Jahren lernte er Komponieren, mit 13 spielte er Saxophon im Ensemble seines berühmten Vaters. Doch Simon Stockhausen wollte seinen eigenen Weg gehen. Mittlerweile arbeitet er als Klangkünstler. Seine neusten Kompositionen sind im Film "Trip to Asia" zu hören.
"Was ich seit langem verfolge ist, aus gefundenen Klängen Musik abzuleiten. Für mich gibt’s eh das Wort Geräusch nicht, weil, jedes Geräusch ist auch Musik, es hat ne Tonhöhe, es hat nen Rhythmus."

"Aus allem kann ich irgendwie Musik generieren. Auch wenn das manchmal nur für meine Ohren Musik ist."

Ausgeglichen, entspannt, bescheiden. So wirkt der 40 Jahre alte Simon Stockhausen. Mindestens 1,90 groß, kräftig und ganz in Schwarz, an den Füßen nur Socken, so sitzt er am großen Esstisch seiner Wohnung. Altbau, hohe, helle Wände, sparsam eingerichtet. Am Ende des langen Flurs: Ein überraschend kleines Studio mit mehreren Keyboards und Computern. Stockhausens Arbeitsplatz. Hier verbringt er seine Tage.

"Disziplin gehört irgendwie zum Musikmachen dazu. Das hat unsere ganze Familie von früh auf gut gelernt, Dinge auf den Punkt fertig zu bringen oder eher früher."

Die ganze Familie, das sind insgesamt acht Geschwister, sechs davon aus anderen Beziehungen der Eltern. Als Stockhausen drei Jahre alt ist, trennt sich seine Mutter, die Künstlerin und Bildhauerin Mary Bauermeister, von seinem Vater, dem Komponisten Karlheinz Stockhausen. Ihn sieht Simon nur noch an den Wochenenden. Er ist es jedoch, der dafür sorgt, dass sein Sohn privaten Musikunterricht bekommt. Mit fünf lernt er Klavier, mit sieben Komponieren.

"Er hat mich auch sehr früh mit auf Konzertreisen genommen. Schon mit fünf, sechs Jahren saß ich in irgendwelchen Proben in fernen Ländern und hab das unheimlich genossen. Dieser Saal, dieses Orchester im Graben oder auf der Bühne, stundenlang zuzuhören, oder mich im Zuschauerraum zu verstecken. Das war unheimlich spannend."

Stockhausen ist fasziniert. Ihm ist klar, auch er will Musiker werden. Sein Vater hilft ihm dabei, fördert und fordert ihn. Bereits mit 13 spielt er Saxophon im Ensemble des berühmten Komponisten und bringt ein selbst komponiertes Chorstück auf die Bühne. Die Zeitungen beschreiben ihn als Wunderkind.

"Das war schon auch’ n Druck. Mein Vater hat das alles schon sehr gepusht. Es war schon so ein Tablett: Hier, mein Sohn. So, dieses Überhöhte. Na ja, das musste ich mir dann selbst wieder abgewöhnen, sagen wir mal so."

Als er 29 ist, kommt es nach 15 Jahren der Zusammenarbeit zum Bruch mit dem berühmten Vater. Der Sohn will eigene Projekte verwirklichen. Elf Jahre lang, bis zu seinem Tod im vergangenen Jahr, weigert sich Karlheinz Stockhausen, seinen Sohn zu sehen.

"Es war ein Versuch von mir, mehrere Male Frieden zu schließen, aber er war in seinem Stolz so verletzt, dass er das nicht mehr zulassen konnte."

Stockhausen steht musikalisch nun auf eigenen Beinen. Immer öfter hat er in Berlin zu tun, schreibt Musik für Filme und Theater-Inszenierungen. Er lernt seine Frau, die Schauspielerin Andrea Bürgin kennen. Wegen ihr verlässt er vor zehn Jahren seine Heimat Köln. Seitdem leben die beiden mit zwei Katzen im bürgerlichen West-Berliner Stadtteil Wilmersdorf.

"Immer, wenn ich nach Köln zurückkomme, verfalle ich sofort in diesen kölschen Singsang, weil, mit dem bin isch ja aufgewachsen. Und ich vermisse ein bisschen die Herzlichkeit und diese rheinische, schulterklopfende Geselligkeit, die hat man in Berlin erst mal gar nicht. Und man wundert sich über diesen schroffen Ton, der hier herrscht, der aber auch eigentlich herzlich gemeint ist, der nur so gar nicht ankommt."

Inzwischen fühlt sich Stockhausen in Berlin zuhause, spielt in verschiedenen eigenen Ensembles, komponiert Musik für die Bühne und Performances. Sein musikalisches Prinzip: Jedes Geräusch ist ein Klang, sagt er und schlägt mit dem Feuerzeug gegen seinen Kaffeebecher.

"Ich höre auf jeden Fall immer Tonhöhen. Also, ob ich jetzt hier gegen die Tasse also, jedes Ding, das ich höre … Das nervt mich manchmal schon im Leben. Ich kann gar nicht anders, als immer hinhören. Jeden Intervall, den ich von nem Feuerwehrauto höre, wird sofort – was ist das, ist das ne Quarte, oder doch ne verstimmte Quarte. Das ist schon ziemlich irre. Macht aber auch total Spaß. Weil man ständig auf neue Ideen kommt."

In Berlin und Brandenburg macht er regelmäßig Klangreisen, nimmt den Sound von Schiffshebewerken, Stahlfabriken oder Vögeln und Kinderstimmen im Wald auf. Die Geräusche verwendet er für seine Kompositionen und archiviert sie im Computer. Sein bisher außergewöhnlichster Ausflug: Drei Wochen durch Asien mit den Berliner Philharmonikern für den Dokumentarfilm "Trip to Asia". Diese Reise hat ihn wieder an seinen großen Traum erinnert, meint er lächelnd.

"Endlich mal was für großes Orchester schreiben zu können. Durch diesen intensiven Kontakt mit den Berliner Philharmonikern – da juckt’s mich schon extrem in den Fingern. So’n richtig großes Orchesterstück, am besten verbunden mit meiner Art, auch elektronische Klänge zu benutzen."