Vom Wut-Bürger zum Mut-Bürger
Der Journalist Florian Kessler hat ein Buch geschrieben, das den Protest gesellschaftlich aufwerten möchte. Denn Demonstrieren ist nicht etwa lästig, sondern stärkt die Demokratie. Und dafür hat er sich auch selbst unter die Protestler gemischt - mit zum Teil sehr gemischten Gefühlen.
Demonstrieren steht für viele unter Verdacht: Auf der Straße protestieren, das tun nur Leute, mit denen man nicht verhandeln kann, die wütend sind, emotionsgesteuert, irrational. Dass der Begriff "Wut-Bürger" 2010 zum "Wort des Jahres" gewählt wurde, beschreibt genau diese Haltung.
Für den Journalisten Florian Kessler ist so eine Sicht nicht hinnehmbar. Er empfindet die Wut-Metapher als Abwertung der Demonstranten und als mangelnde Fähigkeit der Medien, die zunehmende Protestfreudigkeit der Bevölkerung gesellschaftlich richtig einzuordnen. Deshalb will er das Bild vom Protest aufwerten und so dafür sorgen, dass sich noch mehr Menschen einmischen, wenn ihnen etwas nicht passt. Demonstrieren – so seine Meinung – stärkt und erweitert die Demokratie.
Kesslers Buch ist eine Mischung aus Gesellschaftsanalyse und Erfahrungsbericht. Ein Jahr lang ist er der öffentlichen Empörung hinterher gereist, besuchte Gorleben, Stuttgart und das Occupy-Camp in Frankfurt, lief mit im schwarzen Block am 1. Mai in Kreuzberg und beim Aufmarsch gegen Neonazis in Dresden. Allein diese Berichte sind schon lesenswert für alle, die sich lieber fern halten von größeren Menschenansammlungen.
Aber auch sprachlich trifft der Autor einen Nerv. Die Unbefangenheit, mit der der 31jährige auch von negativen Erfahrungen erzählt – seinem Unbehagen etwa zwischen vermummten Autonomen oder seiner Flucht vor dem Pfefferspray der Polizei – macht Lust auf mehr.
Dass Demonstrieren leichter aussieht, als gedacht und tatsächlich eine Kunst sein kann, schwant einem, wenn Kessler das "to do" einer gelungenen Demonstration erklärt und Techniken und Strategien verrät. Melde ich sie an oder besser nicht? Mit wem sollte ich mich zusammentun? Muss ich jede Parole mit rufen und wie durchbreche ich eine Polizeikette? Fragen, die man offenbar besser im Voraus bedenken sollte.
Amüsant auch seine Auseinandersetzung mit engstirnigen Anti-Demo-Argumenten, wie: "Damit machst du dir aber keine Freunde!", "Das ist doch nur etwas für Gutmenschen!". Schön auch "Das bringt doch eh nichts", worauf Kessler die vielleicht wichtigste Erkenntnis des Buches liefert: Bei Demonstrationen geht es gar nicht darum, so schnell wie möglich ein Ziel zu erreichen. Viel entscheidender ist, Aufmerksamkeit zu erzielen, andere auf seine Seite zu ziehen und so dafür zu sorgen, dass die Politik gezwungen wird, sich mit einem Anliegen zu beschäftigen. Dann ist Demonstrieren für die Gesellschaft ein Gewinn.
Dass dies funktioniert, dafür bringt Kessler immer wieder Beispiele, etwa die Anti-Atomkraft-Bewegung, wegen derer einst nur ein Drittel der Atomkraftwerke gebaut wurden. Seitdem hat sich der Protest stark verbreitert. Das "neue Demonstrieren" vereint heute alle Generationen, bis hin zu Rentnern, die ihre Freizeitstätte besetzen – und damit übrigens auch erfolgreich waren.
Besprochen von Vera Linß
Florian Kessler: Mut Bürger. Die Kunst des neuen Demonstrierens
Hanser Verlag, Berlin 2013
240 Seiten, 14,90 Euro
Für den Journalisten Florian Kessler ist so eine Sicht nicht hinnehmbar. Er empfindet die Wut-Metapher als Abwertung der Demonstranten und als mangelnde Fähigkeit der Medien, die zunehmende Protestfreudigkeit der Bevölkerung gesellschaftlich richtig einzuordnen. Deshalb will er das Bild vom Protest aufwerten und so dafür sorgen, dass sich noch mehr Menschen einmischen, wenn ihnen etwas nicht passt. Demonstrieren – so seine Meinung – stärkt und erweitert die Demokratie.
Kesslers Buch ist eine Mischung aus Gesellschaftsanalyse und Erfahrungsbericht. Ein Jahr lang ist er der öffentlichen Empörung hinterher gereist, besuchte Gorleben, Stuttgart und das Occupy-Camp in Frankfurt, lief mit im schwarzen Block am 1. Mai in Kreuzberg und beim Aufmarsch gegen Neonazis in Dresden. Allein diese Berichte sind schon lesenswert für alle, die sich lieber fern halten von größeren Menschenansammlungen.
Aber auch sprachlich trifft der Autor einen Nerv. Die Unbefangenheit, mit der der 31jährige auch von negativen Erfahrungen erzählt – seinem Unbehagen etwa zwischen vermummten Autonomen oder seiner Flucht vor dem Pfefferspray der Polizei – macht Lust auf mehr.
Dass Demonstrieren leichter aussieht, als gedacht und tatsächlich eine Kunst sein kann, schwant einem, wenn Kessler das "to do" einer gelungenen Demonstration erklärt und Techniken und Strategien verrät. Melde ich sie an oder besser nicht? Mit wem sollte ich mich zusammentun? Muss ich jede Parole mit rufen und wie durchbreche ich eine Polizeikette? Fragen, die man offenbar besser im Voraus bedenken sollte.
Amüsant auch seine Auseinandersetzung mit engstirnigen Anti-Demo-Argumenten, wie: "Damit machst du dir aber keine Freunde!", "Das ist doch nur etwas für Gutmenschen!". Schön auch "Das bringt doch eh nichts", worauf Kessler die vielleicht wichtigste Erkenntnis des Buches liefert: Bei Demonstrationen geht es gar nicht darum, so schnell wie möglich ein Ziel zu erreichen. Viel entscheidender ist, Aufmerksamkeit zu erzielen, andere auf seine Seite zu ziehen und so dafür zu sorgen, dass die Politik gezwungen wird, sich mit einem Anliegen zu beschäftigen. Dann ist Demonstrieren für die Gesellschaft ein Gewinn.
Dass dies funktioniert, dafür bringt Kessler immer wieder Beispiele, etwa die Anti-Atomkraft-Bewegung, wegen derer einst nur ein Drittel der Atomkraftwerke gebaut wurden. Seitdem hat sich der Protest stark verbreitert. Das "neue Demonstrieren" vereint heute alle Generationen, bis hin zu Rentnern, die ihre Freizeitstätte besetzen – und damit übrigens auch erfolgreich waren.
Besprochen von Vera Linß
Florian Kessler: Mut Bürger. Die Kunst des neuen Demonstrierens
Hanser Verlag, Berlin 2013
240 Seiten, 14,90 Euro