Vom Zoologen zum Klimaschützer

Von Marten Hahn |
Tim Flannery war in Deutschland lange ein Unbekannter - bis seine Bücher auch hier in den Bestsellerliste standen. Doch Flannery ist nicht nur Autor sondern auch Forscher, Umweltschützer und Museumsdirektor. Seit 2011 leitet er außerdem die australische Klimakommission.
Zwei Jahrzehnte hat der Zoologe Tim Flannery die Inseln Melanesiens erkundet, ist durch die Wälder Neuguineas gestreift und hat neue Tierarten entdeckt. Heute hat der 56-Jährige den Dschungel der melanesischen Inseln gegen den Dschungel der internationalen Klimapolitik eingetauscht.

An diesem Tag sitzt er in der Cafeteria des australischen Rundfunks ABC in Sydney. In einigen Minuten wird er hier ein Interview geben. Am Mikrofon wird der Wissenschaftler Flannery dann zum Aktivisten Flannery.

"Ich glaube, ich bin immer eine Mischung aus beidem gewesen, um ehrlich zu sein. Als leidenschaftliche Person kann man nicht einfach nur dasitzen und die Krankheiten der Welt wissenschaftlich dokumentieren. Man hat den Drang zu handeln."

Also handelte der Forscher. Er, der die Arbeit in der Natur gewohnt war, wurde Museumsdirektor in Adelaide. Er gründete Komitees für Klimawandel und beriet die Regierung, rief den Kopenhagener Klimarat ins Leben und – er begann Sachbücher zu schreiben, über uns und unseren Planeten.

"Das war das Schwierigste, was ich jemals gemacht habe. Als Wissenschaftler wirst du trainiert, auf eine gewisse Weise zu schreiben. Die Fakten müssen für sich sprechen. Elegante Sprache spielt keine Rolle. Wissenschaftssprache ist unglaublich trocken, kompliziert und voller Abkürzungen. Das ist nicht der richtige Weg, um mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren."

Also gewöhnte er sich all das wieder ab. Er besann sich auf das Englischstudium, das er abgeschlossen hat, bevor er begann, Geologie zu studieren. Und er ließ sich von seiner Familie inspirieren, während er am ersten Buch arbeitete.

"Ich entwickelte die Idee, mir beim Schreiben vorzustellen, ich würde mit meiner Mutter reden. Eine sehr intelligente Frau, aber sie hat nur acht Jahre Schulbildung. Sehr interessiert, aber ihr fehlen die wissenschaftlichen Grundlagen. An diesem Punkt wusste ich, wie ich zu schreiben hatte."

Mittlerweile hat Flannery mehr als fünf Bücher verfasst. Der Klimaschützer will die Menschen zum Umdenken bewegen, indem er große Zusammenhänge erklärt. Dabei kommt es vor, dass er auch mal stecken bleibt, weil eine zündende Idee fehlt.

"Wenn ich mich an einem wirklich schwierigen Problem abarbeite, komme ich oft auf die Antwort, wenn ich ein leichtes Fieber habe. Oder wenn irgendetwas meinen normalen Zustand stört. Wenn ich sehr müde bin oder ein wenig krank. Oder wenn eine Grippe im Anflug ist. Das sind oft Momente des Geistesblitzes."

Auch eine Essensvergiftung könne ganz hilfreich sein, erzählt er in der Cafeteria. Oder Malaria.

"Als ich in Neuguinea gearbeitet habe, habe ich oft Malaria bekommen. Da habe ich gemerkt: die ein, zwei Stunden vor der Malariaattacke sind ein erstaunlicher Zeitraum gesteigerter Erkenntnis, Intelligenz und Analysefähigkeit."

Flannery hat wenig übrig für Panikmache und Hysterie. Vielleicht auch, weil er sich der Schnelllebigkeit Sydneys immer wieder entzieht. Flannery lebt am Hawksbury River auf einer Halbinsel, nördlich von Sydney. In einem Haus ohne Anschluss ans öffentliche Strom- und Abwassersystem. Bevor Flannery ins Auto steigen kann, steht ihm eine 18 Kilometer lange Bootsfahrt bevor. Der Zugang ist nur auf dem Wasserweg möglich. Draußen vor der Cafeteria tobt unterdessen der Straßenlärm der Hauptstadt.

"Für mich ist das hier ein anderes Universum. Ich könnte nicht die ganze Zeit hier leben. Aber ich mag es, in Sydney Zeit zu verbringen. Auch das ist ein Fenster in eine andere Welt. Man braucht diese verschiedenen Blickwinkel. Die Stadt ermöglicht mir eine Sicht der Dinge. Der Hawkesbury-River eine andere."

In seinem zuletzt auf Deutsch erschienen Sachbuch "Auf Gedeih und Verderb" versucht Flannery zu erkunden, wann Menschen zu Zerstörern und wann zu Bewahrern der Erde werden. Sein Fazit: Wir sind durchaus noch zu retten.

"Es passiert sehr viel in der Welt – manches gut, manches schlecht. Aber insgesamt, glaube ich, gibt es einen Trend hin zu einer vereinten Menschheit. Das sind doch wirklich gute Neuigkeiten."

Für Zweifler hat Flannery sofort ein Beispiel der deutschen Geschichte parat.

"Vor 20 Jahren gab es noch eine Mauer quer durch Berlin. Die gibt es nun nicht mehr, richtig? Wir machen also Fortschritte."

Und so geht Flannery als Optimist durchs Leben. Von Buch zu Buch. Und von Klimakonferenz zu Klimakonferenz. Er glaubt, es sei ein Glücksfall in dieser Zeit zu leben. Er glaubt, derzeit finde die wichtigste Entwicklung der menschlichen Evolution statt:

"Die Entstehung eines einzelnen menschlichen Organismus, eines Superorganismus."

Flannerys Bücher erzählen wahre Geschichten von Umweltverschmutzung, Gier und Egoismus. Und dennoch ist sich der Autor sicher: Wir sind nicht nur Teil des Problems, sondern auch Teil der Lösung.

"Ich glaube überhaupt nicht, dass Menschen eine böse Macht sind. Ich glaube, sie sind das faszinierendste Produkt der Evolution, das jemals entstanden ist. Aber uns selbst zu verstehen, ist die größte Herausforderung. Zweifellos."

Um die Untiefen des Menschseins zu ergründen, seien Sachbücher jedoch nicht das richtige Werkzeug, sagt er. Deswegen denkt er darüber nach, sich an einem Roman zu versuchen. Ob ihm das gelingt, daran zweifelt er noch. Aber es wäre nicht das erste Mal, dass Tim Flannery ihm unbekanntes Terrain erkundet.

Links bei dradio.de:

"In Regionen hinter der Krötenfront herrscht Grabesstille"
Tim Flannery: Auf Gedeih und Verderb - Die Erde und wir: Geschichte und Zukunft einer besonderen Beziehung.

Auf Gedeih und Verderb
Die Erde und wir: Geschichte und Zukunft

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