Von Adelheid Wedel

Große Kapazitäten denken über gewichtige Gegenstände nach: Hans-Ulrich Gumbrecht und Frank Schirrmacher analysieren in der "FAZ" beziehungsweise "TAZ" den alten und neuen Kapitalismus.
"Sozialismus und Kapitalismus waren zwei ungleiche Brüder. Der eine wollte die Zukunft beherrschen, der andere mit ihr spielen", meint der Publizist Hans Ulrich Gumbrecht in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG und fragt: "Was wird nach dem Tod des einen? Die alten, moralischen Argumente helfen nicht weiter. Wir müssen die Ideologien vergessen", meint der Publizist. Er vergleicht die beiden Gesellschaftssysteme mit den Brüdern Kain und Abel, die "beide so besessen waren von ihrem Kampf und den Perspektiven wechselseitiger Auslöschung. Ihre offen und gestaltbar aussehende Zukunft, ihre schnell verblassende Vergangenheit und ihre Gegenwart des bloßen Übergangs waren notwendig für ihre Koexistenz wie für ihre Rivalität." Heute erleben wir, so Gumbrecht, "wie die Vergangenheit unsere Gegenwart überschwemmt, welche sich inzwischen aus einer Gegenwart des bloßen Übergangs ausgedehnt hat zu einer neuen Gegenwart, wo alles früher Vergangene und alles früher Zukünftige nun zugleich seinen Platz hat in sich immer weiter verbreitender Simultanität." Der Autor nennt das eine "neue Zeit des Alltags", die nicht mehr die Zeit permanent unvermeidlicher Veränderung und Dynamik ist. Er argumentiert weiter: "Wo aber Kapitalismus wie Sozialismus verschwunden sind, ergibt die Vermessung der Gesellschaft nach "rechts" oder "links" keinen Sinn mehr. Kein wohlfeiles Repertoire angeblicher Lösungen hat überlebt." Und, so der deutsch-amerikanische Literaturwissenschaftler, "wir können niemanden dafür verantwortlich machen. Die alten Argumente sind stumpf, und neue haben wir nicht, das ist die nicht nur intellektuelle Dramatik der Gegenwart."

In der Berliner Tageszeitung TAZ unterhalten sich Jan Feddersen und Kai Schlieter mit dem Journalisten Frank Schirrmacher "über die Ökonomisierung des Denkens." Ausgangspunkt des Gesprächs ist die Feststellung Schirrmachers, "egoistisches Verhalten sei heute zum Maßstab der Vernunft geworden". Schirrmacher kritisiert den Neoliberalismus, gesteht aber gleichzeitig, dass er als Kontaminierter spricht. Er war selbst fasziniert von den Verheißungen des Neoliberalismus und – so entschuldigt er sich: "Zu dieser Zeit gab es ja Indizien, dass das auch erfüllt wird." Nach dem Ende des Kalten Krieges, in dem viele Ressourcen verschwendet wurden, herrschte das Gefühl vor, dass wir, so Schirrmacher, "keine Feinde mehr haben. Jetzt konnten wir zeigen, wer wir sind. Danach kam die Versprechung der sich frei regulierenden Kräfte." Der amerikanische Präsident Reagan sprach als Erster von der "Ökonomie des Geistes", darin steckte bereits der Keim für eine umfassende Ökonomisierung sämtlicher Lebensbereiche. "Danach waren die Finanzmärkte das Erste, das Nächste sind wir alle durch die digitale Vernetzungsstruktur." Das sei keine Verschwörung und keine perfide Strategie, sondern einfach eine Folge von Effizienzdenken, Kosten-Nutzen-Berechnungen und von Maschinen, die diese Rationalität verkörpern. "Was ist ein Mensch noch in 20 Jahren wert?" fragt Schirrmacher und entwirft ein düsteres Zukunftsbild, in dem die Maschinen besser über unsere Wünsche und Vorlieben Bescheid wissen als wir selbst.

Breiten Raum in den Feuilletons vom Wochenende nimmt die 47. Art Cologne ein. Sie wird durchgehend positiv bewertet. Die WELT fasst zusammen: "Sie scheut Trends und Risiken. Dafür kann die Messe mit so manchem Millionenwerk locken." Eine Straßenszene von L. Kirchner für 3,75 Millionen ist das teuerste Werk in diesem Jahr.

"Er gilt als der Perfektionist unter den Dirigenten", schreibt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG in ihrer Gratulation zum 70. Geburtstag des Dirigenten John Eliot Gardiner. Die WELT nennt ihn einen "alte-Musik-Pionier" und die
FRANKFURTER RUNDSCHAU wählte die Umschreibung: "Feingeist aus dem Reich des rauen Originalklangs."