Von Adelheid Wedel

09.10.2012
Die Feuilletons loben durchweg die Entscheidung der Buchpreis-Jury für Ursula Krechel und ihren Roman "Landgericht". Aber auch die Eröffnung der Frankfurter Buchmesse wurde von den Kulturjournalisten ausgiebig besprochen.
Ausnahmslos alle uns vorliegenden Feuilletons vom Mittwoch verkünden ihre Meinung zur neuen Buchpreisträgerin Ursula Krechel und ihren Roman "Landgericht"; ausnahmslos alle Rezensenten sind zufrieden mit der diesjährigen Juryentscheidung. So viel Einmütigkeit - das muss festgehalten werden - ist selten. In der FRANKFURTER RUNDSCHAU zitiert Judith von Sternburg zunächst Sätze aus der Begründung für den Buchpreis:

"Es sei ein bewegender, politisch akuter, in seiner Anmutung bewundernswert kühler und moderner Roman, der zwischen Erzählung, Dokumentation, Essay und Analyse oszilliere. Bald poetisch, bald lakonisch zeichne die Autorin ein präzises Bild der frühen Bundesrepublik."

Von Sternburg fügt hinzu:

"So Bitteres hat man darüber lange nicht gelesen - oder noch gar nicht, nicht so jedenfalls."

Ihr sei ein bisschen schwindelig, sagte Ursula Krechel bei der Preisverleihung am Montag. Sie erklärte, das "Landgericht" sei ihr 23. Buch, "ein Gang übers Eis jedes davon".

Im TAGESSPIEGEL listet Katrin Hillgruber - ebenfalls mit lobendem Grundton - die bisherigen Bücher der Preisträgerin auf, dort erfahren wir:

"Seit 2001 erscheinen Krechels inzwischen mehr als 30 Bücher im Salzburger Verlag Jung und Jung."

Wer hat sich hier verzählt? Nicht so wichtig, wichtiger das Urteil im Tagesspiegel:

"Neben der spielerischen Welterkundung wie im Lyrikband 'Kakaoblau' sind immer wieder Gewalt und Krieg ihr Thema."

Jahrelang hat Krechel für ihre Recherche zum Roman "Shanghai fern von wo" in Archiven zugebracht und Aktenstapel gewälzt.

"Ihren Marathon durch die jüngere deutsche Geschichte hat sie nun mit 'Landgericht' erfolgreich fortgesetzt."

Auf diese ausdauernde Archivarbeit spielt Elmar Krekeler in der Tageszeitung DIE WELT an, indem er ein Vorurteil entkräftet:

"Fortgesetzter Umgang mit alten Akten, fortgesetzter Aufenthalt in Archiven trägt mitnichten zu Verstaubtheit und vorzeitiger Vergreisung bei. Das Innere von Aktenbergen muss man sich, jedenfalls wenn man Ursula Krechel begegnet, (...) als Jungbrunnen vorstellen."

Auch das eines der vielen Komplimente, die die Autorin in diesen Tagen bekommt. Sie wird sie mit der ihr eigenen "rationalen Empathie" wegstecken.

Natürlich geben die Feuilletons neben der Preisverleihung des Deutschen Buchpreises der Frankfurter Buchmesse und vor allem ihrem diesjährigen Gastland breiten Raum. Im TAGESSPIEGEL lesen wir:

"Neuseeland, Ehrengast der Buchmesse, ist geprägt von Maori-Traditionen und europäischem Erbe. Seine Schriftstellerinnen und Schriftsteller mögen aus einem anderen Universum kommen. Berlin sind einige von ihnen erstaunlich nahe."

Witi Ihimaera ist einer von ihnen:

"Mit seinem Roman 'Whale Rider' wurde er weltberühmt. Vom Essay bis zum Libretto glänzt der Maori-Abkömmling, Jahrgang 1944, in vielen Genres."

Im Interview mit Babette Kaiserkern berichtet er von seinen Büchern und deren Wirkung. Er sagt:

"Ich schreibe, weil ich eine pazifische Identität schaffen möchte, nicht bloß eine Maori-Identität. Mein jüngster Roman 'The Parihaka Woman' verbindet Maori-Mythen mit Elementen europäischer Kultur."

Er verrät, dass er zu diesem Roman von Beethovens "Fidelio" inspiriert wurde. Lachend fügt er hinzu:

"Als ich das schrieb, wusste ich noch nichts von der Frankfurter Buchmesse. Der erzählerische Antrieb für 'Whale Rider'", in dem es unter anderem um Fragen der geschlechtlichen Gleichheit und Identität geht, "war die bedingungslose Liebe eines kleinen Mädchens zu ihrem Großvater, obwohl es von diesem als zukünftiges Oberhaupt des Clans wegen ihres Geschlechts abgelehnt wird. Sie tut alles, um das Erbe der Herkunft zu erfüllen. Und sie wird eine Anführerin. Die neuseeländische Erstausgabe 1987 hatte ich einer 19-Jährigen gewidmet. Hekia Parate. Heute ist sie Ministerin für Erziehung und pazifische Angelegenheiten."