Von Arno Orzessek

In der "SZ" verteidigt Ina Hartwig den sozialdemokratischen Gesellschaftsentwurf. Die "Zeit" druckt - ernsthaft! - einen Artikel über die "Philosophie des Plätzchens". Weitere Themen: die enttäuschende Rede des chinesischen Literaturnobelpreisträgers Mo Yan und die Streitereien beim Suhrkamp-Verlag.
"Raus aus der Geschmacksecke!" -

befahl Mitte der Woche Ina Hartwig in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.

"Die deutschen Intellektuellen" [so Hartwig] "scheuen sich vor parteipolitischen Bekenntnissen, was den Vorteil hat, nicht mit dem biederen, technokratischen politischen Personal identifiziert zu werden. Es hat aber auch Nachteile, nämlich vor allem den, dass den Parteien die Intellektuellen fehlen."

Damit sich’s ändert, legte die SZ-Autorin ihre eigenen Präferenzen stracks offen.

"Im Kern" [spricht] "nach wie vor einiges […] für den sozialdemokratischen Gesellschaftsentwurf. Der nämlich garantiert eine Perspektive, die um ihrer säkularen Barmherzigkeit willen verteidigt zu werden verdient."

An Jens Jessen mag Hartwigs "Raus aus der Geschmacksecke!" verschwendet sein.

Der Autor der Wochenzeitung DIE ZEIT veröffentlichte eine dreiseitige

"Philosophie des Plätzchens"

und befasste sich mit Fragen wie diesen:

"Weshalb kennen Plätzchen keine Demokratie? Wie steht es um ihre Moral? Was macht der Verzehr mit uns? Plätzchenfragen sind Existenzfragen."

Auch als Träumer des Absoluten gab sich Jessen angesichts der von ihm errechneten

"13824"

möglichen Sorten zu erkennen:

"Der erfüllte Plätzchentraum ist […] nicht in der Nähe jener übersüßen, überprall gefüllten Nougatexzesse zu suchen, die sich nach Mozart nennen. Nougat ist nur die vulgäre Bestätigung des Elends. Es verlangt die Connaisseurs, die in der Entbehrung ihr Gelüst trainierten, gerade nach der Eleganz eines gar nicht so reich gefüllten Brabanters (ein Hauch nur von Konfitüre zwischen seinen seidigen Flanken)."

War das süß, was Jessen da schrieb? Oder war es doch etwas bitter für die ZEIT? So oder so: Glücklich das Land, das sich solche Feuilletons leistet.

Und an härterem Stoff als Spekulatius fehlte es ja beileibe nicht. Einigen davon lieferte Mo Yan, in diesem Jahr Nobelpreisträger für Literatur.

In der Tageszeitung DIE WELT erklärte Johnny Erling, warum viele chinesische Anhänger von Mo Yans Auftritt in Stockholm - bei seiner Preisrede, aber auch auf der Pressekonferenz - enttäuscht waren:

"Mo Yan hatte in einem peinlichen Vergleich um Verständnis für Pekings diktatorisch ausgeübte Zensur […] geworben, indem er sie mit den unbequemen, aber notwendigen Sicherheitskontrollen auf internationalen Airports gleichsetzte. Die wachsende Schar chinesischer Bürgerrechtler stieß er […] mit seiner Weigerung vor den Kopf, sich für seinen […] inhaftierten Landsmann […] Liu Xiaobo […] zu verwenden. Er lasse sich nicht zur Unterstützungserklärungen zwingen, erklärte er trotzig. Seither erntet er wüste Beschimpfungen",

berichtete WELT-Autor Erling.

Sehr spitz auch die Schelte von Andreas Breitenstein in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG:

"Bauernschlau suchte Mo Yan" [in Stockholm] "mit […] widersprüchlichen, ja konfusen Überlegungen den Spagat zwischen Anpassung und Widerstand zu bewerkstelligen. Zum Heroismus der Kritik fehlt ihm wohl der Intellekt, gewiss aber der Mut."

Anders Burkhard Müller. Der SZ-Autor gestand Mo zu, allein durch die Literatur sprechen zu wollen - und distanzierte sich von westlichen Stimmen, die Regimekritik zur ethischen Pflicht des Nobelpreisträgers erheben wollen.

"Denkt man darüber nach" [bemerkte Müller], "so steckt in dieser Haltung mehr als eine nur vorsichtige Dosis Arroganz: In China soll der Autor ganz selbstverständlich eine Aufgabe erfüllen, von der wir uns im Westen entbinden durften, weil die Dinge bei uns bekanntlich so viel besser liegen." -

Schlecht stehen die Dinge beim Suhrkamp Verlag, seit Ulla Unseld-Berkéwicz nach einem Urteil des Landgerichts Berlin als Geschäftsführerin abberufen worden ist.

Hans Barlach, Medienunternehmer und Suhrkamp-Anteilseigner, hatte sie und zwei weitere Geschäftsführer wegen Kompetenzüberschreitung und Veruntreuung verklagt.

Unter dem Titel

"Der große Knall"

schrieb Peter Michalzik in der FRANKFURTER RUNDSCHAU:

"Bisher wurde bei Suhrkamp die Tradition sozusagen persönlich weitergereicht, zu nächst von Peter Suhrkamp an Siegfried Unseld, dann von Unseld an Ulla Unseld-Berkéwicz. Das war immer mit Streit, Eifersucht und Missgunst verbunden, führte aber nie zu einem Auseinanderbrechen des Unternehmens. Jetzt erscheint es erstmals möglich, dass der Verlag von außen übernommen wird oder zerbricht."

WELT-Autor Richard Kämmerlings mahnte

"Rettet, was zu retten ist",

konstatierte aber, dass es dabei finanzielle Hürden gebe.

"Aus den veröffentlichen Bilanzen geht […] hervor, dass der Verlag seit Jahren rote Zahlen schreibt, Tendenz steigend - eine Ausnahme was das Jahr 2010, weil das Archiv und das Frankfurter Westend-Grundstück verkauft wurden, was damals auf einen Schlag ungefähr sechseinhalb Millionen in die Kasse spülte. Doch selbst 2008, als man mit Uwe Tellkamps 'Turm' den letzten wirklichen Mega-Bestseller hatte, stand am Ende ein Minus."

In der ZEIT konzentrierte sich Ijoma Mangolds Verfallsanalyse auf die abberufene Geschäftsführerin.

"Ulla Berkéwicz, das hat sie nicht nur mit ihrer Neugründung des Verlags der Weltreligionen bewiesen, hat einen sehr anspruchsvollen verlegerischen Ehrgeiz. Zur Aura des Verlags gehört auch seine scharfe Abgrenzung von der Populärkultur. Wo S. Fischer seinen Tommy Jaud und Rowohlt seinen Eckart von Hirschhausen hat, da klafft bei Suhrkamp eine stolze Lücke. Es ist nicht so, dass man sich da ein Umdenken wünscht. Aber man wünscht sich auch nicht, dass der Verlag in stolzer Vornehmheit untergeht."

Schließlich machte ein Vorschlag des Schweizer Schriftstellers Adolf Muschg die Runde: Bundespräsident Gauck möge im Hause Suhrkamp vermitteln.

Woraufhin die FAZ schätzte, dass Barlach dann seinerseits Heiner Geißler als Vermittler hinzuzöge, Berkéwicz ihrerseits Margot Käßmann. Und das Ende vom Lied kannte die FAZ auch:

"Nach der" [gelungenen] "Rettung sprechen sich Gauck, Geißler und Käßmann in einer gemeinsamen Presseerklärung für eine 'Suhrkamp-Kultur des Hinschauens' aus."

Nun denn. Wir weisen darauf hin, dass das Wort des Jahres 2012 "Rettungsroutine" lautet, und verabschieden uns mit dem Fazit der Woche, das in der SZ Überschrift wurde:

"Es wäre besser, wenn es besser wäre."