Von Arno Orzessek
Die Uraufführung von Rihms "Proserpina" unter der Regie von Hans Neuenfels im Rahmen der Schwetzinger Festspiele wurde in allen Feuilletons gewürdigt. Tschechows "Kirschgarten" zum Auftakt der Ruhrfestspiele in Recklinghausen hingegen löste bei der "FAZ" wenig Begeisterung aus. Und im "Tagesspiegel" erklärt Thomas Brussig, warum die Entwürfe zum Einheitsdenkmal allesamt von der Jury abgelehnt worden sind.
"Endlos liegen vor dir die Trauergefilde / Und was du suchst, liegt immer hinter dir" heißt es in Goethes Monodrama "Proserpina", das der Komponist Wolfgang Rihm zum Libretto seiner gleichnamigen neuen Oper erkoren hat. Es geht darin um die Tochter des Zeus, die von Pluto in die Unterwelt entführt wurde.
Die Uraufführung von Rihms "Proserpina" unter der Regie von Hans Neuenfels im Rahmen der Schwetzinger Festspiele wurde Anfang der Woche in allen Feuilletons gewürdigt.
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG erklärte Reinhard J. Brembeck:
"Eine Frau wird fertig gemacht von einer präpotenten Männerwelt: So banal lässt sich die Botschaft des Stücks zusammenfassen. Aber nicht wegen dieser Botschaft jubeln die Menschen bei den Schwetzinger Festspielen. Sie jubeln, weil diese Geschichte erlebbar gemacht wird durch eine höchst artifizielle Musik, die häufig an und über die Grenzen des sängerisch Möglichen geht, was Mojca Erdmann unerschrocken in Ausdruck umformt."
Den Beifall der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG zollte Peter Hagmann. Er fand besonderen Gefallen an Erdmanns Apfelbiss:
"Keine Frage ist dabei [so Hagmann], dass der Biss in den Apfel vom Komponisten als sexuelle Metapher aufgefasst ist. Jedenfalls steigert sich die Darstellerin der Proserpina – und die junge Sopranistin Mojca Erdmann macht nicht nur das, das aber ganz besonders gut – über eine Folge von «Ah»-Lauten in eine heftige Ekstase hinein. […] Rihms musikalische Handschrift hatte immer ihre eruptive, ja körperliche Seite; so ist es auch hier."
Genauso viel Beachtung wie die Schwetzinger "Proserpina" fand "Der Kirschgarten", ein Stück von Anton Tschechow, das unter der Leitung von Oscar-Preisträger, Film- und Theaterregisseur Sam Mendes zum Auftakt der Ruhrfestspiele in Recklinghausen aufgeführt wurde.
In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG zeigte sich Andreas Rossmann angesäuert. Tschechows "Kirschgarten" sei unter Sam Mendes
"zum edelschnulzigen Salonstück verflacht: ein Kitschgarten. Jedes bessere deutsche Stadttheater kann, auch wenn ihm für den Studenten Sergejewitsch kein [Hollywoodstar wie] Ethan Hawke zur Verfügung steht, diese Aufführung in den Schatten stellen."
So erbost in der FAZ Andreas Rossmann.
Und damit aus der Welt der Fiktionen, die auf dem Theater aufgeführt werden, in die virtuelle Welt, die bunt hinter dem Bildschirm liegt.
In der TAGESZEITUNG behauptete Christian Rath, die von Familienministerin Ursula von der Leyen betriebene Sperrung von Kinderporno-Seiten sei nur darum ein Erfolg, weil statt Kinder- vor allem Jugendpornografie auf die "sonst peinlich leeren Sperrlisten" gesetzt würde.
TAZ-Autor Rath prognostizierte zunehmende Zensur:
"Wenn das Kinderpornosperrgesetz so zum Erfolg manipuliert wurde, werden sich bald andere Interessenten melden: Die Musikindustrie will illegale Downloadseiten sperren, die staatlichen Lotto-Gesellschaften wollen verbotene Internet-Glücksspiele bannen, und der Verfassungsschutz will den Zugang zu strafbaren Bombenbauanleitungen verhindern."
Im Netzjargon – soviel nebenbei – wird Ursula von der Leyen "Zensursula" genannt.
In eine neue Runde ging die Diskussion um Google, den Suchmaschinenprimus, der zugleich ein rabiater Medienkonzern mit laxen Vorstellungen von Urheberrecht ist.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG ließ den nicht übermäßig berühmten amerikanischen Autor Michael W. Perry zu Wort kommen. Perry nahm Googles Ansinnen aufs Korn, Texte vergriffener Bücher ins Netz zu stellen, sofern die Autoren nicht rechtzeitig dagegen protestieren, und wandte sich an die Leser der FAZ:
"Es ist, als erhielte eine Bank die Anweisung, von Ihrem Konto Geld an jemanden zu überweisen, sofern Sie der Bank bis zu einem bestimmten, nur wenigen bekannten Stichtag nicht mitteilen, dass Sie sich Ihr Geld nicht stehlen lassen wollen."
Unter dem Titel "Rasseln, röcheln, retten" persiflierte in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG Bernd Graf den Kampf um die Netz-Hoheit:
"Ein Gespenst geht um in Europa. Es ist das Gespenst des Urheberrechts. Nein! Es ist das Gespenst der Internetzensur. Nein! Es ist das Gespenst der grenzenlosen Freiheit des Netzes. Nein! Es sind drei Gespenster, die gerade aufeinander losgelassen werden von den Lobbyisten der Urheber, den Gegnern der Zensur und den Nostalgikern der War-doch-immer-so-Freiheit des Webs."
Ähnlich disparat wie die Ansichten zum Internet sind die 532 Entwürfe zum sogenannten Einheitsdenkmal, das besser Zwietrachtdenkmal hieße. Die Jury hat sämtliche Entwürfe abgelehnt.
Schriftsteller und Jury-Mitglied Thomas Brussig erklärte im Berliner TAGESSPIEGEL, man sei letztlich an unmöglichen Bedingungen gescheitert:
"Freiheits- und Einheitsstreben der Deutschen seit der Varusschlacht bis in die Zukunft, wobei auch die europäische Komponente nicht vernachlässigt werden darf, in einem gleichermaßen zeitgenössischen wie zeitlosen Entwurf darzustellen - das in etwa wurde erwartet."
Wie in einer starken Unterströmung hat sich in der letzten Woche auch die Fehde der Konservativen mit den Linken fortgesetzt – wobei erneut erkennbar wurde, dass beide Seiten ihre Feindbilder stark stilisieren.
Am hetzerischsten gebärdete sich in der Tageszeitung DIE WELT Arnulf Baring. Der konservative Historiker rezensierte das Bekehrungsbuch Unter Linken. Von einem, der aus Versehen konservativ wurde von SPIEGEL-Autor Jan Fleischhauer. Vor lauter Begeisterung beschränkte sich Baring auf Zitate und Paraphrasen – darunter diese:
"Am Anfang aller linken Politik, meint Fleischhauer, stehe das Opfer, das durch diesen Status entlastet sei. Andere sind dann Schuld am eigenen Zustand, die persönliche Verantwortung ist daher gering. Der Opferstatus sichert Aufmerksamkeit und Anteilnahme. Wer ihn einmal für sich reklamiert hat, besitzt eine Freifahrkarte fürs Sozialnetz mit beinahe unbegrenzter Laufzeit."
So Arnulf Baring – dem hiermit der Preis für den ideologischsten Artikel der Woche verliehen sei – in der WELT.
Wir begannen mit Proserpina, vor der endlos die Trauergefilde liegen. Wir schließen mit einem Artikel von Jordan Mejias in der FAZ-Samstagsausgabe. Er handelt von James Wesley Rawles, dem amerikanischen Propheten des Untergangs, der sich gerade großer Beliebtheit erfreut.
Die Überschrift in der FAZ jedoch überträgt letzten Trost. Sie lautet:
"Wie das Ende unserer Welt zu überleben ist."
Die Uraufführung von Rihms "Proserpina" unter der Regie von Hans Neuenfels im Rahmen der Schwetzinger Festspiele wurde Anfang der Woche in allen Feuilletons gewürdigt.
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG erklärte Reinhard J. Brembeck:
"Eine Frau wird fertig gemacht von einer präpotenten Männerwelt: So banal lässt sich die Botschaft des Stücks zusammenfassen. Aber nicht wegen dieser Botschaft jubeln die Menschen bei den Schwetzinger Festspielen. Sie jubeln, weil diese Geschichte erlebbar gemacht wird durch eine höchst artifizielle Musik, die häufig an und über die Grenzen des sängerisch Möglichen geht, was Mojca Erdmann unerschrocken in Ausdruck umformt."
Den Beifall der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG zollte Peter Hagmann. Er fand besonderen Gefallen an Erdmanns Apfelbiss:
"Keine Frage ist dabei [so Hagmann], dass der Biss in den Apfel vom Komponisten als sexuelle Metapher aufgefasst ist. Jedenfalls steigert sich die Darstellerin der Proserpina – und die junge Sopranistin Mojca Erdmann macht nicht nur das, das aber ganz besonders gut – über eine Folge von «Ah»-Lauten in eine heftige Ekstase hinein. […] Rihms musikalische Handschrift hatte immer ihre eruptive, ja körperliche Seite; so ist es auch hier."
Genauso viel Beachtung wie die Schwetzinger "Proserpina" fand "Der Kirschgarten", ein Stück von Anton Tschechow, das unter der Leitung von Oscar-Preisträger, Film- und Theaterregisseur Sam Mendes zum Auftakt der Ruhrfestspiele in Recklinghausen aufgeführt wurde.
In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG zeigte sich Andreas Rossmann angesäuert. Tschechows "Kirschgarten" sei unter Sam Mendes
"zum edelschnulzigen Salonstück verflacht: ein Kitschgarten. Jedes bessere deutsche Stadttheater kann, auch wenn ihm für den Studenten Sergejewitsch kein [Hollywoodstar wie] Ethan Hawke zur Verfügung steht, diese Aufführung in den Schatten stellen."
So erbost in der FAZ Andreas Rossmann.
Und damit aus der Welt der Fiktionen, die auf dem Theater aufgeführt werden, in die virtuelle Welt, die bunt hinter dem Bildschirm liegt.
In der TAGESZEITUNG behauptete Christian Rath, die von Familienministerin Ursula von der Leyen betriebene Sperrung von Kinderporno-Seiten sei nur darum ein Erfolg, weil statt Kinder- vor allem Jugendpornografie auf die "sonst peinlich leeren Sperrlisten" gesetzt würde.
TAZ-Autor Rath prognostizierte zunehmende Zensur:
"Wenn das Kinderpornosperrgesetz so zum Erfolg manipuliert wurde, werden sich bald andere Interessenten melden: Die Musikindustrie will illegale Downloadseiten sperren, die staatlichen Lotto-Gesellschaften wollen verbotene Internet-Glücksspiele bannen, und der Verfassungsschutz will den Zugang zu strafbaren Bombenbauanleitungen verhindern."
Im Netzjargon – soviel nebenbei – wird Ursula von der Leyen "Zensursula" genannt.
In eine neue Runde ging die Diskussion um Google, den Suchmaschinenprimus, der zugleich ein rabiater Medienkonzern mit laxen Vorstellungen von Urheberrecht ist.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG ließ den nicht übermäßig berühmten amerikanischen Autor Michael W. Perry zu Wort kommen. Perry nahm Googles Ansinnen aufs Korn, Texte vergriffener Bücher ins Netz zu stellen, sofern die Autoren nicht rechtzeitig dagegen protestieren, und wandte sich an die Leser der FAZ:
"Es ist, als erhielte eine Bank die Anweisung, von Ihrem Konto Geld an jemanden zu überweisen, sofern Sie der Bank bis zu einem bestimmten, nur wenigen bekannten Stichtag nicht mitteilen, dass Sie sich Ihr Geld nicht stehlen lassen wollen."
Unter dem Titel "Rasseln, röcheln, retten" persiflierte in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG Bernd Graf den Kampf um die Netz-Hoheit:
"Ein Gespenst geht um in Europa. Es ist das Gespenst des Urheberrechts. Nein! Es ist das Gespenst der Internetzensur. Nein! Es ist das Gespenst der grenzenlosen Freiheit des Netzes. Nein! Es sind drei Gespenster, die gerade aufeinander losgelassen werden von den Lobbyisten der Urheber, den Gegnern der Zensur und den Nostalgikern der War-doch-immer-so-Freiheit des Webs."
Ähnlich disparat wie die Ansichten zum Internet sind die 532 Entwürfe zum sogenannten Einheitsdenkmal, das besser Zwietrachtdenkmal hieße. Die Jury hat sämtliche Entwürfe abgelehnt.
Schriftsteller und Jury-Mitglied Thomas Brussig erklärte im Berliner TAGESSPIEGEL, man sei letztlich an unmöglichen Bedingungen gescheitert:
"Freiheits- und Einheitsstreben der Deutschen seit der Varusschlacht bis in die Zukunft, wobei auch die europäische Komponente nicht vernachlässigt werden darf, in einem gleichermaßen zeitgenössischen wie zeitlosen Entwurf darzustellen - das in etwa wurde erwartet."
Wie in einer starken Unterströmung hat sich in der letzten Woche auch die Fehde der Konservativen mit den Linken fortgesetzt – wobei erneut erkennbar wurde, dass beide Seiten ihre Feindbilder stark stilisieren.
Am hetzerischsten gebärdete sich in der Tageszeitung DIE WELT Arnulf Baring. Der konservative Historiker rezensierte das Bekehrungsbuch Unter Linken. Von einem, der aus Versehen konservativ wurde von SPIEGEL-Autor Jan Fleischhauer. Vor lauter Begeisterung beschränkte sich Baring auf Zitate und Paraphrasen – darunter diese:
"Am Anfang aller linken Politik, meint Fleischhauer, stehe das Opfer, das durch diesen Status entlastet sei. Andere sind dann Schuld am eigenen Zustand, die persönliche Verantwortung ist daher gering. Der Opferstatus sichert Aufmerksamkeit und Anteilnahme. Wer ihn einmal für sich reklamiert hat, besitzt eine Freifahrkarte fürs Sozialnetz mit beinahe unbegrenzter Laufzeit."
So Arnulf Baring – dem hiermit der Preis für den ideologischsten Artikel der Woche verliehen sei – in der WELT.
Wir begannen mit Proserpina, vor der endlos die Trauergefilde liegen. Wir schließen mit einem Artikel von Jordan Mejias in der FAZ-Samstagsausgabe. Er handelt von James Wesley Rawles, dem amerikanischen Propheten des Untergangs, der sich gerade großer Beliebtheit erfreut.
Die Überschrift in der FAZ jedoch überträgt letzten Trost. Sie lautet:
"Wie das Ende unserer Welt zu überleben ist."