Von Arno Orzessek

Die UNESCO hat Dresden den Welterbestatus entzogen. Für die "Berliner Zeitung" sind dafür "Freie-Fahrt-Fanatiker, provinzielle Engstirnigkeit und alternativlos denkende Politiker" verantwortlich. "Plakativ und platt" - so nennt die "Süddeutsche" die "Don Carlos"-Inszenierung bei den Mannheimer Schillertagen. Und die "FAZ" lobt das neue Dornier-Museum in Friedrichshafen.
Es ist, als habe sich eine Riesenlaus auf Deutschlandreise begeben, um den Feuilletonisten über die Leber zu laufen. Die aktuellen Ausgaben strotzen jedenfalls vor Häme, Wut und Spott.

Unter dem diskriminierend gemeinten Titel "Los Wochos" – so nennt bekanntlich McDonald’s immer mal wieder seine Fast-Food-Festspiele – lästert in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG Christopher Schmidt über die 15. Mannheimer Schillertage.

Besonders die "Don Carlos"-Inszenierung des katalanischen Theaterschrecks Calixto Bieito lässt Schmidt den Kamm schwellen:

"Plakativ und platt, rampennah und gedankenfern macht Bieito aus dem 'Don Carlos' einen Schreckensbilderbogen mit Blasmusik. Zwischen Staats- und Geschlechtsakt, Damenklau und Samenstau meint man, die schartigen Kastagnetten eines Pop-Theaters zu hören, die nur noch für die Touristen rausgeholt werden. Große Seifenoper."

Christopher Schmidts SZ-Kollege Christoph Haas lästert über den Roman "Im Winter der Löwen" von Jan Costin Wagner:

"Narrativ greift alles so nahtlos ineinander, wie Ratgeber für Drehbuchautoren es empfehlen. Keine Abschweifungen, nur ja keine Überforderung der Aufmerksamkeit!"

Um mit der SZ-Nörgler-Riege abzuschließen, kommen wir zu Gerhard Matzig.

Oft genug hat sich Matzig über die aktuelle Architektur und deren Schöpfer aufgeregt. Zum "Tag der Architektur" am Samstag trifft sein Bannstrahl nun die seit Jahren schwelende Debatte über Tradition versus Moderne:

"Die jüngste, hoffentlich abschließend geführte Architekturdebatte ist […] stilsicher auch die klischeehafteste, ja dümmste in der Ära der simplifizierenden Architekturskandale."

Wie schön wäre es – werfen wir ein – wenn SZ-Autor Gerhard Matzig wenigstens einmal einen lächelnden Artikel schreiben würde.

Ein ungeeignetes Thema wäre allerdings das Dresdner Elbtal, dem die UNESCO wegen der Waldschlößchenbrücke nun den Welterbestatus aberkannt hat.

Mit brennenden Fingerkuppen geht Nikolaus Bernau in der BERLINER ZEITUNG auf die Brücken-Lobby in CDU, FDP und ADAC los:

"Der Schaden […] den Freie Fahrt-Fanatiker, provinzielle Engstirnigkeit und alternativlos denkende Politiker angerichtet haben, ist überhaupt noch nicht absehbar, weder für Dresden, noch für die internationale Wahrnehmung der deutschen Kulturpolitik."

In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG fordert Dieter Bartetzko von der UNESCO, sie möge doch bitte den Zustand des Welterbes in Pompeji, Peking, Angkor Vat und Babylon genauso kritisch beäugen wie das Elbtal. Aber die Sachsen, die bekommen dann doch ihr FAZ-Fett weg:

"Aus dem geschundenen Dresden, das seine mit finanzieller Hilfe aus dem In- und Ausland bewerkstelligte Auferstehung als Wunder des Barock einer deutschen und internationalen Sühneleistung verdankt, wurde nach und nach eine verhätschelte, selbstbezogene und selbstzufriedene Stadt …"

schreibt Dieter Bartetzko in der FAZ.

Aber Schluss mit Schimpf und Schande – geschwärmt wird in den aktuellen Feuilletons natürlich auch.

In selbiger FAZ zum Beispiel gibt sich Andreas Kilb unter dem Titel "Die fliegenden Kisten der tollkühnen Männer" als Flugzeug-Liebhaber zu erkennen.

Kilb hat das neue Dornier-Museums in Friedrichshafen besucht, der Stadt, in die bisher vor allem Zeppelin-Freunde gepilgert sind, denn den Zeppelinen wurde dort längst ein Museum gewidmet. Über Dornier schwärmt FAZ-Autor Kilb wie einst die Futuristen übers Automobil:

"Wenn es einen besonderen Geist […] der Marke Dornier gibt, ist es das Prinzip der Gedankenfreiheit. Die Dornier-Flugzeuge wirken spielerischer, unorthodoxer als die Maschinen von Messerschmitt, Junkers oder Heinkel, ihre Motoren, Leitwerke, Tragflächen und Pilotenkanzeln sind […] mit fast surrealer Leichtigkeit zusammengefügt."

Ein Lobgesang ist das, was Andreas Kilb dort schreibt.

Und so auch Christiane Tewinkel. Sie berichtet im TAGESSPIEGEL von einem Konzert Jessye Normans in der Berliner Philharmonie. Am Ende habe das Publikum auf Aufforderung der großartigen Sängerin einen Titel mitgesungen – keinen anderen als Amazing Grace:

Amazing grace! - how sweet the sound -
That saved a wretch like me!


Das ist so schön, das übersetzen wir jetzt nicht mehr!