Von Arno Orzessek

Die Feuilletons befassen sich mit den neueren Schriften Peter Sloterdijks, einer Vincent-van-Gogh-Ausstellung in Köln sowie Reden von Politikern.
In der aktuellen, sehr attraktiven Feuilleton-Produktion geht es oft um Politisches, Rhetorisches und Televisionäres – und nicht anders hier bei uns.

In der Wochenzeitung DIE ZEIT rechnet der Philosoph Axel Honneth mit dem neueren Schrifttum seines Fachkollegen Peter Sloterdijk ab.

Dieser hatte in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG den Sozialstaat als Herrschaft der Transfer-Empfänger verhöhnt. Nun warnt Honneth mit einiger Bitterkeit:

"Und also ergeht über unser Land der Schlachtruf [Sloterdijks] an die Vermögenden und Reichen, endlich zu den ihnen zu Gebote stehenden Waffen zu greifen und einen ’antifiskalischen Bürgerkrieg’ zu eröffnen, um wieder zu einem Leben in Stolz und beglückender Selbstachtung zurückzufinden."

Im Weiteren macht Axel Honneth in der ZEIT den ZDF-Talker Sloterdijk mit verantwortlich für den "Grad an Verspieltheit, an Ernstlosigkeit und Verquatschtheit", an dem aus seiner Sicht die hiesige Demokratie leidet.

Weil wir gerade unter Philosophen sind, folgende Abschweifung. Es war Martin Heidegger, der auf van Goghs Gemälde "Ein paar Schuhe" die Worte gemünzt hat:

"Unter den Sohlen schiebt sich hin die Einsamkeit des Feldweges durch den sinkenden Abend. In dem Schuhzeug schwingt der verschwiegene Zuruf der Erde."

Das steht ebenfalls in der ZEIT. Thomas Assheuer hat in Köln die Ausstellung besucht, die nur dieses eine van Gogh- Gemälde zeigt, und zitiert den lehmigen Heidegger mit spürbarem Vergnügen.

Im RHEINISCHEN MERKUR, einer weiteren Wochenzeitung, verkündet der Schriftsteller Thomas Brussig per Interview "Nichtwählen ist Freiheit" und erklärt der skeptischen Gesprächsführerin Angelika Luderschmidt:

"Was ist Ihnen lieber: eine hohe Wahlbeteiligung oder eine hohe Lebenszufriedenheit? Im Paradies geht man nicht wählen. In der Hölle wäre die Wahlbeteiligung hoch – weil alle den Kandidaten wollen, der das Feuer kleiner stellt."

Das ist sehr ordentlich formuliert von Thomas Brussig, das ist witzig und merkfähig, das ist Rhetorik – und über deren Bedeutung seit der Antike gibt im selben RHEINISCHEN MERKUR der Berliner Literaturwissenschaftler Oliver Lubrich Auskunft:

"Es ist faszinierend, wie ciceronisch Reden von einem Politiker wie Barack Obama sind. […]. Man kann sie wie kanonische Texte analysieren und zeigen, wie viel wir von dem, was sich als hochgradig rhetorisch erweist, beim Zuhören gar nicht so wahrnehmen."

Hans-Joachim Neubauer vom MERKUR spricht – das gehört sich so bei diesem Thema –, auch die üblen Erfahrungen der Deutschen mit der Mörder-Rhetorik von Hitler und Goebbels an. Deren Nachwirkungen reichen für Lubrich bis in die Gegenwart:

"Vielleicht ist es kein Zufall, dass die erfolgreichsten konservativen deutschen Politiker der letzten Jahrzehnte, Helmut Kohl und Angela Merkel, dezidiert uncharismatische, geradezu antirhetorische Persönlichkeiten sind, die als sympathisch und glaubwürdig empfunden werden, gerade weil sie sich so offensichtlich unrednerisch geben."

"Das Fernsehen schläfert uns ein, nicht die Politiker", heißt es in der FAZ, die notorisch Spaß daran hat, TV-Journalisten abzukanzeln. Dieses Mal lästert Michael Hanfeld:

"Man wünschte sich, die Fernsehmacher würden morgens nicht vor den Spiegel treten, um sich zu pudern oder glattzurasieren, sondern um sich selbst zu erkennen. Denn sie sind die Langweiler, nicht die Politiker. […] Ein Kreislauf selbstrefentieller Autisten. Das Raumschiff Berlin, eine andere Umlaufbahn, ein Paralleluniversum."

Michael Hanfeld hätte unseren uneingeschränkten Beifall, wenn er nicht in der branchenüblichen Zwickmühle stecken würde. Auch die verächtlichste FAZ-Fernsehberichterstattung profitiert letztlich im gehobenen Trittbrettfahrerstil von der Popularität der Flimmerkiste.

Holger Liebs im Übrigen, Fernsehgucker der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, hat sich noch einmal die Elefantenrunde von 1980 mit Schmidt, Kohl, Strauß, Genscher angesehen. Und natürlich – gar kein Vergleich! Die Unterzeile heißt:

"Rückblick auf eine Zeit, als Politiker etwas zu sagen hatten – und dies auch tun durften."

Und nun sind wir tapfer und stellen uns vor, was wir in weiteren 20 Jahren zu ertragen haben werden, wenn man selbiges vielleicht vom Duell Merkel-Steinmeier behauptet.