Von Arno Orzessek

Die deutschen Feuilletons berichten über ein Scherz-Facebookprofil zu Westerwelles Englisch-Wortschatz, Reden von Politikern, die Castorf-Inszenierung "Ozean" in Berlin und Michael Moores Film "Kapitalismus".
Kennt jemand die englischen Wörter hefollow, oversitter und upswing?

Der Berliner TAGESSPIEGEL verbreitet, dass Guido Westerwelle sie auf Facebook benutzt – und zwar hefollow für Erfolg, oversitter für Übersetzer und upswing für Aufschwung.

"'Westerwawe – no one can reach me the water' heißt die Seite, die inzwischen knapp 28000 Fans hat" schreibt TAGESSPIEGEL-Autorin Sonja Pohlmann.

Sie verschweigt allerdings nicht, dass die Einträge gefälscht sind. Ein rachsüchtiger Facebook-Schatten verfolgt den Außenminister, seit dieser einen BBC-Reporter angeherrscht hat, in Deutschland werde Deutsch gesprochen.

Wir bleiben bei der freien Rede und der ihr innewohnenden Absturzgefahr.

In der Freitagsausgabe der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG hat der stellvertretende Chefredakteur Kurt Kister auf der ersten Seite über "frei mäandrierende Michael-Glos-Gedächtnisrede[n]" und über "Reden-halten-ist-auch-nichts-anderes-als-Wurstschneiden-Rhetoriker wie Angela Merkel" gelästert.

Kisters These lautete: "Es muss nicht immer verkehrt sein, wenn Abgeordnete ablesen."

"Wenn einer nichts zu sagen hat, ist es besser, er liest ab", schreibt nun im Feuilleton der SZ-Samstagsausgabe Burkhard Müller.

Meinte Kurt Kister am Freitag…

"Ein Mensch, der gut vorlesen kann […], wird allemal mehr Zuhörer in den Bann ziehen als Franz Josef Jung oder der Wirtschaftsminister Dingsbums dies in freier Rede tun"

… so betont Burkhard Müller einen Tag später:

"Abgelesene Reden halten immerhin den soliden Standard des Mediokren […]. Sie haben irgendwie Fasson."

Womit nicht gesagt ist, dass der geschätzte Feuilletonist Müller seinem stellvertretenden Chef Kister nachplappert, sondern nur, dass beide Autoren über freie Rede exakt eines Sinnes sind. Ein Artikel hätte da allerdings auch gereicht.

Doch Kurt Kister ist immer dabei, wenn es bei den Mächtigen etwas am Zeug zu flicken gibt. Am Freitag hat die SZ Verteidigungsminister zu Guttenberg auf Seite 1 unter Soldaten in Afghanistan gezeigt, in der Samstagsausgabe liefert Kister im Feuilleton die Stilkritik:

"Es gab ein sehr schönes Photo, auf dem Guttenberg mit zartblauer Krawatte in der leichten Dämmerung des Laderaums einer Transall steht. Die Hände hat er in die Hüften gestützt, das subalterne Offiziersvolk im Tarngewand umgibt ihn in einer distanzwahrenden, ehrfurchtsschwangeren Korona. Natürlich ist es nur Licht, das von außen auf den Baron fällt, aber es sieht aus, als leuchte er selbsttätig von innen."

So SZ-Spötter Kister über den adeligen Verteidigungsminister, der ja tatsächlich den Hang hat, mit Kleidern und Posen zu protzen wie die Prolls mit Edelfelgen und Kavalierstarts. Denn merke: Testosteron kennt keine Klassenunterschiede.

Die Farce auf die Farce überschreibt in der FRANKFURTER RUNDSCHAU Peter Michalzik seine maulende Kritik von Frank Castorfs Inszenierung des Friedrich von Gagern-Stücks "Ozean" an der frisch renovierten Berliner Volksbühne:

"Thema ist die Revolution. Ohne da jetzt in die Einzelheiten gehen zu wollen: Castorf zieht sie, sich und das Stück nicht durch den Kakao, er zieht sie und sich durch den Schlamm. Der Unterschied ist entscheidend. Er will im Dreck und Morast der Geschichte stecken."

Andreas Fanizadeh von der TAGESZEITUNG ist ebenfalls enttäuscht:

"Die Inszenierung trägt teilweise folkloristische Züge und ist auch in ihrer Deutsch- und Selbstbezüglichkeit eher etwas für Masochisten."

"Dramaturgiedurchhänger hier, Grossauftritte dort, blosse Albernheiten neben gefährlich geschärften Figuren", bemängelt auch die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG. Aber Autor Dirk Pilz, bekannt aus der BERLINER ZEITUNG, findet daneben Löbliches:

"Es gibt kaum ein derart energisches Theater, das ästhetisch Einspruch gegen die grassierende Dummheit aus Utopielosigkeit erhebt. Auch damit ist Castorf allein auf weiter See: Er wehrt sich gegen das Einvernehmen mit dem gesellschaftlichen Status Quo."

Frank Castorf also als der letzte Revoluzzer? Nun, der amerikanische Regisseur und Nestbeschmutzer Michael Moore will keiner mehr sein. Im Gespräch mit der SZ gestand er:

"Ich bin es einfach leid, das erste Gesicht zu sein, das Google zu Tage fördert, wenn man beispielsweise 'Anti-Bush' eingibt. Ich bin müde."