Von Arno Orzessek

Die Feuilletons beschäftigten sich diese Woche mit dem Tod des Karrikaturisten und Humoristen Loriot, dem Rückzug von Steve Jobs aus der Geschäftsführung des Technologiekonzerns Apple und der Ausstellung "Gesichter der Renaissance" im Berliner Bode-Museum.
"Kommen wir hier noch raus?"

So lautete die kapitalismuskritische Frage der Woche, gestellt von der Wochenzeitung DIE ZEIT.

Auf der Suche nach Antworten war Susanne Gaschke ins Landhaus von Tom Hodgkinson gereist, dem britischen Intellektuellen, der die heutige Gesellschaft gern komplett umgekrempelt sähe und dabei das Mittelalter idealisiert:

"'Wir leben im falschen System. Wir müssen uns befreien von Sorgen, Angstzuständen, Hypotheken, Geld, Schuldgefühlen, Schulden, Regierungen, Langeweile, Supermärkten, Rechnungen, Melancholie, Schmerz, Depressionen und Verschwendung.'"

Laut der ZEIT-Autorin Gaschke frönt der selbsternannte Anarchist Hodgkinson zwischen Gemüsebeeten, Hühnern und Kindern einem fröhlichen Leben ohne existenzielle Entbehrungen, hat aber im Rahmen seiner Radikalemanzipation einigen Klimbim hinter sich gelassen:

"Selbstbestimmung [so Gaschke] hat […] ihren Preis, und Hodgkinson benennt ihn klar: Grundlage für ein freies Leben ist radikaler Konsumverzicht. Dabei geht es nicht darum, allen Vergnügungen zu entsagen - aber man darf sich von seinen falschen Bedürfnissen nicht überwältigen lassen. Das heißt: Weg mit Auto, teuren Reisen, iPods, Prada-Gürteln und vor allem: weg mit dem Fernsehapparat!"

Steve Jobs, der Apple-Chef, der die Leitung seiner Firma aus Krankheitsgründen nun abgegeben hat, ist ein leibhaftiger Anti-Hodgkinson. Die elektronischen Produkte mit dem Apfel-Emblem lösen bekanntlich unter Millionen Menschen regelmäßig unbeherrschbare Haben-Wollen-Reflexe aus.

So auch in China, wie Mark Siemons in der FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG berichtete:

"In Pekinger Cafés sind praktisch hundert Prozent der Gäste mit iPhone, iPad oder Mac-Computer ausgestattet, die sie gleich nach dem Eintreffen in Betrieb nehmen. […] Die schicken Geräte stehen so unzweifelhaft an der Pyramidenspitze der gesellschaftlich anerkannten Werte, dass es nicht weiter verwunderte, als eine Achtzehnjährige ihren Körper im Internet demjenigen anbot, der ihr ein iPhone 4 schenken würde. Ein Siebzehnjähriger verkaufte sogar eine Niere, um genug Geld für ein iPad 2 zu haben."

Welchen Teil seines Körpers Falk Lüke für ein Apple-Produkt hergäbe, das wissen wir nicht. Wohl aber, dass der Autor der TAGESZEITUNG in seinem Kommentar zum Jobs-Rücktritt zum Werbe-Texter mutierte:

"Apple heißt Schönheit. Apple heißt Fortschritt. Apple heißt: Das, was selten nervt. Und Apple heißt: Kult."

Kein Nachrufer hat Bernhard Victor Christoph Carl von Bülow Kult-Status zugeschrieben. Was vermutlich daran liegt, dass modische Floskeln zu dem ernsten Witzemacher Loriot nicht gut passen.

Die Tageszeitung DIE WELT nannte Loriot einen "Jahrhunderthumoristen" und charakterisierte ihn als "Unser Glück im Unglück".

Jörg Thomann artikulierte in der FAZ, dass jeder Nekrolog auf Loriot unabänderlich von Loriot unterminiert sei:

"Welch wohlklingende Worte auch immer man ihm nun nachrufen wollte, sie verlören sich doch inmitten des Sprachschatzes, den Vicco von Bülow selbst in unseren Köpfen hinterlassen hat, funkelnde Sätze, die jeder von uns auf immer mit ihm verbinden wird: Sie haben da was am Mund. Mein Gott, ich bade auch nicht zum ersten Mal! […] Auf dem Campingplatz in Bozen liegen die Toiletten separat. Sie haben mir ins Essen gequatscht! […] Früher war mehr Lametta. Holleri du dödl di… diri diri dudl dö. […] Ach, der gute Loriot. Er hat es uns immer wunderbar leicht gemacht","

bedankte sich Jörg Thomann in der FAZ.

Ähnlich stark wie der Tod des Grimassenschneiders Loriot beschäftigte die Feuilletons vergangene Woche die Ausstellung "Gesichter der Renaissance" im Berliner Bode-Museum. Sie zeigt über 150 Meisterwerke aus dem 15. Jahrhundert, darunter Leonardo da Vincis berühmte "Dame mit dem Hermelin".

In der SZ machte Kia Vahland zunächst die Werbestrategie der Ausstellungsmacher nieder:

""Die gute Nachricht: Die Ausstellung hält sich nicht an die Versprechen ihrer Werbung. Diese hatte alles getan, um die Hochkunst auf niedrigstes Niveau zu bringen. […] Die Website zoomt auf einzelne Porträts und witzelt: 'Fieser Typ', 'Harter Knochen' oder 'Latin Lover'. […] Man bekommt Steckbriefe serviert, aufgemacht wie Kontaktanzeigen: Simonetta Vespucci firmiert als 'Muse, Nymphe, It-Girl'. [….] Bild macht auch mit und freut sich auf 'Die schöne Bianca: jung, reich, ledig'."

So in der SZ Kia Vahland, die sich von den Gesichtern selbst sehr angetan zeigte. Wie seinerseits auch Hanno Rauterberg in der ZEIT:

"Der Besucher […] wird erfasst vom irritierenden Wechselspiel aus Nähe und Entrücktheit. Sehend überwindet er die üblichen Schamgrenzen, rückt noch den fremdesten Gestalten so dicht auf den Leib, dass er sie fast zu riechen meint. Kein Wimpernhärchen, keine Runzel entgeht ihm, und dennoch bleiben die Menschen auf eigentümliche Weise unfassbar. […] Denn was will uns die steile Nasenfalte sagen? Warum wohl sind die Augen gerötet? […] Die Bilder zeigen, was wir sagen, wenn wir nichts sagen. Wir lesen in ihnen, wie wir in den Gesichtern unserer Mitmenschen lesen."

Begeistert war Hertha Müller, nachdem sie "Für ein Lied und hundert Lieder" gelesen hatte, das Buch, in dem der chinesische Schriftsteller Liao Yiwu die Zumutungen seiner Inhaftierung beschreibt.

Die FAZ dokumentierte die Berliner Lobrede Müllers auf Yiwu, in der es hieß:

"Die widerwärtige Nähe, in die man in Lagern und Gefängnissen gepfercht ist, wird durchs besessene Fixieren noch quälender. Der Beobachtungszwang zerrt jedes Detail ins Persönliche, frisst die letzte Kraft, die man für sich selbst brauchte. Und trotzdem ist dieser Beobachtungszwang eine Gnade, weil er die Menschlichkeit erhält […]. Denn wer beobachtet, ist zur Hälfte außerhalb, auch wenn er ganz drin ist. […] Die Wahrnehmung ist eine Qual und die Qual der Wahrnehmung eine Gnade."

Große Worte von Nobelpreisträgerin Hertha Müller.

Zu groß, um nicht mit ihnen zu enden.