Von Aschenbach bis Zeitblom (3)

Von Joachim Scholl · 09.08.2005
Zum 50. Todestag von Thomas Mann stellen wir Figuren aus dem Werk des Schriftstellers von A bis Z vor. Im Mittelpunkt steht diesmal die Französin mit dem sprechenden Namen Clawdia Chauchat, der Hans Castorp im "Zauberberg" verfällt.
Hans Castorp und Clawdia Chauchat. Sie sind die Stars auf dem "Zauberberg", das – nun ja, Liebespaar wäre zu viel gesagt – aber es spielt sich schon etwas ab, wenn auch erotisch verkorkst, wie immer bei Thomas Mann. Zumindest der Auftakt ist klassisch Türen schlagend:

"Eine Frau, natürlich."
"Das ist Madame Chauchat, eine entzückende Frau!"
"Französin?"
"Sie ist Russin."
"Mir ist, als hätte ich sie irgendwo schon einmal gesehen."

Nämlich in der Kindheit, als Hans Castorp in die Augen eines slawischen Schulkameraden blickte. Und den, wie es heißt, "schlechthin zauberhaft geschnittenen Kirgisenaugen" von Madame Chauchat verfällt Hans Castorp ganz und gar.

An dieser Stelle sei auf Thomas Manns Tick verwiesen, seinen Figuren besonders einschlägige Namen zu geben. Chaud Chat – das ist auf französisch die "heiße Katze", und im Vornamen Clawdia, mit "w" geschrieben, steckt das englische "claw" für Kralle, deutlicher geht’s kaum.

Hans Castorp mit seinem braven hanseatischen Namen hat diesem Ausbund von schleichender, asiatischer Sinnlichkeit zunächst wenig entgegenzusetzen, aber der schlichte Junge von 23 Jahren lernt schnell. Die Höhenluft beschwipst ihn regelrecht, und an einem Faschingsabend hat er genügend intus, um Clawdia wortreich anzumachen. Blenden wir uns ein in dieses Bekenntnis...

"Je t’aime, je t’aime, mon reve, ma vie, mon éternel désir..."
"Petit bourgeois. Liebst du mich wirklich so sehr?"
"L’amour, la mort, der Körper ist Krankheit und Sinnlichkeit, die den Tod verursacht. Liebe und Tod, und gerade darin liegt ihre grausame Magie. Liebe ist Mystik und Vornehmheit und Frömmigkeit und Ewigkeit. Die faszinierende Schönheit des Körpers, nicht aus Ölmalerei und Stein, vielmehr aus vergänglicher Materie, erfüllt vom fiebrigen Geheimnis des Lebens und des Verfalls. Schau, schau die wunderbare Symmetrie des menschlichen Körperbaus, die Schultern, die Hüften, die knospenden Brüste zu beiden Seiten, die paarweise angeordneten Rippen, der Nabel inmitten der weichen Rundung des Bauches, die geheimnisvolle Dunkelheit der Scham zwischen den Schenkeln, schau die Schulterblätter an..."

Oioioi – kriegt man so eine Frau rum? Bei Thomas Mann schon! Eine einzige Nacht schenkt Madame Chauchat ihrem kleinen Karnevalsprinzen; leider wird nicht beschrieben, was genau geschah – zu gern hätte man gewusst, ob und wie Hans Castorp männlich reüssierte.

Vorhergehende Folgen:

Von Aschenbach bis Zeitblom (1): Gustav von Aschenbach
Thema Thema - Von Aschenbach bis Zeitblom (2): Hanno Buddenbrook
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