Von Aschenbach bis Zeitblom (10)

Von Joachim Scholl · 12.08.2005
Zu seinem 50. Todestag stellen wir das Werk des Schriftstellers Thomas Mann von A bis Z vor. Diesmal steht der Offizier Joachim Ziemßen im Mittelpunkt. Er gehört zu den sympathischsten Figuren aus dem "Zauberberg". Im Gegensatz zu etlichen anderen Luxus-Patienten im Sanatorium von Davos ist er wirklich krank.
Hörspiel "Der Zauberberg": "Tach, du! Nun steige nur aus ... komm heraus... geniere dich nicht." Wie Hans Castorp zum Fenster hinaussah, stand sein Vetter Joachim Ziemßen auf dem Perron, so gesund aussehend wie in seinem Leben noch nicht. "Du siehst ja aus, als ob du gerade aus dem Manöver kommst, du willst mir doch nicht weismachen, dass du noch etwas hast?"

Ja, er sieht wirklich blendend aus, braungebrannt, fehlt nur noch die schmucke Uniform, die der Offizier Joachim Ziemßen unten im Flachland so gerne getragen hat. Wenn er es nur nicht an der Lunge hätte! Deshalb ist er hier oben, im schweizerischen Davos, in einem Sanatorium. Über ein Jahr lebt er schon auf diesem "Zauberberg", als ihn sein Cousin besuchen kommt. Aus den drei Wochen werden Jahre, aber während Hans Castorp sich willig der morbiden Atmosphäre überlässt, hat Joachim Ziemßen nur einen einzigen Gedanken: Nichts wie weg! Dafür riskiert er auch den Konflikt mit dem behandelnden Arzt, dem forschen Hofrat Behrens:

Hörspiel "Der Zauberberg": "Na Ziemßen, nur immer munter. Ist ja noch immer nicht alles genau so, wie es im Physiologiebuch steht, hapert noch da und da, aber darum nur keinen Weltschmerz geblasen. Als Sie herkamen, waren Sie kränker, das kann ich Ihnen schriftlich geben, aber wenn Sie noch fünf, sechs Monate..."

"Herr Hofrat..." "Wenn Sie noch rund ein halbes Jährchen hier stramm Gamaschendienst tun, dann sind Sie ein gemachter Mann, dann können Sie Konstantinopel erobern." "Herr Hofrat, ich wollte gehorsamst melden, dass ich mich entschlossen habe, zu reisen..."

"Der Zauberberg" ist Thomas Manns zweites großes Werk nach den "Buddenbrooks", zwölf Jahre hat er daran geschrieben. Zahlreiche grandiose Figuren bevölkern den Roman, Joachim Ziemßen ist eine der sympathischsten: schüchtern, bescheiden, tadellos im Benehmen. Seine Abreise war ein Fehler, denn im Gegensatz zu etlichen anderen Luxus-Patienten ist Joachim Ziemßen wirklich krank – er muss zurück, begleitet von seiner Mutter Luise, ein ernstes Zeichen. Thomas Mann ist sonst wenig sentimental, wenn er seine Figuren sterben lässt. "Als Soldat und brav" heißt das Kapitel, man liest es unter Tränen.

Hörspiel "Der Zauberberg": " Um 7 Uhr, an einem Novemberabend starb er. Da Luise Ziemßen sich schluchzend abgewandt hatte, war es Hans Castorp, der dem Toten die Lider schloss und ihm die Hände behutsam auf der Decke zusammenlegte. Dann stand auch er und weinte. "Er hat es hinter sich, toller Junge. Ist uns auf das Feld der Ehre entwischt, der Durchgänger. Aber die Ehre, das war der Tod für ihn. Toller Bengel, toller Kerl."


Rückblick Folge (1) bis (9):

Gustav von Aschenbach aus "Der Tod in Venedig" (1)
Hanno Buddenbrook aus "Buddenbrooks" (2)
Clawdia Chauchat aus "Der Zauberberg" (3)
Johannes Friedemann aus "Der kleine Herr Friedemann" (4)
Gregorius aus "Der Erwählte" (5)
Imma Spoelmann aus "Königliche Hoheit" (6)
Felix Krull aus "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull" (7)
Adrian Leverkühn aus "Doktor Faustus" (8)
Kellner Mager aus "Lotte in Weimar" (9)