Von Aufständen und Autoren

Raimund Fellinger im Gespräch mit Anke Schaefer · 22.03.2011
Siegfried Unseld war nicht nur der Verleger des Suhrkamp Verlags, sondern auch Chronist. Inspiriert von den Studentenunruhen in den 60er-Jahren hat er bis zu seinem Tod im Jahr 2002 Tag für Tag aufgeschrieben, was passierte.
Mehrere Regalmeter - nämlich 24 Leitz-Ordner und 30 Archivkästen mit Dokumenten - umfasst das Material, das der Verleger Siegfried Unseld hinterlassen hat. Er nannte es seine Chronik. In den späten 1960er Jahren hat Unseld unter dem Eindruck der Studentenunruhen, die auch auf der Frankfurter Buchmesse für Tumulte sorgten, den Entschluss gefasst, Zeitdokumente zu sammeln und aufzuschreiben, was ihm wichtig war. Bis zu seinem Tod 2002 hat Unseld diese Chronik fortgeschrieben.

Vor dem Hintergrund der Buchvorstellung des ersten Bandes im Berliner Literaturforum im Brecht-Haus sprach Fazit mit dem Gesamtherausgeber Raimund Fellinger. Der erste Band behandelt das Jahr 1970. Vorangestellt sind dem Text als Prolog die Aufzeichnungen über die Buchmessen 1967 und 1968. Unseld selbst nannte seine Chronik "eine neue Form der Aufschreibung, der Aufsagung".

Anke Schaefer: Worin besteht diese "neue Form der der Aufsagung"?

Raimund Fellinger: Die neue Form der Aufschreibung besteht darin, dass Siegfried Unseld - angeregt durch die Ereignisse 1968 - von denen die Proteste auf der Buchmesse das eine waren, das andere aber, für ihn viel wichtiger der sogenannte Lektorenaufstand 1968, der zwar im Oktober '68 seinen Ausgang nahm, aber Konsequenzen für den Verlag bis in die Mitte der 1969er Jahre hatte. Und es ging immer in den Debatten darum, wer hat was gesagt, es ging schlichtweg um Deutungshoheit. Das hat Siegfried Unseld klar gemacht, dass er, wenn er in Zukunft das Haus Suhrkamp führen, fortführen, ausweiten will, dass er das, was sich ereignet, einfach festhalten muss, um für sich zunächst zu dokumentieren, was passiert ist - auch um gegenüber den Autoren argumentieren zu können. Und das hat sich dann später ausgewachsen zu einem eigenständigen Unternehmen. Es war in der Tat eine Chronik von Tag zu Tag teilweise mit allen Reiseberichten, das heißt immer dann, wenn Siegfried Unseld in Amerika, in Frankreich oder außerhalb Frankfurts war, gab's einen Reisebericht und so ist dann eine Riesenchronik entstanden, die dann in einem dritten Schritt von ihm selber als das Rohmaterial für eine zu schreibende Verlagsgeschichte des Suhrkamp Verlags war.

Sie können das vollständige Gespräch mindestens bis zum 22.8.2011 als MP3-Audio in unserem Audio-on-Demand-Player nachhören.

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