Von Bethlehem nach Arizona
Papst Gregor XIII. ließ 1578 im Vatikan den "Turm der Winde" erbauen, der astronomische Forschungen ermöglichte. Auch heute unterhält der Vatikan noch ein eigenes Observatorium, in der Wüste von Arizona. Dabei pendeln die päpstlichen Astronomen zwischen den Polen der Schöpfungsgeschichte und moderner Astrophysik.
Es ist möglich, aber doch eher unwahrscheinlich, dass der Amerikaner George Coyne am Heiligen Abend nicht bei seinen Verwandten und Freunden in Maryland oder Arizona, sondern in seinem Arbeitszimmer in Castelgandolfo, in der Sommerresidenz des Papstes, ist. Hier befindet sich auch - nur 30 Kilometer von Rom entfernt und hoch über dem Lago di Albano gelegen - die päpstliche Sternwarte, die "Specola Vaticana". Georg Coyne leitet sie seit fast drei Jahrzehnten.
Sicher träte er um Mitternacht, wenn die Glocken der Kirche Di Villanova Santa Tommaso ertönen, auf die Terrasse hinaus, um hoch zum Sternen übersäten Himmel zu blicken. Wer ein wenig Coynes Biographie kennt, würde ihn fragen, in welcher Funktion er denn das Sternenzelt in Augenschein nähme: Als Physiker oder Priester? Ginge das überhaupt in beider Funktion - und zugleich?
Und: Wonach hielte er Ausschau? Suchte er den "Stern zu Bethlehem" oder ein ihm noch unbekanntes astrales Phänomen, das möglicherweise einen konkreten Hinweis auf den "Ort Gottes" verriete?
Mit derartig banalen Fragen sollte man dem 72-jährigen Jesuitenpater, Doktor der Physik und der Theologie, Chef-Astronom des Vatikans, besser nicht kommen. Mit seiner Zeit geht er außerordentlich ökonomisch um. Er kommt immer schnell auf den Punkt:
Pater Coyne: "Gott ist Liebe!"
Gott ist Liebe! - So einfach lautet seine theologische Definition. Als Physiker fühlt er sich bei der Fragestellung nach Gottes Ort und Wirken irgendwie gelangweilt, weil dazu doch schon so viel klug Durchdachtes, aber viel mehr noch Bedenkliches, Verwirrendes gesagt wurde.
Pater Coyne: "In erster Linie ist alles eine persönliche Beziehung zwischen Gott und mir oder Gott und der Gemeinschaft der Gläubigen. Es ist eine Liebesbeziehung! Das ist das Grundlegende für den Glauben. Gott ist keine Ansammlung von Doktrinen, Erklärungen und Definitionen. Gott kann nicht definiert werden; er ist transzendent."
Pater Coyne ist bekannt wie gefürchtet für seine spektakulären Ansichten, die den Dogmatikern viele schlaflose Nächte brachten.
Ratlos stehen sie vor seiner in einem Essay geäußerten Meinung und fürchten eine Neu-Interpretation großer Bibelteile:
"Die Bewohner der Erde sind nicht die einzigen Geschöpfe Gottes. Der Weltraum ist einfach zu groß, als dass wir dort allein sein könnten. Ja, es gibt einen Gott jenseits des Nichts! Die Behauptung der Religion, der Mensch sei das Zentrum des Universums, ist mit den Erkenntnissen der Wissenschaft unvereinbar."
Steht hier nicht der Naturwissenschaftler dem Theologen im Wege? Stellt hier nicht sogar der Theologe die Schöpfungsgeschichte in Frage?
Pater Coyne: "Astrophysik hat nichts mit Religion zu tun. Absolut nichts. Ein Astrophysiker kann gläubig oder ungläubig sein. Ich bin gläubig und Astrophysiker. Meine Mitarbeiter sind sowohl Gläubige als auch ungläubige Astrophysiker.
Es gibt für einen Gläubigen viel nachzudenken. Zum Beispiel über das Universum, seine Expansion und die Evolution, aus der wir entstanden sind; ein Gläubiger wird darüber nachzudenken haben: Wie ist dieser Gott, der Schöpfer des Universums?
Und: Zunächst ist es immer falsch, die Bibel als Quelle für die Astrophysik heranzuziehen. Die Bibel trägt nicht ein einziges Sandkorn von Wissenschaft in sich - so wie wir Wissenschaft heute verstehen. Nichts, absolut nichts! Die moderne Wissenschaft ist mehr oder weniger mit Galilei entstanden. Aber diese Wissenschaft existierte nicht in der Zeit, von der die Bibel erzählt."
Wo immer wir auf Erden um die Weihnachtszeit oder wann auch immer zum Himmel, wie durch ein Fenster zum unmessbaren Rest dieser Schöpfung emporschauen, vielleicht um wieder einer seltsamen Erscheinung gewahr zu werden, wird uns aber stets ein trügerisches Bild vermittelt.
Nichts "da oben" ist so, wie es uns die Sterne zu verheißen scheinen. Niemand hat den Tross himmlischer Heerscharen, Harfe spielende Engel gesichtet. Diese glitzernde, viel besungene, angebetete Stille, aus der einst der "Stern von Bethlehem" erstrahlte und so entscheidend in das Leben der Menschheit eingriff, ist anders, ganz anders.
Wenn Feuer, Stürme, Hektik, Explosionen Attribute der Hölle sind, dann ist sie "da oben" auch beheimatet. Das Licht - der Informant, der Bote des Alls - Millionen, ja Milliarden Jahre im Universum unterwegs zu uns, berichtet von galaktischen Ereignissen, die längst vergangen sind und zeigt uns, weil von der Sonne abgelenkt, den Stern am Firmament nicht dort, von wo er sein Licht aussandte.
Das Licht! Es kündet von der Geburt und dem Tod, dem Explodieren von Sternen - also Supernovae, von der Wandlung von Masse in Energie und umgekehrt, vom Entstehen "Schwarzer Löcher", den Energiefeldern, die durch das Universum rasen. Alles bewegt sich scheinbar planlos, ordnet sich plötzlich doch und fällt wieder auseinander, um sich bald erneut nach bekannten Gesetzen und unbekanntem, ja geheimnisvollem Sinn zu sammeln, zu strukturieren, um ein neuer Stern zu werden.
Ein faszinierendes Spektakulum! Naturwissenschaftler, Theologe und Philosoph suchen seit Jahrtausenden nach seinem Ursprung und Sinn. Das Erscheinen des "Sterns von Bethlehem" ist gemessen an den astronomischen Entdeckungen und Erkenntnissen des Menschen ein verhältnismäßig junges Ereignis, aber das für ihn wohl entscheidendste.
Dem Auserwählten, der sich in der "Specola Vaticana" in Castelgandolfo zu den sommerlichen astrophysikalischen Seminaren einfinden darf, steht eine Bibliothek von 22.000 Bänden zur Verfügung. Darunter sind nicht nur die frühesten Ausgaben der Werke von Kopernikus, Kepler, Galilei, Newton zu finden, sondern auch die schockierenden Denkleistungen von Stephen Hawking und Martin Rees.
In seinem Buch "Geschichte der Astronomie" schreibt der Physiker Jürgen Hamel:
"Lange bevor der "Stern von Bethlehm" die "Christianisierung des Himmels" einläutete, "beherrschten" die Griechen den Kosmos.
Sie schufen die ersten allgemeinen Hypothesen, Entwürfe, Denkanstöße, Über-legungen über die Gesetzmäßigkeiten am Himmel sowie Vorstellungen über die Entstehung des Weltganzen."
Das Weltbild des Aristoteles, seine geozentrische Physik - er spricht schon von der Kugelgestalt der Erde! - bestimmte nahezu zwei Jahrtausende das Denken der Menschheit, bildete Rahmen und Zusammenhang der Naturwissenschaft, besonders der Astronomie. In Ptolemäus sammelt sich das gesamte astronomische Wissen der antiken Welt. Erst 1400 Jahre nach ihm wagt Nikolaus Kopernikus die zaghafte Äußerung:
"Nicht die Erde, sondern die Sonne ist das Zentrum der Planetenbewegung!"
115 Jahre später verteidigt der fromme Katholik Galileo Galilei diese Ansicht und wird vor das Inquisitionsgericht zitiert.
Natürlich wussten selbst seine schärfsten Kritiker, dass auch die "Heilige Schrift" nicht nur eine Quelle für die theologische Forschung, sondern ebenso für Historiker mit dem Arbeitsschwerpunkt "Kosmosforschung" ist. Jürgen Hamel resümiert:
"Wenn auch die Ausbildung und Verbreitung einer monotheistischen Gottesvorstellung gegen die Vielzahl polytheistischer Kulte eine vornehmliche Aufgabe der Bücher des Alten Testaments darstellte, konnte die tief eingewurzelte und offenbar plausible Herrschaft der Gestirne über die Zeit nicht angetastet werden.
So sehr auch Verdammungsurteile gegen die Astrologie gesprochen wurden, ziehen sich doch Anklänge an diese Lehre durch die ganze Heilige Schrift, bis hin zum Geburtsbericht Christi, mit dem "Stern der Magier" und der Mondfinsternis am Tage seiner Kreuzigung …"
Pater Coyne würdigt die Astrologie, weil sie für ihn jenseits jeder Wissenschaft steht, mit keinem Wort. Nicht das Gefühl der Ungewissheit, die Angst vor dem eigenen Ende, sondern das Staunen über die gewaltige Dimension des Universums hat ihn von der Physik zur Theologie gebracht:
Pater Coyne: "Ich suche nicht nach dem Ort der Geburt Gottes im Universum. Keineswegs. Die Wissenschaft kann die Existenz Gottes weder bestätigen noch verneinen. Der Wissenschaftler erforscht Anfang und Ende des Universums. Ich sage: Gott hat die Welt erschaffen. Er hat diese Art der Schöpfung gewählt; als Gläubiger gibt es daran keinen Zweifel. Es war vor 13,7 Milliarden Jahren!
Für mich als Gläubigen ist GOTT nicht erklärbar. GOTT ist Liebe! Erst in zweiter Linie sehe ich Gott als Erklärung für die Entstehung des Universums. Das Interessanteste am Universum ist, dass es zu verstehen ist. Warum? Weil am Anfang ein Verstand ist, der die Welt erschaffen hat."
Folgt man aber seiner Ansicht, so muss im Plan jenes Verstandes, jener "schöpferischen Intelligenz" oder "denkenden Energie", der oder die mit dem "Big Bang" - dem Urknall - das Universum schufen, bereits die Geburt des Sterns enthalten sein, über den wir im Neuen Testament bei Matthäus im 2. Kapitel lesen und bei Johann Sebastian Bach vor Ehrfurcht fröstelnd hören:
"Als aber Jesus zu Bethlehem in Judäa geboren war, in den Tagen des Königs Herodes, siehe, da kamen Weise vom Morgenland nach Jerusalem, die sprachen: Wo ist der König der Juden? Denn wir haben einen Stern im Morgenland gesehen und sind gekommen, ihm zu huldigen! Und siehe, der Stern, den sie im Morgenland gesehen hatten, ging vor ihnen her, bis er ankam und über dem Ort stillstand, wo das Kind war."
Wer waren die Drei, woher kamen sie genau, was hatten sie wirklich wo und wie gesehen? Was war das für ein Stern? War dieses Leuchen wirklich eine "himmlische, eine göttliche Botschaft" oder eine erklärbare Naturerscheinung? Die genannten Weisen selbst haben uns keine Reiseberichte hinterlassen. Aber für viele Theologen ist das auch ohne Belang, denn das, was in der Bibel steht - im Alten wie im Neuen Testament - ist Gottes Wort und damit unanfechtbar.
Die christliche Theologie beginnt sich seit dem 2. Jahrhundert mit dem Stern von Bethlehem zu befassen. Die Frage war und blieb: Kann man tatsächlich astronomisch genau bestimmen, wann Jesus geboren wurde? Was war der so genannte "Weihnachtsstern", kündigte er wirklich Jesu Geburt an?
Drei Varianten wurden über den berühmtesten Stern am Firmament diskutiert. War es ein Komet, eine Supernova, also das Verglühen eines Sterns oder eine außergewöhnlich seltene Begegnung von Planeten?
Eine Antwort findet man in der Bibliothek der "Specola vaticana" in Castelgandolfo. Ein Komet scheidet aus, weil er in jener Zeit als Unglücksbringer galt.
Eine Supernova war in keiner bekannten Sternenliste zu finden, wenngleich die Chinesen in jenen Tagen eine unbekannte Himmelserscheinung notierten. Aber: Unter den Schriften des deutschen Astronomen Johannes Kepler befindet sich ein Text mit dem Untertitel "…de aetate Christi". Darin vertritt er zum ersten Mal die These:
Bethlehems Stern war eine Planetenkonjunktion von Jupiter und Saturn!
1604 hatte Kepler innerhalb von drei Monaten dreimal die Konjunktion von Jupiter und Saturn im Sternbild Fische beobachtet. Er errechnete mit den von ihm entdeckten Gesetzen den Zeitpunkt dieses himmlischen Ereignisses. Es geschah im Jahre 7 vor Christi Geburt!
Bei seinen Berechnungen stützte er sich vor allem auf die bekannten Lebensdaten von König Herodes und dem Hinweis auf das Alter Jesu im Paulusbrief. Das alles passt einigermaßen zu der berechneten Sternen-Konjunktion der Jahre 7 oder 6 beziehungsweise 4 vor der Zeitrechung.
Wie gesagt: einigermaßen! Durchs Feuer will bis heute keiner dafür gehen. Und: So neugierig war die Kirche auf die genaue Geburtsdatierung nun auch wieder nicht.
Als Kepler die Geburtsurkunde Jesu ausstellte, betrachtete man im Vatikan bereits seit einem Vierteljahrhundert den Himmel. Und dabei spielte Bethlehem überhaupt keine Rolle.
In seinem Essay "Der göttliche Funke" - eine gewissenhaft recherchierte Arbeit - schreibt Peter Haffner:
"Astronomie ist die einzige Naturwissenschaft, die der Vatikan in eigener Regie betreibt. Doch die Suche nach Gott, meinen die Patres, kommt damit keinen Schritt weiter. Das Interesse des Heiligen Stuhls an der Erforschung des Himmels war von Anfang an kein Religiöses. Papst Gregor XIII., beschäftigt mit der Reform des Kalenders, ließ 1578 im Vatikan den "Turm der Winde" erbauen, wo meteorologische und später auch astronomische Beobachtungen gemacht wurden. "
Der "Torre dei Venti" - der Turm der Winde - steht heute noch. An der südlichen Wand des Turms gibt es ein kleines Loch in Meridianhöhe. Am 21.März 1582 fiel der mittägliche Sonnenstrahl auf einen Punkt, der 60 Zentimeter vom ursprünglichen Punkt der Tagundnachtgleiche entfernt war. Das überzeugte Gregor XIII. von der Notwendigkeit einer Kalenderreform.
Dieser "gregorianische Turm" wurde später zur "Specola Vaticana". Bis heute steht dieser Name für die päpstliche Sternwarte in Castelgandolfo.
Der Jesuit Gustav Teres, der Chronist dieser ältesten und berühmtesten europäischen Sternwarte, schreibt:
"Papst Leo XIII. ließ 1891 auf dem Gelände des Vatikanstaates ein neues Observatorium erbauen. Von Anfang an förderte er den Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaft. Mit seiner Hilfe konnten die vatikanischen Astronomen am internationalen Programm der fotografischen Sternkarte - Carte du Ciel - teilnehmen. Bis 1950 haben sie mit 1040 Aufnahmen die genauen Daten für die Position von 481.215 Sternen ermittelt."
Die vatikanischen Astronomen, die mit ihrem "Atlas Stellarum Variabilium" - ein Verzeichnis der veränderlichen Sterne in neun Bänden - Weltruhm erlangten, können hinter dem Petersdom kaum vier Jahrzehnte auf astralen Pfaden pilgern. Wie Blinde wandeln sie schließlich nur noch auf der Milchstrasse herum. Der Grund?
Rom! Die "Ewige Stadt" macht dem Himmel Konkurrenz. Sie will mit Glanz, Glimmer und Geflimmer locken, aber auch mehr Sicherheit auf den Straßen.
Es ist also die zunehmende elektrische Beleuchtung, die die Patres mit ihren Fernrohren und Tabellen vertreibt, denn der Nachthimmel reflektiert das Licht der Straßenlampen, und so ist es nicht mehr möglich, die ferneren und feineren astronomischen Objekte zu beobachten. Jeder Romreisende weiß, dass sie heute bei der fröhlich lärmenden Luftverschmutzung mit ihren Geräten nicht einmal mehr den reitenden Kaiser Marc Aurel auf dem Capitol erkennen würden.
Und so war es 1935 eine weise Entscheidung von Papst Pius XI., die Umsiedlung der Sternwarte in das nahe Rom gelegene Castelgandolfo vorzunehmen. Mit den neuen, von Zeiss Jena gelieferten Fernrohren glaubt man, hier in der klaren Bergluft bis in die Ewigkeit am Himmel patrouillieren zu können.
Aber die Patres hatten bei ihrer Mission ganz und gar die Erde und ihre sehr erfinderische Bewohnerschaft aus dem Blick verloren. Über das halbe Jahrhundert, das sie in dem kleinen Bergstädtchen über dem Albaner See Messe feiernd, beichtend, betend und forschend verbringen dürfen, berichtet Gustav Teres:
"Inzwischen wurden neue und bessere Fernrohre hergestellt. Der deutsche Optiker Bernhard Schmidt konstruierte ein neues Spiegelteleskop mit einem sphärischen Spiegel und einer Korrektionslinse, wodurch die Verzeichnungen und Aberrationen, also Sternverschiebungen beseitigt werden können. Papst Pius XII. kaufte dieses Instrument für die "Specola" und ließ zwei neue Kuppeln im Garten von Castelgandolfo bauen. Unter den Kuppeln wurde ein astrophysikalisches Laboratorium für die spektro-chemische Analyse eingerichtet. Mit diesem begann die zweite Blütezeit des Vatikanischen-Observatoriums."
In keinem Programm oder Arbeitsbericht dieser Generation von vatikanischen Astrologen war jemals etwas über den "Stern von Bethlehem" oder Jesu Geburt zu lesen. Der blieb vielleicht nur noch Gegenstand von Messen, Meditationen und Exerzitien.
Im Sommer 1978 reist Pater George Coyne aus den USA an. Der Professor der Astrophysik an der University of Arizona bezieht das Zimmer des Direktors der "Specola Vaticana". Von seiner Terrasse hat er einen phantastischen Blick über die Berge und den See, schaut weit über Latium, manchmal glitzert in der Ferne das Meer und aus dem römischen Dunst ragt die Kuppel von Sankt Peter. Unter ihm im Gebäude sind die Gemächer des Papstes, der ihn um sein Arbeitszimmer beneidet.
Die Menschen an den Ufern des Lago di Albano fanden es - wie die Römer - schön und notwendig, ihre Wege, Alleen und Häuser mit Neonlicht zu versehen. Der Effekt ließ nicht lange auf sich warten. Am Firmament störte die Widerspiegelung viel irdischen, profanen Lichts die Erhabenheit des Universums. In der päpstlichen Residenz wurden immer häufiger die Fernrohre eingezogen. Wohin nun?
Die sternkundigen Jesuiten konnten Papst Johannes II. von ihrem Umzugsplan überzeugen. Vom Beginn seines Pontifikats zeigte sich der Papst jeder wissenschaftlichen Forschung gegenüber offen, er signalisiert immer Dialogbereitschaft. Anlässlich einer internationalen Studienwoche 1987 in Castelgandolfo, an der viele Disziplinen teilnehmen, schrieb er, und stand damit ganz im Geist des II. Vatikanischen Konzils, an Pater Coyne:
"Im Blick auf die Beziehung zwischen Religion und Wissenschaft zeigt sich eine eindeutige, wenn auch noch zerbrechliche und vorläufige Bewegung in Richtung eines neuen und nuancierten Austauschs…
Die von uns in der Schöpfung auf der Grundlage unseres Glaubens an Jesus Christus als dem Herrn des Universums wahrgenommene Einheit und die korrelative Einheit, nach der wir in unseren menschlichen Gemeinschaften streben, wird, so scheint es, von dem widergespiegelt und sogar verstärkt, was die zeitgenössische Wissenschaft offenbart…
Die Physik liefert dazu ein treffendes Beispiel. Sowohl die Religion als auch die Wissenschaft müssen ihre Autonomie und ihre Besonderheit bewahren. Die Religion gründet nicht in der Wissenschaft, und die Wissenschaft ist keine Weiterführung der Religion."
Am 18. September 1993 feierten die Indianer in Arizona auf ihrem 2700 Meter hohen Mount Graham, 150 Kilometer westlich der Universitätsstadt Tucson, ein großes Fest. Was war geschehen?
Die "Leute mit den langen Augen", wie sie die Astronomen nennen, haben an diesem Tag die neue Vatikanische Sternwarte eingeweiht. Gebäude und Teleskop sind Geschenke der amerikanischen Verehrer von Johannes Paul II. Für die Betriebskosten kommt der Heilige Stuhl auf. Die Forschungsarbeit finanziert eine Stiftung. Damit begann sozusagen die dritte Blütezeit der "Specola Vaticana".
Darüber, wie man die Indianerstämme dazu brachte, das "christliche lange Auge" neben ihren heiligen Kultstätten aufbauen zu lassen, wird nichts überliefert.
Böse Zungen haben auch sofort in Umlauf gebracht, der Vatikan beabsichtige, da die Kreuzzüge nun einmal fehlgeschlagen waren und die Existenz von Außerirdischen sogar von ernstzunehmenden Wissenschaftlern nicht mehr in Frage gestellt wird, diese galaktischen Wesen bei Sichtung möglichst schnell zu evangelisieren, bevor andersfarbige Propheten auf den Plan träten.
Mit dem in Arizona, in luftiger Höhe installierten " Vatican Advanced Technology Teleskop" war es nun möglich, Himmelsobjekte, die etwa fünf Milliarden Lichtjahre entfernt sind, zu fotografieren.
Ein besonderes Forschungsfeld ist die Untersuchung der innerstellaren Materie. Dabei geht es um die Menge wie auch die Wirkung des kosmischen Staubes und Gases zwischen den Sternen, besonders im Kraftfeld der jungen Sterne.
Das ist genau das Forschungsgebiet von Pater George Coyne. Es verwundert also nicht, wenn er sich recht selten in Castelgandolfo aufhält, wo sich nach wie vor das Zentrum der astronomischen Forschung des Heiligen Stuhls befindet.
Anfangs begeisterte ihn die Mondoberfläche, bald aber schon stellte er die "schwarzen Löcher" in den Mittelpunkt seiner Forschung. Er ist fasziniert vom Phänomen des Sternesterbens und des immer noch nicht gänzlich erkannten Charakters dieser "schwarzen Löcher", die Materie und Energie "verschlucken".
Immer führt alles Beobachten und Denken zur alten Frage nach der Struktur und der Entwicklung des Universums. Der Astronom und Priester George Coyne ist überzeugt:
"Gott ist Energie! Wenn wir so wollen… Ich spüre diese Energie von ihm, ich spüre die Energie des Lichts, von der Sonne. Die Energie wandelt sich in Objekte… "Energie" wendet man auch auf Gott an. Aber er ist eine unendliche Energie. Der Ursprung jeder Energie."
Das steht keineswegs im Gegensatz zu seiner theologischen Definition: Gott ist Liebe. Denn spendet nicht die wahre, wirkliche und uneigennützige Liebe über das Glücksgefühl eine gute, stärkende Energie?
Und den ewigen Zweiflern, die glücklicherweise nicht aussterben, haben Physiker und Priester, Teilnehmer einer interdisziplinären Tagung, 1992 gesagt:
"Die Urexplosion ist nicht identisch mit der Schöpfung, aber die Entwicklung des Universums setzt die Schöpfung voraus. Die kosmologische Entwicklungstheorie steht somit nicht im Gegensatz zum biblischen Schöpfungsbericht."
Die "Specola Vaticana" war von Anbeginn ein Ort des Dialogs. Die Astronomen des Papstes waren von Anfang an Priester, die auch eine naturwissenschaftliche Ausbildung hatten. In den letzten Jahrzehnten stellte sich immer wieder die Frage: Warum sollen Theologen und Priester sich mit astronomischen und physikalischen Forschungen befassen?
Der Priester und Forscher, Pater Angelo Secchi, fand für sich die Antwort:
"Wenn es überhaupt eine wissenschaftliche Forschungsarbeit gibt, welche die Seele des Menschen zu ihrem Schöpfer erhebt, dann ist es die Wissenschaft der Sternkunde. Im Psalm 19 steht geschrieben: Denn die Himmel rühmen die Herrlichkeit Gottes, vom Werk seiner Hände kündet das Firmament."
Pater George Coyne, der seinen Glauben als ein Geschenk betrachtet und in Gott mehr als nur eine Formel sieht, will, dass sich der Mensch als Teilnehmer am Schöpfungswerk beteiligt. So versteht er sich und seine Arbeit.
Pater Coyne: "Als Wissenschaftler sage ich, und wir wissen das genau, das Universum wird sich nicht nur auf ewig ausdehnen, es wird dabei auch an Geschwindigkeit zunehmen, zunehmen, je mehr es sich ausdehnt. Das heißt: Am Ende ist das Universum absolut kalt; im wissenschaftlichen Sinne ist es bei NULL angekommen. Es wird keine Energie mehr geben, von keinem Objekt. Es wird eine kalte Welt sein, alles ist sozusagen… tot…!"
Klingt nicht gut. Aber der Trost liegt in der Dimension. In vier oder fünf Milliarden Jahren soll die Sonne erlöschen. Nur wer staunt, wird neugierig bleiben.
Beide, der Theologen und der Naturwissenschaftler, stehen einem Universum gegenüber, das von einer Handvoll Naturgesetzen in einer Balance gehalten wird. Theologen sehen in allem den Plan eines Schöpfers, und die Physiker suchen, bisher erfolglos, nach der Weltformel, aus der die Naturkonstanten folgen, denen wir die Existenz verdanken.
Das wird dauern.
"Gott würfelt nicht!"
Sagt Albert Einstein. Er hatte mit Gott kein Problem.
"Naturwissenschaft ohne Religion ist lahm, Religion ohne Naturwissenschaft ist blind. In diesem materialistischen Zeitalter sind die ernsthaften Wissenschaftler die einzigen tief religiösen Menschen."
Und der Rest? Dem bleibt der Stern von Bethlehem! Er tröstet die Ungeduldigen, Zweifler und Romantiker. Es ist zudem eine schöne, wenn nicht die schönste Geschichte, die man sich seit zweitausend Jahren erzählt. Und sie vermag einmal im Jahr ein kleines Wunder zu vollbringen.
Über Unglück und Hass hinweg verbindet sie die Menschen für einen Augenblick im Gefühl der Hoffnung. Der Stern von Bethlehem! Nicht einmal die supermodernen Teleskope und frommen Astronomen in Arizona haben ihn wieder gesehen. Aber er ist, solange wenigstens einer einmal im Jahr an ihn glaubt.
Sicher träte er um Mitternacht, wenn die Glocken der Kirche Di Villanova Santa Tommaso ertönen, auf die Terrasse hinaus, um hoch zum Sternen übersäten Himmel zu blicken. Wer ein wenig Coynes Biographie kennt, würde ihn fragen, in welcher Funktion er denn das Sternenzelt in Augenschein nähme: Als Physiker oder Priester? Ginge das überhaupt in beider Funktion - und zugleich?
Und: Wonach hielte er Ausschau? Suchte er den "Stern zu Bethlehem" oder ein ihm noch unbekanntes astrales Phänomen, das möglicherweise einen konkreten Hinweis auf den "Ort Gottes" verriete?
Mit derartig banalen Fragen sollte man dem 72-jährigen Jesuitenpater, Doktor der Physik und der Theologie, Chef-Astronom des Vatikans, besser nicht kommen. Mit seiner Zeit geht er außerordentlich ökonomisch um. Er kommt immer schnell auf den Punkt:
Pater Coyne: "Gott ist Liebe!"
Gott ist Liebe! - So einfach lautet seine theologische Definition. Als Physiker fühlt er sich bei der Fragestellung nach Gottes Ort und Wirken irgendwie gelangweilt, weil dazu doch schon so viel klug Durchdachtes, aber viel mehr noch Bedenkliches, Verwirrendes gesagt wurde.
Pater Coyne: "In erster Linie ist alles eine persönliche Beziehung zwischen Gott und mir oder Gott und der Gemeinschaft der Gläubigen. Es ist eine Liebesbeziehung! Das ist das Grundlegende für den Glauben. Gott ist keine Ansammlung von Doktrinen, Erklärungen und Definitionen. Gott kann nicht definiert werden; er ist transzendent."
Pater Coyne ist bekannt wie gefürchtet für seine spektakulären Ansichten, die den Dogmatikern viele schlaflose Nächte brachten.
Ratlos stehen sie vor seiner in einem Essay geäußerten Meinung und fürchten eine Neu-Interpretation großer Bibelteile:
"Die Bewohner der Erde sind nicht die einzigen Geschöpfe Gottes. Der Weltraum ist einfach zu groß, als dass wir dort allein sein könnten. Ja, es gibt einen Gott jenseits des Nichts! Die Behauptung der Religion, der Mensch sei das Zentrum des Universums, ist mit den Erkenntnissen der Wissenschaft unvereinbar."
Steht hier nicht der Naturwissenschaftler dem Theologen im Wege? Stellt hier nicht sogar der Theologe die Schöpfungsgeschichte in Frage?
Pater Coyne: "Astrophysik hat nichts mit Religion zu tun. Absolut nichts. Ein Astrophysiker kann gläubig oder ungläubig sein. Ich bin gläubig und Astrophysiker. Meine Mitarbeiter sind sowohl Gläubige als auch ungläubige Astrophysiker.
Es gibt für einen Gläubigen viel nachzudenken. Zum Beispiel über das Universum, seine Expansion und die Evolution, aus der wir entstanden sind; ein Gläubiger wird darüber nachzudenken haben: Wie ist dieser Gott, der Schöpfer des Universums?
Und: Zunächst ist es immer falsch, die Bibel als Quelle für die Astrophysik heranzuziehen. Die Bibel trägt nicht ein einziges Sandkorn von Wissenschaft in sich - so wie wir Wissenschaft heute verstehen. Nichts, absolut nichts! Die moderne Wissenschaft ist mehr oder weniger mit Galilei entstanden. Aber diese Wissenschaft existierte nicht in der Zeit, von der die Bibel erzählt."
Wo immer wir auf Erden um die Weihnachtszeit oder wann auch immer zum Himmel, wie durch ein Fenster zum unmessbaren Rest dieser Schöpfung emporschauen, vielleicht um wieder einer seltsamen Erscheinung gewahr zu werden, wird uns aber stets ein trügerisches Bild vermittelt.
Nichts "da oben" ist so, wie es uns die Sterne zu verheißen scheinen. Niemand hat den Tross himmlischer Heerscharen, Harfe spielende Engel gesichtet. Diese glitzernde, viel besungene, angebetete Stille, aus der einst der "Stern von Bethlehem" erstrahlte und so entscheidend in das Leben der Menschheit eingriff, ist anders, ganz anders.
Wenn Feuer, Stürme, Hektik, Explosionen Attribute der Hölle sind, dann ist sie "da oben" auch beheimatet. Das Licht - der Informant, der Bote des Alls - Millionen, ja Milliarden Jahre im Universum unterwegs zu uns, berichtet von galaktischen Ereignissen, die längst vergangen sind und zeigt uns, weil von der Sonne abgelenkt, den Stern am Firmament nicht dort, von wo er sein Licht aussandte.
Das Licht! Es kündet von der Geburt und dem Tod, dem Explodieren von Sternen - also Supernovae, von der Wandlung von Masse in Energie und umgekehrt, vom Entstehen "Schwarzer Löcher", den Energiefeldern, die durch das Universum rasen. Alles bewegt sich scheinbar planlos, ordnet sich plötzlich doch und fällt wieder auseinander, um sich bald erneut nach bekannten Gesetzen und unbekanntem, ja geheimnisvollem Sinn zu sammeln, zu strukturieren, um ein neuer Stern zu werden.
Ein faszinierendes Spektakulum! Naturwissenschaftler, Theologe und Philosoph suchen seit Jahrtausenden nach seinem Ursprung und Sinn. Das Erscheinen des "Sterns von Bethlehem" ist gemessen an den astronomischen Entdeckungen und Erkenntnissen des Menschen ein verhältnismäßig junges Ereignis, aber das für ihn wohl entscheidendste.
Dem Auserwählten, der sich in der "Specola Vaticana" in Castelgandolfo zu den sommerlichen astrophysikalischen Seminaren einfinden darf, steht eine Bibliothek von 22.000 Bänden zur Verfügung. Darunter sind nicht nur die frühesten Ausgaben der Werke von Kopernikus, Kepler, Galilei, Newton zu finden, sondern auch die schockierenden Denkleistungen von Stephen Hawking und Martin Rees.
In seinem Buch "Geschichte der Astronomie" schreibt der Physiker Jürgen Hamel:
"Lange bevor der "Stern von Bethlehm" die "Christianisierung des Himmels" einläutete, "beherrschten" die Griechen den Kosmos.
Sie schufen die ersten allgemeinen Hypothesen, Entwürfe, Denkanstöße, Über-legungen über die Gesetzmäßigkeiten am Himmel sowie Vorstellungen über die Entstehung des Weltganzen."
Das Weltbild des Aristoteles, seine geozentrische Physik - er spricht schon von der Kugelgestalt der Erde! - bestimmte nahezu zwei Jahrtausende das Denken der Menschheit, bildete Rahmen und Zusammenhang der Naturwissenschaft, besonders der Astronomie. In Ptolemäus sammelt sich das gesamte astronomische Wissen der antiken Welt. Erst 1400 Jahre nach ihm wagt Nikolaus Kopernikus die zaghafte Äußerung:
"Nicht die Erde, sondern die Sonne ist das Zentrum der Planetenbewegung!"
115 Jahre später verteidigt der fromme Katholik Galileo Galilei diese Ansicht und wird vor das Inquisitionsgericht zitiert.
Natürlich wussten selbst seine schärfsten Kritiker, dass auch die "Heilige Schrift" nicht nur eine Quelle für die theologische Forschung, sondern ebenso für Historiker mit dem Arbeitsschwerpunkt "Kosmosforschung" ist. Jürgen Hamel resümiert:
"Wenn auch die Ausbildung und Verbreitung einer monotheistischen Gottesvorstellung gegen die Vielzahl polytheistischer Kulte eine vornehmliche Aufgabe der Bücher des Alten Testaments darstellte, konnte die tief eingewurzelte und offenbar plausible Herrschaft der Gestirne über die Zeit nicht angetastet werden.
So sehr auch Verdammungsurteile gegen die Astrologie gesprochen wurden, ziehen sich doch Anklänge an diese Lehre durch die ganze Heilige Schrift, bis hin zum Geburtsbericht Christi, mit dem "Stern der Magier" und der Mondfinsternis am Tage seiner Kreuzigung …"
Pater Coyne würdigt die Astrologie, weil sie für ihn jenseits jeder Wissenschaft steht, mit keinem Wort. Nicht das Gefühl der Ungewissheit, die Angst vor dem eigenen Ende, sondern das Staunen über die gewaltige Dimension des Universums hat ihn von der Physik zur Theologie gebracht:
Pater Coyne: "Ich suche nicht nach dem Ort der Geburt Gottes im Universum. Keineswegs. Die Wissenschaft kann die Existenz Gottes weder bestätigen noch verneinen. Der Wissenschaftler erforscht Anfang und Ende des Universums. Ich sage: Gott hat die Welt erschaffen. Er hat diese Art der Schöpfung gewählt; als Gläubiger gibt es daran keinen Zweifel. Es war vor 13,7 Milliarden Jahren!
Für mich als Gläubigen ist GOTT nicht erklärbar. GOTT ist Liebe! Erst in zweiter Linie sehe ich Gott als Erklärung für die Entstehung des Universums. Das Interessanteste am Universum ist, dass es zu verstehen ist. Warum? Weil am Anfang ein Verstand ist, der die Welt erschaffen hat."
Folgt man aber seiner Ansicht, so muss im Plan jenes Verstandes, jener "schöpferischen Intelligenz" oder "denkenden Energie", der oder die mit dem "Big Bang" - dem Urknall - das Universum schufen, bereits die Geburt des Sterns enthalten sein, über den wir im Neuen Testament bei Matthäus im 2. Kapitel lesen und bei Johann Sebastian Bach vor Ehrfurcht fröstelnd hören:
"Als aber Jesus zu Bethlehem in Judäa geboren war, in den Tagen des Königs Herodes, siehe, da kamen Weise vom Morgenland nach Jerusalem, die sprachen: Wo ist der König der Juden? Denn wir haben einen Stern im Morgenland gesehen und sind gekommen, ihm zu huldigen! Und siehe, der Stern, den sie im Morgenland gesehen hatten, ging vor ihnen her, bis er ankam und über dem Ort stillstand, wo das Kind war."
Wer waren die Drei, woher kamen sie genau, was hatten sie wirklich wo und wie gesehen? Was war das für ein Stern? War dieses Leuchen wirklich eine "himmlische, eine göttliche Botschaft" oder eine erklärbare Naturerscheinung? Die genannten Weisen selbst haben uns keine Reiseberichte hinterlassen. Aber für viele Theologen ist das auch ohne Belang, denn das, was in der Bibel steht - im Alten wie im Neuen Testament - ist Gottes Wort und damit unanfechtbar.
Die christliche Theologie beginnt sich seit dem 2. Jahrhundert mit dem Stern von Bethlehem zu befassen. Die Frage war und blieb: Kann man tatsächlich astronomisch genau bestimmen, wann Jesus geboren wurde? Was war der so genannte "Weihnachtsstern", kündigte er wirklich Jesu Geburt an?
Drei Varianten wurden über den berühmtesten Stern am Firmament diskutiert. War es ein Komet, eine Supernova, also das Verglühen eines Sterns oder eine außergewöhnlich seltene Begegnung von Planeten?
Eine Antwort findet man in der Bibliothek der "Specola vaticana" in Castelgandolfo. Ein Komet scheidet aus, weil er in jener Zeit als Unglücksbringer galt.
Eine Supernova war in keiner bekannten Sternenliste zu finden, wenngleich die Chinesen in jenen Tagen eine unbekannte Himmelserscheinung notierten. Aber: Unter den Schriften des deutschen Astronomen Johannes Kepler befindet sich ein Text mit dem Untertitel "…de aetate Christi". Darin vertritt er zum ersten Mal die These:
Bethlehems Stern war eine Planetenkonjunktion von Jupiter und Saturn!
1604 hatte Kepler innerhalb von drei Monaten dreimal die Konjunktion von Jupiter und Saturn im Sternbild Fische beobachtet. Er errechnete mit den von ihm entdeckten Gesetzen den Zeitpunkt dieses himmlischen Ereignisses. Es geschah im Jahre 7 vor Christi Geburt!
Bei seinen Berechnungen stützte er sich vor allem auf die bekannten Lebensdaten von König Herodes und dem Hinweis auf das Alter Jesu im Paulusbrief. Das alles passt einigermaßen zu der berechneten Sternen-Konjunktion der Jahre 7 oder 6 beziehungsweise 4 vor der Zeitrechung.
Wie gesagt: einigermaßen! Durchs Feuer will bis heute keiner dafür gehen. Und: So neugierig war die Kirche auf die genaue Geburtsdatierung nun auch wieder nicht.
Als Kepler die Geburtsurkunde Jesu ausstellte, betrachtete man im Vatikan bereits seit einem Vierteljahrhundert den Himmel. Und dabei spielte Bethlehem überhaupt keine Rolle.
In seinem Essay "Der göttliche Funke" - eine gewissenhaft recherchierte Arbeit - schreibt Peter Haffner:
"Astronomie ist die einzige Naturwissenschaft, die der Vatikan in eigener Regie betreibt. Doch die Suche nach Gott, meinen die Patres, kommt damit keinen Schritt weiter. Das Interesse des Heiligen Stuhls an der Erforschung des Himmels war von Anfang an kein Religiöses. Papst Gregor XIII., beschäftigt mit der Reform des Kalenders, ließ 1578 im Vatikan den "Turm der Winde" erbauen, wo meteorologische und später auch astronomische Beobachtungen gemacht wurden. "
Der "Torre dei Venti" - der Turm der Winde - steht heute noch. An der südlichen Wand des Turms gibt es ein kleines Loch in Meridianhöhe. Am 21.März 1582 fiel der mittägliche Sonnenstrahl auf einen Punkt, der 60 Zentimeter vom ursprünglichen Punkt der Tagundnachtgleiche entfernt war. Das überzeugte Gregor XIII. von der Notwendigkeit einer Kalenderreform.
Dieser "gregorianische Turm" wurde später zur "Specola Vaticana". Bis heute steht dieser Name für die päpstliche Sternwarte in Castelgandolfo.
Der Jesuit Gustav Teres, der Chronist dieser ältesten und berühmtesten europäischen Sternwarte, schreibt:
"Papst Leo XIII. ließ 1891 auf dem Gelände des Vatikanstaates ein neues Observatorium erbauen. Von Anfang an förderte er den Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaft. Mit seiner Hilfe konnten die vatikanischen Astronomen am internationalen Programm der fotografischen Sternkarte - Carte du Ciel - teilnehmen. Bis 1950 haben sie mit 1040 Aufnahmen die genauen Daten für die Position von 481.215 Sternen ermittelt."
Die vatikanischen Astronomen, die mit ihrem "Atlas Stellarum Variabilium" - ein Verzeichnis der veränderlichen Sterne in neun Bänden - Weltruhm erlangten, können hinter dem Petersdom kaum vier Jahrzehnte auf astralen Pfaden pilgern. Wie Blinde wandeln sie schließlich nur noch auf der Milchstrasse herum. Der Grund?
Rom! Die "Ewige Stadt" macht dem Himmel Konkurrenz. Sie will mit Glanz, Glimmer und Geflimmer locken, aber auch mehr Sicherheit auf den Straßen.
Es ist also die zunehmende elektrische Beleuchtung, die die Patres mit ihren Fernrohren und Tabellen vertreibt, denn der Nachthimmel reflektiert das Licht der Straßenlampen, und so ist es nicht mehr möglich, die ferneren und feineren astronomischen Objekte zu beobachten. Jeder Romreisende weiß, dass sie heute bei der fröhlich lärmenden Luftverschmutzung mit ihren Geräten nicht einmal mehr den reitenden Kaiser Marc Aurel auf dem Capitol erkennen würden.
Und so war es 1935 eine weise Entscheidung von Papst Pius XI., die Umsiedlung der Sternwarte in das nahe Rom gelegene Castelgandolfo vorzunehmen. Mit den neuen, von Zeiss Jena gelieferten Fernrohren glaubt man, hier in der klaren Bergluft bis in die Ewigkeit am Himmel patrouillieren zu können.
Aber die Patres hatten bei ihrer Mission ganz und gar die Erde und ihre sehr erfinderische Bewohnerschaft aus dem Blick verloren. Über das halbe Jahrhundert, das sie in dem kleinen Bergstädtchen über dem Albaner See Messe feiernd, beichtend, betend und forschend verbringen dürfen, berichtet Gustav Teres:
"Inzwischen wurden neue und bessere Fernrohre hergestellt. Der deutsche Optiker Bernhard Schmidt konstruierte ein neues Spiegelteleskop mit einem sphärischen Spiegel und einer Korrektionslinse, wodurch die Verzeichnungen und Aberrationen, also Sternverschiebungen beseitigt werden können. Papst Pius XII. kaufte dieses Instrument für die "Specola" und ließ zwei neue Kuppeln im Garten von Castelgandolfo bauen. Unter den Kuppeln wurde ein astrophysikalisches Laboratorium für die spektro-chemische Analyse eingerichtet. Mit diesem begann die zweite Blütezeit des Vatikanischen-Observatoriums."
In keinem Programm oder Arbeitsbericht dieser Generation von vatikanischen Astrologen war jemals etwas über den "Stern von Bethlehem" oder Jesu Geburt zu lesen. Der blieb vielleicht nur noch Gegenstand von Messen, Meditationen und Exerzitien.
Im Sommer 1978 reist Pater George Coyne aus den USA an. Der Professor der Astrophysik an der University of Arizona bezieht das Zimmer des Direktors der "Specola Vaticana". Von seiner Terrasse hat er einen phantastischen Blick über die Berge und den See, schaut weit über Latium, manchmal glitzert in der Ferne das Meer und aus dem römischen Dunst ragt die Kuppel von Sankt Peter. Unter ihm im Gebäude sind die Gemächer des Papstes, der ihn um sein Arbeitszimmer beneidet.
Die Menschen an den Ufern des Lago di Albano fanden es - wie die Römer - schön und notwendig, ihre Wege, Alleen und Häuser mit Neonlicht zu versehen. Der Effekt ließ nicht lange auf sich warten. Am Firmament störte die Widerspiegelung viel irdischen, profanen Lichts die Erhabenheit des Universums. In der päpstlichen Residenz wurden immer häufiger die Fernrohre eingezogen. Wohin nun?
Die sternkundigen Jesuiten konnten Papst Johannes II. von ihrem Umzugsplan überzeugen. Vom Beginn seines Pontifikats zeigte sich der Papst jeder wissenschaftlichen Forschung gegenüber offen, er signalisiert immer Dialogbereitschaft. Anlässlich einer internationalen Studienwoche 1987 in Castelgandolfo, an der viele Disziplinen teilnehmen, schrieb er, und stand damit ganz im Geist des II. Vatikanischen Konzils, an Pater Coyne:
"Im Blick auf die Beziehung zwischen Religion und Wissenschaft zeigt sich eine eindeutige, wenn auch noch zerbrechliche und vorläufige Bewegung in Richtung eines neuen und nuancierten Austauschs…
Die von uns in der Schöpfung auf der Grundlage unseres Glaubens an Jesus Christus als dem Herrn des Universums wahrgenommene Einheit und die korrelative Einheit, nach der wir in unseren menschlichen Gemeinschaften streben, wird, so scheint es, von dem widergespiegelt und sogar verstärkt, was die zeitgenössische Wissenschaft offenbart…
Die Physik liefert dazu ein treffendes Beispiel. Sowohl die Religion als auch die Wissenschaft müssen ihre Autonomie und ihre Besonderheit bewahren. Die Religion gründet nicht in der Wissenschaft, und die Wissenschaft ist keine Weiterführung der Religion."
Am 18. September 1993 feierten die Indianer in Arizona auf ihrem 2700 Meter hohen Mount Graham, 150 Kilometer westlich der Universitätsstadt Tucson, ein großes Fest. Was war geschehen?
Die "Leute mit den langen Augen", wie sie die Astronomen nennen, haben an diesem Tag die neue Vatikanische Sternwarte eingeweiht. Gebäude und Teleskop sind Geschenke der amerikanischen Verehrer von Johannes Paul II. Für die Betriebskosten kommt der Heilige Stuhl auf. Die Forschungsarbeit finanziert eine Stiftung. Damit begann sozusagen die dritte Blütezeit der "Specola Vaticana".
Darüber, wie man die Indianerstämme dazu brachte, das "christliche lange Auge" neben ihren heiligen Kultstätten aufbauen zu lassen, wird nichts überliefert.
Böse Zungen haben auch sofort in Umlauf gebracht, der Vatikan beabsichtige, da die Kreuzzüge nun einmal fehlgeschlagen waren und die Existenz von Außerirdischen sogar von ernstzunehmenden Wissenschaftlern nicht mehr in Frage gestellt wird, diese galaktischen Wesen bei Sichtung möglichst schnell zu evangelisieren, bevor andersfarbige Propheten auf den Plan träten.
Mit dem in Arizona, in luftiger Höhe installierten " Vatican Advanced Technology Teleskop" war es nun möglich, Himmelsobjekte, die etwa fünf Milliarden Lichtjahre entfernt sind, zu fotografieren.
Ein besonderes Forschungsfeld ist die Untersuchung der innerstellaren Materie. Dabei geht es um die Menge wie auch die Wirkung des kosmischen Staubes und Gases zwischen den Sternen, besonders im Kraftfeld der jungen Sterne.
Das ist genau das Forschungsgebiet von Pater George Coyne. Es verwundert also nicht, wenn er sich recht selten in Castelgandolfo aufhält, wo sich nach wie vor das Zentrum der astronomischen Forschung des Heiligen Stuhls befindet.
Anfangs begeisterte ihn die Mondoberfläche, bald aber schon stellte er die "schwarzen Löcher" in den Mittelpunkt seiner Forschung. Er ist fasziniert vom Phänomen des Sternesterbens und des immer noch nicht gänzlich erkannten Charakters dieser "schwarzen Löcher", die Materie und Energie "verschlucken".
Immer führt alles Beobachten und Denken zur alten Frage nach der Struktur und der Entwicklung des Universums. Der Astronom und Priester George Coyne ist überzeugt:
"Gott ist Energie! Wenn wir so wollen… Ich spüre diese Energie von ihm, ich spüre die Energie des Lichts, von der Sonne. Die Energie wandelt sich in Objekte… "Energie" wendet man auch auf Gott an. Aber er ist eine unendliche Energie. Der Ursprung jeder Energie."
Das steht keineswegs im Gegensatz zu seiner theologischen Definition: Gott ist Liebe. Denn spendet nicht die wahre, wirkliche und uneigennützige Liebe über das Glücksgefühl eine gute, stärkende Energie?
Und den ewigen Zweiflern, die glücklicherweise nicht aussterben, haben Physiker und Priester, Teilnehmer einer interdisziplinären Tagung, 1992 gesagt:
"Die Urexplosion ist nicht identisch mit der Schöpfung, aber die Entwicklung des Universums setzt die Schöpfung voraus. Die kosmologische Entwicklungstheorie steht somit nicht im Gegensatz zum biblischen Schöpfungsbericht."
Die "Specola Vaticana" war von Anbeginn ein Ort des Dialogs. Die Astronomen des Papstes waren von Anfang an Priester, die auch eine naturwissenschaftliche Ausbildung hatten. In den letzten Jahrzehnten stellte sich immer wieder die Frage: Warum sollen Theologen und Priester sich mit astronomischen und physikalischen Forschungen befassen?
Der Priester und Forscher, Pater Angelo Secchi, fand für sich die Antwort:
"Wenn es überhaupt eine wissenschaftliche Forschungsarbeit gibt, welche die Seele des Menschen zu ihrem Schöpfer erhebt, dann ist es die Wissenschaft der Sternkunde. Im Psalm 19 steht geschrieben: Denn die Himmel rühmen die Herrlichkeit Gottes, vom Werk seiner Hände kündet das Firmament."
Pater George Coyne, der seinen Glauben als ein Geschenk betrachtet und in Gott mehr als nur eine Formel sieht, will, dass sich der Mensch als Teilnehmer am Schöpfungswerk beteiligt. So versteht er sich und seine Arbeit.
Pater Coyne: "Als Wissenschaftler sage ich, und wir wissen das genau, das Universum wird sich nicht nur auf ewig ausdehnen, es wird dabei auch an Geschwindigkeit zunehmen, zunehmen, je mehr es sich ausdehnt. Das heißt: Am Ende ist das Universum absolut kalt; im wissenschaftlichen Sinne ist es bei NULL angekommen. Es wird keine Energie mehr geben, von keinem Objekt. Es wird eine kalte Welt sein, alles ist sozusagen… tot…!"
Klingt nicht gut. Aber der Trost liegt in der Dimension. In vier oder fünf Milliarden Jahren soll die Sonne erlöschen. Nur wer staunt, wird neugierig bleiben.
Beide, der Theologen und der Naturwissenschaftler, stehen einem Universum gegenüber, das von einer Handvoll Naturgesetzen in einer Balance gehalten wird. Theologen sehen in allem den Plan eines Schöpfers, und die Physiker suchen, bisher erfolglos, nach der Weltformel, aus der die Naturkonstanten folgen, denen wir die Existenz verdanken.
Das wird dauern.
"Gott würfelt nicht!"
Sagt Albert Einstein. Er hatte mit Gott kein Problem.
"Naturwissenschaft ohne Religion ist lahm, Religion ohne Naturwissenschaft ist blind. In diesem materialistischen Zeitalter sind die ernsthaften Wissenschaftler die einzigen tief religiösen Menschen."
Und der Rest? Dem bleibt der Stern von Bethlehem! Er tröstet die Ungeduldigen, Zweifler und Romantiker. Es ist zudem eine schöne, wenn nicht die schönste Geschichte, die man sich seit zweitausend Jahren erzählt. Und sie vermag einmal im Jahr ein kleines Wunder zu vollbringen.
Über Unglück und Hass hinweg verbindet sie die Menschen für einen Augenblick im Gefühl der Hoffnung. Der Stern von Bethlehem! Nicht einmal die supermodernen Teleskope und frommen Astronomen in Arizona haben ihn wieder gesehen. Aber er ist, solange wenigstens einer einmal im Jahr an ihn glaubt.