Von Burkhard Müller-Ullrich
Die Vergabe des Literaturnobelpreises ist der Aufmacher in allen Feuilletons. Die "WELT" verrät, dass sie schon vorher Bescheid wusste und die "FAZ" fragt nach der Souveränität der Entscheidung angesicht der Nähe Mo Yans zur chinesischen Staatsführung.
Ni Hao! - Natürlich stehen alle Feuilletons im Zeichen Chinas und des Literaturnobelpreises für den chinesischen Schriftsteller Mo Yan. Natürlich erfahren wir zunächst überall dasselbe: dass er vor 57 Jahren geboren wurde, dass er aus einer Bauernfamilie stammt - und dass sein Name ein Pseudonym ist und wörtlich "sprachlos" oder "nicht sprechen" bedeutet.
Auch ist er bei uns kein völlig Unbekannter, denn ein halbes Dutzend Romane von ihm liegen schon auf deutsch vor, und eine Verfilmung seiner Novelle "Die rote Hirse" wurde auf der Berlinale 1988 mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet.
In der WELT erfahren wir darüber hinaus, dass er mit Martin Walser eng befreundet ist, und dass man über die Nobelpreisvergabe in Peking schon vorher Bescheid wusste. Johnny Erling schreibt jedenfalls:
"Am Vortag der Entscheidung hatte bereits ein leitender Mitarbeiter des Parteiorgans 'Volkszeitung' der WELT gesagt, er sei überzeugt, dass es Mo Yan wird. Nach den Irritationen der Vergangenheit würde die Nobel-Akademie China ihre Reverenz erweisen."
Und genau das sorgt nicht nur in den deutschen Feuilletons, sondern auch in chinesischen Dissidentenkreisen wiederum für Irritationen. Denn Mo Yan, seit einem Jahr Vize-Vorsitzender des chinesischen Schriftstellerverbands, gilt als ein treuer Gefolgsmann des kommunistischen Regimes, wenn er auch einige Narrenfreiheiten genießt und ausnutzt. Andererseits steht die literarische Qualität seines Schreibens außer Zweifel. Mark Siemons stellt deshalb in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG die wesentliche Frage:
"Handelt es sich um eine taktische, gewissermaßen ausgleichende Entscheidung der Akademie, die durch den Friedensnobelpreis für Liu Xiaobo unter starken Druck der chinesischen Regierung gekommen war? Oder handelt es sich im Gegenteil um eine besonders souveräne Entscheidung, die sich von nationalen und anderen kollektiven Zugehörigkeiten nicht in ihrem Qualitätsurteil irremachen lässt?"
Für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG ist der Fall klar. Tim Neshitov schreibt dort:
"Diese Entscheidung bedeutet nicht nur eine Würdigung des Werks von Mo Yan, sondern sie relativiert den Entschluss der Akademie, vor zwölf Jahren den Preis an Gao Xingjian zu verleihen, einen damals kaum bekannten chinesischen Exilautor."
Wobei man statt "damals" besser "immer noch" sagen sollte. Die Vorstellung, dass ein Literaturnobelpreis einen anderen relativiert, ist zwar abstrus, hat aber Entwicklungspotential: Relativiert vielleicht auch der Preis für Herta Müller den für Elfriede Jelinek? Und hat nicht derjenige für Dario Fo jeden anderen jemals vergebenen Literaturnobelpreis gründlich relativiert? Aber lassen wir das - der Zufall will es, dass in den Feuilletons noch mehr Chinesisches steht: Karin Leydecker berichtet in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG über eine Mannheimer Ausstellung über moderne chinesische Architektur, die auch (aber zu wenig) von den Schattenseiten des turbokapitalistischen Baubooms handelt: der nahezu vollständigen Zerstörung alter, gewachsener Stadtviertel und dem Totalverlust des angestammten Lebensraums ihrer Bewohner. Und gerade zur Frankfurter Buchmesse ist das neue - in China selbstverständlich verbotene - Buch des diesjährigen Buchhandels-Friedenspreisträgers Liao Yiwu auf deutsch erschienen, das Ina Hartwig in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG vorstellt.
A propos Friedenspreis: die beiden Vorgänger von Liao Yiwu, der Israeli David Grossmann und der Algerier Boualem Sansal, haben gerade beim sogenannten "Weltforum für Demokratie" in Straßburg einen sogenannten Friedensappell an andere Schriftsteller gerichtet, den Henryk M. Broder in der WELT wie folgt verspottet:
"Wäre es nicht viel effizienter, sich in Nordkorea zu treffen, das zu arm ist, um seine Bevölkerung zu ernähren, aber genug Geld hat, um Atombomben zu bauen? Oder in Aleppo, wo derzeit die Truppen des syrischen Präsidenten ein Blutbad veranstalten? Aber nein, es muss Straßburg sein, das für seine Delikatessen berühmt ist. Oder Reykjavik, die Hauptstadt eines Landes, das so friedlich ist, das es nicht einmal eine Armee ( ... ) hat. Hier hat Yoko Ono, die Witwe von John Lennon, vergangenen Dienstag Lady Gaga mit einem Friedenspreis geehrt."
Auch ist er bei uns kein völlig Unbekannter, denn ein halbes Dutzend Romane von ihm liegen schon auf deutsch vor, und eine Verfilmung seiner Novelle "Die rote Hirse" wurde auf der Berlinale 1988 mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet.
In der WELT erfahren wir darüber hinaus, dass er mit Martin Walser eng befreundet ist, und dass man über die Nobelpreisvergabe in Peking schon vorher Bescheid wusste. Johnny Erling schreibt jedenfalls:
"Am Vortag der Entscheidung hatte bereits ein leitender Mitarbeiter des Parteiorgans 'Volkszeitung' der WELT gesagt, er sei überzeugt, dass es Mo Yan wird. Nach den Irritationen der Vergangenheit würde die Nobel-Akademie China ihre Reverenz erweisen."
Und genau das sorgt nicht nur in den deutschen Feuilletons, sondern auch in chinesischen Dissidentenkreisen wiederum für Irritationen. Denn Mo Yan, seit einem Jahr Vize-Vorsitzender des chinesischen Schriftstellerverbands, gilt als ein treuer Gefolgsmann des kommunistischen Regimes, wenn er auch einige Narrenfreiheiten genießt und ausnutzt. Andererseits steht die literarische Qualität seines Schreibens außer Zweifel. Mark Siemons stellt deshalb in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG die wesentliche Frage:
"Handelt es sich um eine taktische, gewissermaßen ausgleichende Entscheidung der Akademie, die durch den Friedensnobelpreis für Liu Xiaobo unter starken Druck der chinesischen Regierung gekommen war? Oder handelt es sich im Gegenteil um eine besonders souveräne Entscheidung, die sich von nationalen und anderen kollektiven Zugehörigkeiten nicht in ihrem Qualitätsurteil irremachen lässt?"
Für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG ist der Fall klar. Tim Neshitov schreibt dort:
"Diese Entscheidung bedeutet nicht nur eine Würdigung des Werks von Mo Yan, sondern sie relativiert den Entschluss der Akademie, vor zwölf Jahren den Preis an Gao Xingjian zu verleihen, einen damals kaum bekannten chinesischen Exilautor."
Wobei man statt "damals" besser "immer noch" sagen sollte. Die Vorstellung, dass ein Literaturnobelpreis einen anderen relativiert, ist zwar abstrus, hat aber Entwicklungspotential: Relativiert vielleicht auch der Preis für Herta Müller den für Elfriede Jelinek? Und hat nicht derjenige für Dario Fo jeden anderen jemals vergebenen Literaturnobelpreis gründlich relativiert? Aber lassen wir das - der Zufall will es, dass in den Feuilletons noch mehr Chinesisches steht: Karin Leydecker berichtet in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG über eine Mannheimer Ausstellung über moderne chinesische Architektur, die auch (aber zu wenig) von den Schattenseiten des turbokapitalistischen Baubooms handelt: der nahezu vollständigen Zerstörung alter, gewachsener Stadtviertel und dem Totalverlust des angestammten Lebensraums ihrer Bewohner. Und gerade zur Frankfurter Buchmesse ist das neue - in China selbstverständlich verbotene - Buch des diesjährigen Buchhandels-Friedenspreisträgers Liao Yiwu auf deutsch erschienen, das Ina Hartwig in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG vorstellt.
A propos Friedenspreis: die beiden Vorgänger von Liao Yiwu, der Israeli David Grossmann und der Algerier Boualem Sansal, haben gerade beim sogenannten "Weltforum für Demokratie" in Straßburg einen sogenannten Friedensappell an andere Schriftsteller gerichtet, den Henryk M. Broder in der WELT wie folgt verspottet:
"Wäre es nicht viel effizienter, sich in Nordkorea zu treffen, das zu arm ist, um seine Bevölkerung zu ernähren, aber genug Geld hat, um Atombomben zu bauen? Oder in Aleppo, wo derzeit die Truppen des syrischen Präsidenten ein Blutbad veranstalten? Aber nein, es muss Straßburg sein, das für seine Delikatessen berühmt ist. Oder Reykjavik, die Hauptstadt eines Landes, das so friedlich ist, das es nicht einmal eine Armee ( ... ) hat. Hier hat Yoko Ono, die Witwe von John Lennon, vergangenen Dienstag Lady Gaga mit einem Friedenspreis geehrt."