Von Burkhard Müller-Ullrich

In der "Frankfurter Rundschau", der "Berliner Zeitung" und dem "Kölner Stadtanzeiger" philosophiert Verteidigungsminister Thomas de Maizière über Verteidigungspolitik und die "Süddeutsche" kritisiert sogenannte targeted killings.
In der "Frankfurter Rundschau", der "Berliner Zeitung" und dem "Kölner Stadtanzeiger" philosophiert Verteidigungsminister Thomas de Maizière über Verteidigungspolitik und die "Süddeutsche" kritisiert sogenannte targeted killings.

Amtierende Verteidigungsminister schreiben normalerweise nicht fürs Feuilleton, aber da das Feuilleton schon längst der Platz für jede Art von Nachdenklichkeit und für das Anstoßen gesellschaftspolitischer Debatten ist, war Thomas de Maizières Auftritt in den Kulturspalten der DuMont-Schauberg-Blätter FRANKFURTER RUNDSCHAU, BERLINER ZEITUNG und KÖLNER STADTANZEIGER schon ganz richtig platziert:

"Als Verteidigungsminister frage ich: Warum diskutieren wir nicht über deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik - an Schulen, Universitäten, Kirchen und überall, wo öffentlich diskutiert wird?"

Implizit gab er sich die Antwort ein paar Absätze weiter selber:

"Sind wir Deutsche militante Pazifisten und Moralapostel? Das glaube ich nicht. Was meinen wir aber konkret, wenn wir von wertegeleiteter Außen- und Sicherheitspolitik sprechen? Oder wenn wir sagen, dass ein militärischer Einsatz deutschen Interessen dient?"

Und wieder ein paar Absätze weiter löste De Maizière auch diese rhetorischen Fragezeichen auf:

"Wirtschaftliche Interessen werden in unserem Land mitunter als ethisch minderwertig angesehen, wie Interessenwahrnehmung überhaupt. Man verfolgt nur Werte, Interessen möglichst nicht."

Nachdem der vorletzte Bundespräsident just wegen einer nicht hundertprozentig politisch korrekten Formulierung in Bezug auf deutsche Interessen zu Fall kam, ist die öffentliche Erörterung militärischer Probleme sowieso zu einem sprachlichen Minenfeld geworden. Kein Wunder, wenn sich da jeder auf sichere Floskeln zurückzieht und konkrete Aussagen meidet. Nicht von ungefähr spottete der englische ECONOMIST unlängst über die Bundeswehr: "No shooting please, we're German". An dieser Mentalität wird sich so schnell nichts ändern, auch wenn der Verteidigungsminister geradezu beschwörend um Behandlung seines Themas bittet:

"Kein Konflikt kann dauerhaft militärisch gelöst werden. Aber das Politische kann eben manchmal nur mit Hilfe des Militärischen erfolgreich sein. Diese Wechselwirkung muss man sehen, wenn man fordert, von jeglicher militärischer Gewalt Abstand zu nehmen."

Dass die Diskussion doch nicht ganz unterbleibt, zeigte schon am folgenden Tag ein Artikel in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG von deren früherem Feuilletonchef Andreas Zielcke. Er befasste sich, ausgehend von der gezielten Tötung einiger Hamas-Führer durch die israelische Armee, mit dem an Umfang und Bedeutung ständig zunehmenden Phänomen der sogenannten "Targeted killings". Zielcke räumt zwar ein, dass sie gegenüber bisherigen Massentötungen im Krieg einen Fortschritt darstellen, hält aber ihre völkerrechtliche Legitimität aus mehreren Gründen für zweifelhaft. Erstens:

"Kollateralschäden unter unbeteiligten Zivilpersonen sind oft erheblich größer, als es das euphemistische Bild vom chirurgischen Eingriff wahrhaben will."

Zweitens:

"Die Auswahl der "Zielobjekte" ist meist absolut intransparent und durch keine unabhängige Instanz kontrolliert."

Und schließlich seien nach Meinung viel Völkerrechtler auch Tötungen von Terroristen illegitim, deren Attentate schon ein Weilchen zurückliegen, denn:

"In diesen Fällen handelt es sich um Rache, keineswegs um berechtigte Selbstverteidigung."

Man denkt an Osama Bin Laden und weiß: ginge es nach den von Zielcke angeführten Völkerrechtlern und ähnlich eingestellten Feuilletonisten wäre dieser Mann noch am Leben und würde in Pakistan weiterhin Videos schauen und gelegentlich neue produzieren, in denen er zu Massenmorden aufruft. Die Diskussion, zu der De Maizière aufruft, muss sich wohl auch um die Frage drehen, in was für einer Welt wir eigentlich leben wollen.

Die Frage treibt auch den französischen Philosophen Bernard-Henri Lévy um, mit dem der Feuilleton-Ressortleiter der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG Nils Minkmar ein Interview über die Eurokrise beziehungsweise die Krise Europas und das deutsch-französische Verhältnis geführt hat. Lévy sagt:

"Europa ist nicht Deutschland und Frankreich. Europa, das sind die Juden, die Griechen und die Römer. Wenn man unter Europa ein bestimmtes demokratisches und staatsbürgerliches Modell versteht, einen Wissens- und Rechtsraum, eine bestimmte Art des geistigen Verkehrs der Menschen untereinander wie auch des Verkehrs der Waren und der Dinge; wenn man darunter jene einzigartige Verbindung zwischen den Formen des Vielen und dem einzigartigen Namen des Einen versteht, welche zum Erbe der Völker Europas gehört, dann kommt die Versuchung, Griechenland und Italien fallenzulassen, die Versuchung, sie zum Austritt aus der Eurozone zu bewegen, der Versuchung gleich, zuzulassen, dass Europa Selbstmord begeht."

Ob Europa für ihn dasselbe wie die Eurozone ist und ob die Aufgabe eines nicht funktionierenden Währungskonzepts gleichbedeutend mit Seelenverlust und Selbstmord ist, das wird sich wohl noch weisen. Zum Thema Deutschland und Frankreich aber gab es noch eine Petitesse in der WELT zu lesen, wo sich deren Feuilletonchef Cornelius Tittel über die Ankündigung mokierte, dass Deutschland und Frankreich auf der nächsten Kunstbiennale in Venedig ihre angestammten Pavillons tauschen werden.

Nun läßt unsere Biennale-Kommissarin Susanne Gaensheimer für Deutschland schon einen Chinesen, einen Südafrikaner, eine Inderin und den Filmregisseur Romuald Karmakar, der allerdings einen französischen Paß hat, auflaufen. Von einer gemeinsamen europäischen Kultur innerhalb eines größeren Bezugssystems einer globalen kulturellen Gemeinschaft ist da die Rede, und das bringt Tittel in Rage:

"Dass die Künstler, die sich über jede Art von Biennale-Auftritt gefreut hätten, mit lächerlichen Erklärungen wie diesen vollends zu politischen Schachbrettfiguren gemacht werden, scheint den Verantwortlichen egal zu sein,"

kritisiert der Autor. Aber er sieht auch einen Vorteil:

"Der französische Pavillon hat, anders als der deutsche, eine Toilette, was Frau Gaensheimers Entscheidung jenseits aller Globalisierungstheorien ganz praktisch beeinflußt haben könnte."

"Bleibt nur die Frage, was das alles mit Kunst zu tun hat. Die Antwort ist der wahre Skandal: nichts."

Diesen Satz hätte der Presseschauer an dieser Stelle genau so sagen können, aber auch er stammt von Cornelius Tittel.