Von Burkhard Müller-Ulrich
Die gewaltigen Wagner-Feierlichkeiten, der Streit um den Maler Georg Baselitz und der Entwurf eines "lateinischen Imperiums" beschäftigten die Feuilletons in dieser Woche - und natürlich der Tod der Lyrikerin Sarah Kirsch.
Nachdem das weltweite Wagner-Gedenken am Mittwoch mit dem 200. Geburtstag des Meisters den Höhepunkt, die Klimax, den Paroxysmus erreichte und zu einem medialen Overkill führte, der sich beispielsweise darin äußerte, daß die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG praktisch ihr ganzes Feuilleton für diesen Anlaß freiräumte, werden wir jetzt zu diesem Thema einfach mal nichts mehr sagen – außer einem Hinweis auf den Bericht der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG von der amtlichen Feier im Bayreuther Festspielhaus:
"Bevor Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer die Konzertgemeinde begrüßt, hat man im Programmbuch schon gelesen, auf welch windungsreiche Weise die Urenkelinnen Katharina und Eva Wagner die Konzertbesucher über die inzwischen weltweit als dubios eingeschätzte Persönlichkeit des Jubilars informieren."
Alsdann zitierte Wolfgang Schreiber den Ministerpräsidenten mit so schönen Sätzen wie "Im Wagner-Jahr sind die Menschen überall im Wagner-Fieber." und "Wir feiern heute ein Genie von Weltruhm."
– setzte aber maliziös hinzu:
"Nur, ein Kunststück fand keine Erwähnung - dass ausgerechnet 2013 nicht nur Wagners Villa Wahnfried zur unzugänglichen Baustelle gemacht wurde, sondern auch das schadhafte Festspielhaus, das hinter Gerüsten teilweise nur als Fake-Fassade leuchtet."
Ein Großkünstler der Gegenwart, wenngleich vielleicht nicht ganz von Wagnerschem Format, kam diese Woche ins Gerede durch einen geradezu gehässigen Artikel von Julia Voss in der FAZ. Sie zerpflückte den Mythos um einen unserer teuersten Maler, nämlich Georg Baselitz, als ein Medienphänomen, das darin besteht, daß die Selbstbeschreibungen des Künstlers von der gesamten Kunstkritik brav nachgebetet werden.
"In der Kunstgeschichte der Nachkriegszeit gibt es wenige Künstler, die so hartnäckig von sich behauptet haben, ausgegrenzt, angegriffen und mißverstanden worden zu sein,"
schrieb die Autorin und konterte diese Legende mit dem Hinweis auf die zahlreichen Stipendien und Ausstellungen, die Baselitz schon in den 60er-Jahren zuteil wurden, und seine Bilderbuchkarriere mit frühen Einladungen zur Documenta und zur Biennale in Venedig. Was Julia Voss dem Künstler aber besonders vorwarf, sind seine – wie sie es nennt –
"guten Beziehungen zur Finanz- und Wirtschaftselite"
also zu der typischen FAZ-Leser-Schicht, die diesen abschätzigen Ton vermutlich nicht goutiert. Denn wer, wenn nicht die Wohlhabenden im Lande, kommt für Kunstkäufe großen Stils in Frage, ohne die es gar keine Künstlerkarrieren gäbe?
Sowohl Ulf Poschardt von der WELT als auch Catrin Lorch von der SÜDDEUTSCHEN traten tags darauf dem FAZ-Artikel entgegen. Dabei ging es vor allem um die Unterstellung, an den in verschiedenen Museen ausgestellten Baselitz-Bildern aus anonymen Privatsammlungen sei etwas Anrüchiges.
"Anonymität ist in einem Land voll Neid und Missgunst nicht nur Ausdruck von Bescheidenheit, sondern angesichts der Elitefeindlichkeit auch des bürgerlichen Feuilletons ein Akt der Vernunft."
… schrieb Poschardt.
Ein paar Wochen schon beschäftigt der von dem italienischen Philosophen Giorgio Agamben vorgestellte Entwurf eines ‚lateinischen Imperiums‘ als Antwort auf die tatsächliche oder befürchtete deutsche Vorherrschaft in Europa die Feuilletons. Sowohl in der WELT als auch in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG wurde Agamben dafür angegriffen, zuletzt faßte Uwe Justus Wenzel den Stand der Debatte in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG zusammen.
"Agamben wirbt dafür, ein angeblich «aktuelles» Memorandum aus dem August 1945 zu lesen. Es wurde der von de Gaulle präsidierten provisorischen Regierung Frankreichs präsentiert – und hebt mit der «deutschen Gefahr» an. Verfasst worden war es von dem russisch-französischen Philosophen Alexandre Kojève, der in den dreissiger Jahren mit seinen Pariser Vorlesungen über Hegels «Phänomenologie des Geistes» und ein mögliches «Ende der Geschichte» nicht wenige Köpfe des französischen Geisteslebens verwirrt hatte. Ob Kojève sich mit dem Memorandum für die Beamtenkarriere empfahl, die er dann machte?"
fragte Wenzel in der NZZ. Die FAZ ließ unterdessen Agamben selbst zu Wort kommen. In einem Interview ruderte er heftig und fast schon enttäuschend zurück:
"Das Ziel meiner Kritik war nicht Deutschland, sondern die Weise, in der die Europäische Union konstruiert wurde, nämlich auf ausschließlich ökonomischer Basis. So werden nicht nur unsere spirituellen und kulturellen Wurzeln ignoriert, sondern auch die politischen und rechtlichen. Wenn eine Kritik an Deutschland herauszuhören war, dann nur, weil Deutschland aus seiner dominierenden Position heraus und trotz seiner außergewöhnlichen philosophischen Tradition momentan unfähig erscheint, ein Europa zu denken, das nicht allein auf Euro und Wirtschaft beruht."
Mehr als zwei Wochen nach Sarah Kirschs Tod gelangte die Nachricht davon erst in die Feuilletons. Im Alter von 78 Jahren ist eine der größten deutschen Lyrikerinnen bereits Anfang Mai in Heide in Holstein gestorben.
"Sarah Kirsch war nicht nur eine Virtuosin der Sprache, sie war eine Meisterin in der Kunst ständiger Metamorphosen – und blieb sich gleichwohl treu ein Leben lang."
schrieb Roman Bucheli in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG. Zu den Kontinuitäten ihres Werks gehört ohne Zweifel die Verbundenheit zur Natur, die Lothar Müller in der SÜDDEUTSCHEN wie folgt charakterisierte:
"Wer Hirtenlieder schreibt und Seelieder, den Himmel sich schuppen lässt und den Wels am Grunde des Sees betrachtet, die Bäume liest und mit einer Schlehe im Mund übers Feld kommt, der gilt rasch als "Naturlyrikerin". Von aller Naturfrömmigkeit aber war Sarah Kirsch früh schon entfernt, und das muss mit ihrem Studium am Literaturinstitut Johannes R. Becher in Leipzig 1963 bis 65 zu tun haben."
Und Richard Kämmerling rief ihr in der WELT nach:
"Von Sarah Kirsch stammen einige der schönsten und ausgelassensten Liebesgedichte deutscher Sprache, das frühe "Dann werden wir kein Feuer brauchen" etwa oder "Die Luft riecht schon nach Schnee"."
Kämmerlings verwies auch auf ihr "immer leiser werdendes Alterswerk" mit der schönen Formulierung, dass dies doch stets die Hoffnung enthalte, dass es nie völlig ausklingen werde.
"Bevor Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer die Konzertgemeinde begrüßt, hat man im Programmbuch schon gelesen, auf welch windungsreiche Weise die Urenkelinnen Katharina und Eva Wagner die Konzertbesucher über die inzwischen weltweit als dubios eingeschätzte Persönlichkeit des Jubilars informieren."
Alsdann zitierte Wolfgang Schreiber den Ministerpräsidenten mit so schönen Sätzen wie "Im Wagner-Jahr sind die Menschen überall im Wagner-Fieber." und "Wir feiern heute ein Genie von Weltruhm."
– setzte aber maliziös hinzu:
"Nur, ein Kunststück fand keine Erwähnung - dass ausgerechnet 2013 nicht nur Wagners Villa Wahnfried zur unzugänglichen Baustelle gemacht wurde, sondern auch das schadhafte Festspielhaus, das hinter Gerüsten teilweise nur als Fake-Fassade leuchtet."
Ein Großkünstler der Gegenwart, wenngleich vielleicht nicht ganz von Wagnerschem Format, kam diese Woche ins Gerede durch einen geradezu gehässigen Artikel von Julia Voss in der FAZ. Sie zerpflückte den Mythos um einen unserer teuersten Maler, nämlich Georg Baselitz, als ein Medienphänomen, das darin besteht, daß die Selbstbeschreibungen des Künstlers von der gesamten Kunstkritik brav nachgebetet werden.
"In der Kunstgeschichte der Nachkriegszeit gibt es wenige Künstler, die so hartnäckig von sich behauptet haben, ausgegrenzt, angegriffen und mißverstanden worden zu sein,"
schrieb die Autorin und konterte diese Legende mit dem Hinweis auf die zahlreichen Stipendien und Ausstellungen, die Baselitz schon in den 60er-Jahren zuteil wurden, und seine Bilderbuchkarriere mit frühen Einladungen zur Documenta und zur Biennale in Venedig. Was Julia Voss dem Künstler aber besonders vorwarf, sind seine – wie sie es nennt –
"guten Beziehungen zur Finanz- und Wirtschaftselite"
also zu der typischen FAZ-Leser-Schicht, die diesen abschätzigen Ton vermutlich nicht goutiert. Denn wer, wenn nicht die Wohlhabenden im Lande, kommt für Kunstkäufe großen Stils in Frage, ohne die es gar keine Künstlerkarrieren gäbe?
Sowohl Ulf Poschardt von der WELT als auch Catrin Lorch von der SÜDDEUTSCHEN traten tags darauf dem FAZ-Artikel entgegen. Dabei ging es vor allem um die Unterstellung, an den in verschiedenen Museen ausgestellten Baselitz-Bildern aus anonymen Privatsammlungen sei etwas Anrüchiges.
"Anonymität ist in einem Land voll Neid und Missgunst nicht nur Ausdruck von Bescheidenheit, sondern angesichts der Elitefeindlichkeit auch des bürgerlichen Feuilletons ein Akt der Vernunft."
… schrieb Poschardt.
Ein paar Wochen schon beschäftigt der von dem italienischen Philosophen Giorgio Agamben vorgestellte Entwurf eines ‚lateinischen Imperiums‘ als Antwort auf die tatsächliche oder befürchtete deutsche Vorherrschaft in Europa die Feuilletons. Sowohl in der WELT als auch in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG wurde Agamben dafür angegriffen, zuletzt faßte Uwe Justus Wenzel den Stand der Debatte in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG zusammen.
"Agamben wirbt dafür, ein angeblich «aktuelles» Memorandum aus dem August 1945 zu lesen. Es wurde der von de Gaulle präsidierten provisorischen Regierung Frankreichs präsentiert – und hebt mit der «deutschen Gefahr» an. Verfasst worden war es von dem russisch-französischen Philosophen Alexandre Kojève, der in den dreissiger Jahren mit seinen Pariser Vorlesungen über Hegels «Phänomenologie des Geistes» und ein mögliches «Ende der Geschichte» nicht wenige Köpfe des französischen Geisteslebens verwirrt hatte. Ob Kojève sich mit dem Memorandum für die Beamtenkarriere empfahl, die er dann machte?"
fragte Wenzel in der NZZ. Die FAZ ließ unterdessen Agamben selbst zu Wort kommen. In einem Interview ruderte er heftig und fast schon enttäuschend zurück:
"Das Ziel meiner Kritik war nicht Deutschland, sondern die Weise, in der die Europäische Union konstruiert wurde, nämlich auf ausschließlich ökonomischer Basis. So werden nicht nur unsere spirituellen und kulturellen Wurzeln ignoriert, sondern auch die politischen und rechtlichen. Wenn eine Kritik an Deutschland herauszuhören war, dann nur, weil Deutschland aus seiner dominierenden Position heraus und trotz seiner außergewöhnlichen philosophischen Tradition momentan unfähig erscheint, ein Europa zu denken, das nicht allein auf Euro und Wirtschaft beruht."
Mehr als zwei Wochen nach Sarah Kirschs Tod gelangte die Nachricht davon erst in die Feuilletons. Im Alter von 78 Jahren ist eine der größten deutschen Lyrikerinnen bereits Anfang Mai in Heide in Holstein gestorben.
"Sarah Kirsch war nicht nur eine Virtuosin der Sprache, sie war eine Meisterin in der Kunst ständiger Metamorphosen – und blieb sich gleichwohl treu ein Leben lang."
schrieb Roman Bucheli in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG. Zu den Kontinuitäten ihres Werks gehört ohne Zweifel die Verbundenheit zur Natur, die Lothar Müller in der SÜDDEUTSCHEN wie folgt charakterisierte:
"Wer Hirtenlieder schreibt und Seelieder, den Himmel sich schuppen lässt und den Wels am Grunde des Sees betrachtet, die Bäume liest und mit einer Schlehe im Mund übers Feld kommt, der gilt rasch als "Naturlyrikerin". Von aller Naturfrömmigkeit aber war Sarah Kirsch früh schon entfernt, und das muss mit ihrem Studium am Literaturinstitut Johannes R. Becher in Leipzig 1963 bis 65 zu tun haben."
Und Richard Kämmerling rief ihr in der WELT nach:
"Von Sarah Kirsch stammen einige der schönsten und ausgelassensten Liebesgedichte deutscher Sprache, das frühe "Dann werden wir kein Feuer brauchen" etwa oder "Die Luft riecht schon nach Schnee"."
Kämmerlings verwies auch auf ihr "immer leiser werdendes Alterswerk" mit der schönen Formulierung, dass dies doch stets die Hoffnung enthalte, dass es nie völlig ausklingen werde.