Von Burkhard Müller-Ulrich
Nachlese zur US-Wahl: Die WELT analysiert den Übergang zum "postpolitischen Zeitalter", die FAZ die geographische Lage der USA - außerdem stellt sie einen gesellschaftskritischen Roman aus Russland vor, dessen Autor unter Pseudonym schreibt. Mit der Süddeutschen Zeitung streitet die FAZ weiter um den "Frankfurter Julius".
Man hatte irgendwie den Eindruck, als sei den Feuilletonautoren in der Wochenmitte die Puste ausgegangen. Denn zu dem weltweit wichtigsten politischen Ereignis, der US-Präsidentenwahl, kam, als sie dann vorüber war, fast nichts mehr. Vorher wurde jeder Fernsehauftritt der Kandidaten analysiert, jeder Fanclub porträtiert und jede Petitesse kommentiert, doch dann war das Thema durch und Obamas erfolgte Wiederwahl offenbar keines mehr – außer für den in Stanford lehrenden und selbst zum wahlberechtigten US-Bürger gewordenen Komparatisten Hans Ulrich Gumbrecht, der das ganze Geschehen als Übergang zum sogenannten "postpolitischen Zeitalter" deutete. In der WELT schrieb er:
"Nirgends ist die Umstellung von einer Zukunft als Horizont utopischer Gestaltung zu einer Zukunft unvermeidlicher Bedrohungen und Reduktionen deutlicher als in der amerikanischen Politik und in der amerikanischen Gesellschaft, wo eine Autofahrt durch manche Staaten zu einer Serienerfahrung eingestellter Zukunftsprojekte werden kann."
Darauf, daß es für die Politik eigentlich gar keinen Handlungsspielraum mehr gibt, habe sich Obama konsequenter und auch erfolgreicher eingestellt als irgendein anderer Politiker unserer Gegenwart, erklärte Gumbrecht.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG hatte noch kurz vor der Wahl ein Interview mit dem republikanisch orientierten Historiker Robert Kagan gebracht, der nicht nur die Sache mit dem politischen Handlungsspielraum anders sieht, sondern auch die internationale Machtposition der Vereinigten Staaten für noch immer recht gefestigt hält.
"Die Vereinigten Staaten besitzen eine außergewöhnliche geographische Lage. Sie sind von allen anderen Großmächten weit entfernt. Für China gilt das nicht. China ist zwar eine wirtschaftliche Supermacht, aber das Land ist eingekreist von Japan, Indien und Russland - sämtlich Großmächte, die sich einer geostrategischen Hegemonie Chinas widersetzen. Wenn die Welt wieder bipolar werden sollte, müsste China ganz Asien beherrschen."
Rußland überhaupt noch zu den Großmächten zu rechnen, wie Robert Kagan das tut, ist sowieso nicht mehr lange möglich, wenn man den inneren Zustand dieser Nation betrachtet, wie er in einem hochbrisanten Roman Ausdruck findet. Über diesen Roman berichtete der russische Schriftsteller Viktor Jerofejew in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG und führte zugleich wieder einmal vor, wie aufregend Literatur ist, wenn sie als Versteckspiel daherkommt.
"Das Buch, das gerade in Rußland für Furore sorgt, besteht in einer wütenden und schonungslosen Abrechnung mit der russischen Gesellschaft und Politik dieser Tage. Der Roman, in dem Kinder aus niedrigen Beweggründen von der Polizei auf höheren Befehl ermordet werden und unter phantastischen Umständen wieder zum Leben auferstehen, dieser teils absurde und groteske, teils gefährlich realitätsnahe Roman heißt "Maschinka und Welik" und stammt wie auch noch ein etwas harmloserer zweiter angeblich von einem Autor namens Natan Dubowizki."
Jerofejew erläuterte:
"Die meisten russischen Journalisten und Literaturkritiker sind sich einig, dass dieser Name die Frucht einer literarischen Mystifikation ist, hinter der sich einer der einflussreichsten russischen Beamten verbirgt, der Chefideologe des Putin-Regimes und derzeitige Vizeministerpräsident Russlands, der achtundvierzigjährige Wladislaw Jurjewitsch Surkow – ein durchaus kluger Feind unserer Oppositionellen und Liberalen, mit Kultstatus."
Surkow selbst leugnet übrigens beharrlich. Inzwischen heißt es auch, hinter dem Pseudonym könnten mehrere Urheber stecken. Dazu erklärte Jerofejew:
"Unter anderen wird dabei auch mein Name genannt. Ich sage es hier ehrlich: Ich habe diese Romane nicht geschrieben, bescheinige ihnen aber eine hohe literarische Qualität. Meiner Meinung nach wurden die Romane tatsächlich von Surkow geschrieben, aber das ist nicht das Entscheidende. Entscheidend ist ein Paradoxon: Sie sind von einem freien, ironischen, scharfsichtigen Menschen geschrieben, der Russland "von oben" betrachtet, von den Höhen des Kremls aus."
Bleibt bloß die Frage, warum er das getan hat. Jerofejews Vermutung: weil er Rußland liebt und an der Verkommenheit des Landes leidet.
Rund 500 Jahre nach seiner Entstehung führt die Entstehungsgeschichte eines Ölgemäldes, das Papst Julius II. zeigt, zu einem handfesten Feuilletonkrach, der Anfang des Monats begann, als die Kunsthistorikerin Kia Vahland in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG das Frankfurter Städel heftig dafür kritisierte, dieses Bild, von dem keineswegs sicher sei, daß es von Raffael stamme, mit der Zuschreibung "Raffael und Werkstatt" in die Dauerausstellung der Alten Meister aufgenommen zu haben. Am Dienstag replizierte der Leiter der Gemäldesammlung des Städel-Museums Jochen Sander in der FAZ und wurde am Freitag in der SZ erneut abgewatscht.
Sander verwies auf eine seit langem geplante Sonderausstellung im November 2013 und den in Arbeit befindlichen Katalog hierfür und schrieb:
"Damit wird der ideale Rahmen geboten sein, um die Debatte um den Frankfurter Julius zu führen, die die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG vor einer Woche vorwegnehmen wollte."
Aber Vahland antwortete umgehend:
"Die grundlegenden Fragen müssen jetzt geklärt werden und nicht erst zwei Jahre nach Ankauf und Hängung."
Ein Kunsthaus sei nur dann eine Instanz, wenn es Werke unabhängig von strategischen Interessen zu bewerten vermöge. Das Museum als Institution lebe vom Geschichtsbewusstsein, und das heiße: von dem unbedingten Willen zur historischen Wahrheit.
Und weiter wörtlich:
"Ansonsten leben wir bald im Historienroman und Sandalenfilm: Dann ist Geschichte nur noch das, was gerade in unser Zeitgefühl und zum Etat der Museen passt. Das Kunstwerk wird dann vom Zeugnis zur staunenswerten Reliquie. Es reicht, dass es irgendwie alt ist und ein diffuses Gefühl von Echtheit erzeugt. Macht der Fall des Frankfurter Julius Schule, dann stehen die deutschen Museen am Scheideweg. Sie können ihre Identität bewahren oder sich dem unkundigen Spektakel hingeben."
"Nirgends ist die Umstellung von einer Zukunft als Horizont utopischer Gestaltung zu einer Zukunft unvermeidlicher Bedrohungen und Reduktionen deutlicher als in der amerikanischen Politik und in der amerikanischen Gesellschaft, wo eine Autofahrt durch manche Staaten zu einer Serienerfahrung eingestellter Zukunftsprojekte werden kann."
Darauf, daß es für die Politik eigentlich gar keinen Handlungsspielraum mehr gibt, habe sich Obama konsequenter und auch erfolgreicher eingestellt als irgendein anderer Politiker unserer Gegenwart, erklärte Gumbrecht.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG hatte noch kurz vor der Wahl ein Interview mit dem republikanisch orientierten Historiker Robert Kagan gebracht, der nicht nur die Sache mit dem politischen Handlungsspielraum anders sieht, sondern auch die internationale Machtposition der Vereinigten Staaten für noch immer recht gefestigt hält.
"Die Vereinigten Staaten besitzen eine außergewöhnliche geographische Lage. Sie sind von allen anderen Großmächten weit entfernt. Für China gilt das nicht. China ist zwar eine wirtschaftliche Supermacht, aber das Land ist eingekreist von Japan, Indien und Russland - sämtlich Großmächte, die sich einer geostrategischen Hegemonie Chinas widersetzen. Wenn die Welt wieder bipolar werden sollte, müsste China ganz Asien beherrschen."
Rußland überhaupt noch zu den Großmächten zu rechnen, wie Robert Kagan das tut, ist sowieso nicht mehr lange möglich, wenn man den inneren Zustand dieser Nation betrachtet, wie er in einem hochbrisanten Roman Ausdruck findet. Über diesen Roman berichtete der russische Schriftsteller Viktor Jerofejew in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG und führte zugleich wieder einmal vor, wie aufregend Literatur ist, wenn sie als Versteckspiel daherkommt.
"Das Buch, das gerade in Rußland für Furore sorgt, besteht in einer wütenden und schonungslosen Abrechnung mit der russischen Gesellschaft und Politik dieser Tage. Der Roman, in dem Kinder aus niedrigen Beweggründen von der Polizei auf höheren Befehl ermordet werden und unter phantastischen Umständen wieder zum Leben auferstehen, dieser teils absurde und groteske, teils gefährlich realitätsnahe Roman heißt "Maschinka und Welik" und stammt wie auch noch ein etwas harmloserer zweiter angeblich von einem Autor namens Natan Dubowizki."
Jerofejew erläuterte:
"Die meisten russischen Journalisten und Literaturkritiker sind sich einig, dass dieser Name die Frucht einer literarischen Mystifikation ist, hinter der sich einer der einflussreichsten russischen Beamten verbirgt, der Chefideologe des Putin-Regimes und derzeitige Vizeministerpräsident Russlands, der achtundvierzigjährige Wladislaw Jurjewitsch Surkow – ein durchaus kluger Feind unserer Oppositionellen und Liberalen, mit Kultstatus."
Surkow selbst leugnet übrigens beharrlich. Inzwischen heißt es auch, hinter dem Pseudonym könnten mehrere Urheber stecken. Dazu erklärte Jerofejew:
"Unter anderen wird dabei auch mein Name genannt. Ich sage es hier ehrlich: Ich habe diese Romane nicht geschrieben, bescheinige ihnen aber eine hohe literarische Qualität. Meiner Meinung nach wurden die Romane tatsächlich von Surkow geschrieben, aber das ist nicht das Entscheidende. Entscheidend ist ein Paradoxon: Sie sind von einem freien, ironischen, scharfsichtigen Menschen geschrieben, der Russland "von oben" betrachtet, von den Höhen des Kremls aus."
Bleibt bloß die Frage, warum er das getan hat. Jerofejews Vermutung: weil er Rußland liebt und an der Verkommenheit des Landes leidet.
Rund 500 Jahre nach seiner Entstehung führt die Entstehungsgeschichte eines Ölgemäldes, das Papst Julius II. zeigt, zu einem handfesten Feuilletonkrach, der Anfang des Monats begann, als die Kunsthistorikerin Kia Vahland in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG das Frankfurter Städel heftig dafür kritisierte, dieses Bild, von dem keineswegs sicher sei, daß es von Raffael stamme, mit der Zuschreibung "Raffael und Werkstatt" in die Dauerausstellung der Alten Meister aufgenommen zu haben. Am Dienstag replizierte der Leiter der Gemäldesammlung des Städel-Museums Jochen Sander in der FAZ und wurde am Freitag in der SZ erneut abgewatscht.
Sander verwies auf eine seit langem geplante Sonderausstellung im November 2013 und den in Arbeit befindlichen Katalog hierfür und schrieb:
"Damit wird der ideale Rahmen geboten sein, um die Debatte um den Frankfurter Julius zu führen, die die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG vor einer Woche vorwegnehmen wollte."
Aber Vahland antwortete umgehend:
"Die grundlegenden Fragen müssen jetzt geklärt werden und nicht erst zwei Jahre nach Ankauf und Hängung."
Ein Kunsthaus sei nur dann eine Instanz, wenn es Werke unabhängig von strategischen Interessen zu bewerten vermöge. Das Museum als Institution lebe vom Geschichtsbewusstsein, und das heiße: von dem unbedingten Willen zur historischen Wahrheit.
Und weiter wörtlich:
"Ansonsten leben wir bald im Historienroman und Sandalenfilm: Dann ist Geschichte nur noch das, was gerade in unser Zeitgefühl und zum Etat der Museen passt. Das Kunstwerk wird dann vom Zeugnis zur staunenswerten Reliquie. Es reicht, dass es irgendwie alt ist und ein diffuses Gefühl von Echtheit erzeugt. Macht der Fall des Frankfurter Julius Schule, dann stehen die deutschen Museen am Scheideweg. Sie können ihre Identität bewahren oder sich dem unkundigen Spektakel hingeben."