Von Dämonen und ihren Machern
Fast jeden Tag findet inmitten des aufgeklärten Deutschlands ein Exorzismus, eine Teufelsaustreibung, statt. Zumindest sagt das der Journalist Marcus Wegner. In seinem Werk "Exorzismus heute" berichtet er von scheinbar Teufelsbesessenen und solchen, die es sein wollen.
"Erlöse uns von dem Bösen". Die letzte Bitte des "Vaterunser" beten Millionen Christen Tag für Tag. Auch Juden und Muslime erkennen die Macht des Bösen an. Selbst Atheisten ist das Böse nicht fremd, denken sie an Hitler, Stalin, Pinochet und die Folgen.
Am Teufel jedoch scheiden sich die Geister. Für die einen ist er Hirngespinst und Illusion. Für die anderen ist er Realität in vielerlei Gestalt. Sie sind gar überzeugt: Der Teufel und Dämonen ergreifen Besitz von Menschen.
Vom Umgang mit derlei Besessenen berichtet Marcus Wegner in seinem Buch "Exorzismus heute". Der Begriff "Exorzismus" geht zurück auf das griechische Wort "exorkizein", zu deutsch "beschwören", das heißt: jemanden inständig anrufen und dazu veranlassen, etwas zu tun.
Heute steht "Exorzismus" als terminus technicus für ein Ritual der Katholischen Kirche aus dem Jahr 1614, "Großer Exorzismus" genannt. Es wurde 1999 im Vatikan überarbeitet. Seitdem wird der liturgische Charakter der Feier stärker herausgestellt. Exorzismus ist Wortgottesdienst. Die Sprache ist mitunter nüchterner. Doch bleiben etwa Teufelsbeschimpfungen nach mittelalterlicher Manier: "Verstumme, Vater der Lüge!"
Angewendet werden darf der Große Exorzismus nur mit besonderer und ausdrücklicher Erlaubnis des jeweiligen Ortsbischofs. Dazu bedarf es im Vorfeld medizinischer und psychiatrischer Untersuchungen derer, die sich in besonderer Weise vom Bösen bedrängt fühlen.
Dennoch, so Wegner, wird "rein statistisch gesehen (...) in Deutschland fast jeden Tag an irgendeinem Ort (kirchenrechtswidrig) ein Exorzismus vollzogen." Denn zu langwierig ist der "Rattenschwanz aus Analysen, Kontrollen und Erhebungen" in den Augen vieler Exorzisten. Sie wollen den Leidenden rasch und unkompliziert helfen.
Das ist eine Sensation und Provokation. Denn laut Auskunft des Sekretärs der Deutschen Bischofskonferenz gibt es in Deutschland zwar durchaus offiziell ernannte Exorzisten. Doch kommen diese – angeblich – nicht zum Einsatz.
Marcus Wegner ist Sauerländer. Nach dem Studium in Dresden arbeitet er in seiner Heimat als freier Journalist für Hörfunk, Fernsehen und Printmedien. Gut zwei Jahre lang befragt Wegner sowohl Exorzisten als auch Besessene. Er gewinnt das Vertrauen vieler Betroffener und wohnt so etlichen Exorzismen als neutraler Beobachter bei. Doch "einzig das Erzbistum Paderborn erklärt, sowohl Teufelsaustreibungen genehmigt zu haben als auch von ungenehmigten Austreibungen zu wissen."
Seine Erlebnisse und Einsichten legt Wegner auf gut 300 Buchseiten dar. Im ersten Drittel erinnert Wegner an markante Fälle versuchter Teufelsaustreibungen im 20. Jahrhundert.
Der tragische Tod der angeblich besessenen Studentin Anneliese Michel etwa zeigt: Manche Kreise sind weniger am Wohl der Betroffenen interessiert als an der Bestätigung der eigenen wahnhaften Vorstellungen. Ihnen gilt der Tod der auf 31 Kilogramm Abgemagerten als freiwilliger Sühnetod. Von Epilepsie und Psychose keine Rede.
Der zweite, längere Teil des Buches konfrontiert mit Exorzismen im 21. Jahrhundert. Wegner führt die Leser in eine verborgene, ebenso kuriose wie erschreckende Welt inmitten des aufgeklärten Deutschlands. Meist sind die Besessenen Frauen. Stets treten ihnen männliche Exorzisten entgegnen.
Mitunter ähneln Wegners Schilderungen dem, was man aus Kinofilmen kennt. So erlebt der Journalist "übermenschliche physische Kraft, hellseherische Fähigkeit und das Sprechen in Sprachen, die man nie gelernt hat". Hier Grollen und Augenrollen, dort Kreuzzeichen und Weihwasser.
Als hätte man einen Schalter im Kopf der Besessenen umgeklappt: Sie brüllen und schreien gegen die Gebete an mit tiefen, unbekannten Stimmen. Köpfe hämmern auf den Tisch, Augenränder verdunkeln sich. Nicht selten wird auch der Exorzist lauter.
Manchmal blickt Wegner über den katholischen Tellerrand hinaus. Dann findet er Nahrung für sein Buch sowohl in evangelischen Freikirchen und Pfingstgemeinden als auch in Esoterikkreisen. Dort betreibt man die Austreibung von "destruktiven Energiewesen" auf Honorarbasis.
Bisweilen berichtet Wegner Überraschendes: Eine scheinbar Besessene reagiert mit Fauchen und Fluchen auf die Rezitation lateinischer Vergil-Verse. Doch Pfarrer S. kennt den wahren Teufel genau – und schickt die Simulantin nach dem Erstkontakt zum Arzt. "Sie sind nicht vom Teufel besessen. Leben sie wohl." Ein Wahn wird entlarvt, ein Weltbild zerstört.
Dazu ein zweites Beispiel: Die 20-jährige Aysche Ö. spürt, hört und riecht nachts einen bösen Dämon, im Koran Dschinn genannt. Ein Hodscha verspricht Hilfe. Es wird jedoch immer schlimmer, da sie "die Vorschriften des Islam nicht vollständig befolge". Schließlich landet Frau Ö. in einer Klinik. Mit Hilfe einer Psychotherapie erkennt sie mühsam: Der Dschinn war nur in ihrem Kopf, eine Art Selbsthypnose.
Manche Phänomene kann Wegner nicht erklären. So ist der Rechtsanwalt Günther Z. ärztlichen Attesten nach kerngesund. Dennoch fällt er jeden Freitagabend in eine Art Wachkoma. Dann wandelt sich sein Charakter vollständig. Wegner besucht ihn gemeinsam mit drei Priestern. Bei diesem Besuch passiert etwas sehr Seltsames: "Z." nennt anfangs Details aus dem Leben des Journalisten, "jeden noch so kleinen menschlichen Fehltritt". Woher er diese Details hat, ist und bleibt rätselhaft.
Später offenbart sich "Z." als Samael. Das "ist in der Dämonologie das Haupt aller Dämonen". Mit dessen verbalen Äußerungen gehen im Zimmer Kälte und Gestank einher. Allem Anschein nach schwitzt der Rechtsanwalt Blut. Ohnmächtig sackt er in sich zusammen am Ende des Großen Exorzismus.
Marcus Wegner schreibt verständlich und weitgehend sachlich. Die Lektüre ist jedoch kein Vergnügen. Denn es geht vorwiegend um dunkle Gottesbilder und krude Sühnetheologie.
Wegner beschreibt: Es gibt in Deutschland eine regelrechte Exorzisten-Szene. Zahlreichen unerlaubten Exorzismen stehen große Reserven und Vorsicht der deutschen Bischöfe gegenüber. Auf beiden Seiten mangelt es an Transparenz. Da kommt Wegners Buch gerade recht.
Rezensiert von Thomas Kroll
Marcus Wegner: Exorzismus heute. Der Teufel spricht deutsch
Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2009
318 Seiten, 19,95 Euro
Am Teufel jedoch scheiden sich die Geister. Für die einen ist er Hirngespinst und Illusion. Für die anderen ist er Realität in vielerlei Gestalt. Sie sind gar überzeugt: Der Teufel und Dämonen ergreifen Besitz von Menschen.
Vom Umgang mit derlei Besessenen berichtet Marcus Wegner in seinem Buch "Exorzismus heute". Der Begriff "Exorzismus" geht zurück auf das griechische Wort "exorkizein", zu deutsch "beschwören", das heißt: jemanden inständig anrufen und dazu veranlassen, etwas zu tun.
Heute steht "Exorzismus" als terminus technicus für ein Ritual der Katholischen Kirche aus dem Jahr 1614, "Großer Exorzismus" genannt. Es wurde 1999 im Vatikan überarbeitet. Seitdem wird der liturgische Charakter der Feier stärker herausgestellt. Exorzismus ist Wortgottesdienst. Die Sprache ist mitunter nüchterner. Doch bleiben etwa Teufelsbeschimpfungen nach mittelalterlicher Manier: "Verstumme, Vater der Lüge!"
Angewendet werden darf der Große Exorzismus nur mit besonderer und ausdrücklicher Erlaubnis des jeweiligen Ortsbischofs. Dazu bedarf es im Vorfeld medizinischer und psychiatrischer Untersuchungen derer, die sich in besonderer Weise vom Bösen bedrängt fühlen.
Dennoch, so Wegner, wird "rein statistisch gesehen (...) in Deutschland fast jeden Tag an irgendeinem Ort (kirchenrechtswidrig) ein Exorzismus vollzogen." Denn zu langwierig ist der "Rattenschwanz aus Analysen, Kontrollen und Erhebungen" in den Augen vieler Exorzisten. Sie wollen den Leidenden rasch und unkompliziert helfen.
Das ist eine Sensation und Provokation. Denn laut Auskunft des Sekretärs der Deutschen Bischofskonferenz gibt es in Deutschland zwar durchaus offiziell ernannte Exorzisten. Doch kommen diese – angeblich – nicht zum Einsatz.
Marcus Wegner ist Sauerländer. Nach dem Studium in Dresden arbeitet er in seiner Heimat als freier Journalist für Hörfunk, Fernsehen und Printmedien. Gut zwei Jahre lang befragt Wegner sowohl Exorzisten als auch Besessene. Er gewinnt das Vertrauen vieler Betroffener und wohnt so etlichen Exorzismen als neutraler Beobachter bei. Doch "einzig das Erzbistum Paderborn erklärt, sowohl Teufelsaustreibungen genehmigt zu haben als auch von ungenehmigten Austreibungen zu wissen."
Seine Erlebnisse und Einsichten legt Wegner auf gut 300 Buchseiten dar. Im ersten Drittel erinnert Wegner an markante Fälle versuchter Teufelsaustreibungen im 20. Jahrhundert.
Der tragische Tod der angeblich besessenen Studentin Anneliese Michel etwa zeigt: Manche Kreise sind weniger am Wohl der Betroffenen interessiert als an der Bestätigung der eigenen wahnhaften Vorstellungen. Ihnen gilt der Tod der auf 31 Kilogramm Abgemagerten als freiwilliger Sühnetod. Von Epilepsie und Psychose keine Rede.
Der zweite, längere Teil des Buches konfrontiert mit Exorzismen im 21. Jahrhundert. Wegner führt die Leser in eine verborgene, ebenso kuriose wie erschreckende Welt inmitten des aufgeklärten Deutschlands. Meist sind die Besessenen Frauen. Stets treten ihnen männliche Exorzisten entgegnen.
Mitunter ähneln Wegners Schilderungen dem, was man aus Kinofilmen kennt. So erlebt der Journalist "übermenschliche physische Kraft, hellseherische Fähigkeit und das Sprechen in Sprachen, die man nie gelernt hat". Hier Grollen und Augenrollen, dort Kreuzzeichen und Weihwasser.
Als hätte man einen Schalter im Kopf der Besessenen umgeklappt: Sie brüllen und schreien gegen die Gebete an mit tiefen, unbekannten Stimmen. Köpfe hämmern auf den Tisch, Augenränder verdunkeln sich. Nicht selten wird auch der Exorzist lauter.
Manchmal blickt Wegner über den katholischen Tellerrand hinaus. Dann findet er Nahrung für sein Buch sowohl in evangelischen Freikirchen und Pfingstgemeinden als auch in Esoterikkreisen. Dort betreibt man die Austreibung von "destruktiven Energiewesen" auf Honorarbasis.
Bisweilen berichtet Wegner Überraschendes: Eine scheinbar Besessene reagiert mit Fauchen und Fluchen auf die Rezitation lateinischer Vergil-Verse. Doch Pfarrer S. kennt den wahren Teufel genau – und schickt die Simulantin nach dem Erstkontakt zum Arzt. "Sie sind nicht vom Teufel besessen. Leben sie wohl." Ein Wahn wird entlarvt, ein Weltbild zerstört.
Dazu ein zweites Beispiel: Die 20-jährige Aysche Ö. spürt, hört und riecht nachts einen bösen Dämon, im Koran Dschinn genannt. Ein Hodscha verspricht Hilfe. Es wird jedoch immer schlimmer, da sie "die Vorschriften des Islam nicht vollständig befolge". Schließlich landet Frau Ö. in einer Klinik. Mit Hilfe einer Psychotherapie erkennt sie mühsam: Der Dschinn war nur in ihrem Kopf, eine Art Selbsthypnose.
Manche Phänomene kann Wegner nicht erklären. So ist der Rechtsanwalt Günther Z. ärztlichen Attesten nach kerngesund. Dennoch fällt er jeden Freitagabend in eine Art Wachkoma. Dann wandelt sich sein Charakter vollständig. Wegner besucht ihn gemeinsam mit drei Priestern. Bei diesem Besuch passiert etwas sehr Seltsames: "Z." nennt anfangs Details aus dem Leben des Journalisten, "jeden noch so kleinen menschlichen Fehltritt". Woher er diese Details hat, ist und bleibt rätselhaft.
Später offenbart sich "Z." als Samael. Das "ist in der Dämonologie das Haupt aller Dämonen". Mit dessen verbalen Äußerungen gehen im Zimmer Kälte und Gestank einher. Allem Anschein nach schwitzt der Rechtsanwalt Blut. Ohnmächtig sackt er in sich zusammen am Ende des Großen Exorzismus.
Marcus Wegner schreibt verständlich und weitgehend sachlich. Die Lektüre ist jedoch kein Vergnügen. Denn es geht vorwiegend um dunkle Gottesbilder und krude Sühnetheologie.
Wegner beschreibt: Es gibt in Deutschland eine regelrechte Exorzisten-Szene. Zahlreichen unerlaubten Exorzismen stehen große Reserven und Vorsicht der deutschen Bischöfe gegenüber. Auf beiden Seiten mangelt es an Transparenz. Da kommt Wegners Buch gerade recht.
Rezensiert von Thomas Kroll
Marcus Wegner: Exorzismus heute. Der Teufel spricht deutsch
Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2009
318 Seiten, 19,95 Euro