Von den christlichen Wurzeln der Menschenrechte
Was verdanken die Menschenrechte dem christlichen Weltbild? Und gelten sie auch in den Kirchen? Freiheit, Gleichheit und Solidarität seien in der christlichen Botschaft tief verankert, sagt die Theologin Ingeborg Gabriel.
Anne-Françoise Weber: Am heutigen 10. Dezember werden die Menschenrechte gefeiert, genauer gesagt: Ihre Erklärung durch die Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948. Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren, heißt es da. Wie viel hat das mit dem christlichen Menschenbild zu tun? Und gelten eigentlich auch alle Menschenrechte in den Kirchen?
In der Evangelischen Akademie Bad Boll findet an diesem Wochenende eine Tagung zum christlichen Verständnis der Menschenrechte statt. Eine der Mitwirkenden ist Ingeborg Gabriel. Die Theologieprofessorin ist Leiterin des Instituts für katholische Sozialethik an der Universität Wien und Direktorin der österreichischen Kommission Justitia et Pax. Ich habe vor der Sendung mit ihr gesprochen und sie zunächst gefragt, wie sehr die Menschenrechte vom Christentum oder vom jüdisch-christlichen Erbe inspiriert sind, oder wie stark sie auf die besonders in Frankreich ja durchaus kirchenkritische Aufklärung zurückgehen.
Ingeborg Gabriel: Also ich würde schon sagen, dass die Menschenrechte christliche Wurzeln haben, und zwar sowohl was Freiheit, Gleichheit und Solidarität angeht, die einfach in der christlichen Botschaft tief verankert sind. Dass das dann gegen den Widerstand der Großkirchen durchgesetzt wurde, ist eine andere Geschichte, und da spielt die französische Revolution natürlich eine große Rolle, wobei man sehen musste, dass die Aufklärung im französischen und damit auch im kontinentaleuropäischen Raum anders gelaufen ist als zum Beispiel im anglosächsischen Raum, wo diese Abgrenzung von den Kirchen und damit auch vom Christentum niemals in dieser Schärfe vorhanden war.
Weber: Wie ist das denn heute? Haben die Kirchen, die großen, also sagen wir mal evangelisch, katholisch und orthodox, wirklich ein unterschiedliches Verständnis von Menschenrechten, oder ist es, weil es eine universale Erklärung gibt, auch ein universales Verständnis in allen Kirchen?
Gabriel: Ich meine, die Entwicklung ist ja so gelaufen, dass nach dem Zweiten Weltkrieg die allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet wurde auch unter den Eindruck der schrecklichen Gräuel zweier Kriege und Totalitarismen. Und auch in den Kirchen hat da ein Umdenkprozess eingesetzt, und zwar ich spreche jetzt von der katholischen und der protestantischen Kirche oder den protestantischen Kirchen. Ich meine, von da an war es dann nur noch ein Schritt in der katholischen Kirche zum Zweiten Vatikanischen Konzil beziehungsweise schon vorher, bei Johannes XXIII, wurde die allgemeine Erklärung der Menschenrechte anerkannt, und damit die Menschenrechte als ganze.
In den orthodoxen Kirchen ist die Entwicklung eine etwas andere, das hat mit der Geschichte zu tun, das hat damit zu tun, dass sie bis vor 20 Jahren, jedenfalls die meisten von ihnen, unter kommunistischer Herrschaft waren, auch sicherlich mit einer langen Geschichte der islamischen Dominanz bei vielen orthodoxen Kirchen. Also da sind auch historische Gründe dafür maßgebend, dass es in der Orthodoxie unterschiedliche Meinungen zum Thema Menschenrechte gibt.
Weber: Und wie sehen diese Unterschiede aus, was muss man sich da vorstellen?
Gabriel: Diese Unterschiede sehen so aus, dass ein Teil der Theologen und auch der Kirchenleitungen die Menschenrechte als eine Entwicklung der Moderne gutheißt und auch unterstützt, dass ein anderer Teil hingegen Bedenken anmeldet, und dazu gehört vor allem die russisch-orthodoxe Kirche.
Weber: Was für Bedenken kann man denn gegen Menschenrechte haben? Ist dann die Grundidee Rechte kann nur Gott geben, und die kann nicht sich der Mensch selbst geben, oder was kann daran überhaupt problematisch sein?
Gabriel: Das ist eine, ja. Das ist einer der Punkte, die hier zur Debatte stehen, also eine Entgegensetzung von Anthropozentrik und Theozentrik, die allerdings theologisch ...
Weber: Also das eine mal – nur um die Fremdwörter zu erklären –, das eine Mal steht der Mensch im Mittelpunkt, das andere Mal ...
Gabriel: ... das eine Mal steht der Mensch im Mittelpunkt, das andere Mal steht Gott im Mittelpunkt, was natürlich theologisch so nicht wirklich überzeugend ist. Im Wesentlichen hat es aber mit einer differenzierten Auseinandersetzung beziehungsweise auch Ablehnung der westlichen Moderne zu tun. Die Menschenrechte stehen hier als Pars pro toto für ein ganzes Gedankensystem und Gesellschaftssystem, das als suspekt erscheint.
Weber: Nun ist es aber auch in den westlichen Kirchen nicht so, dass jedes Menschenrecht so ganz in der Kirche angewendet wird, also als neuesten Fall haben wir jetzt eine württembergische Vikarin, die einen Muslim geheiratet hat und darauf hin ihre Kündigung empfangen hat, weil sie eben nicht als Pfarrerin mit einem Nichtchristen verheiratet sein darf. Das passt ja dann nun auch nicht mit Menschenrechten zusammen, oder?
Gabriel: Die Frage der Menschenrechte in den Kirchen beziehungsweise der Christenrechte in den Kirchen wäre noch eine eigene. Ich meine, man kann natürlich das staatliche Menschenrechtsverständnis, das auf die Beziehung von Bürger und Staat bezogen ist, nicht eins zu eins umlegen auf die Kirchen. Man müsste aber etwas Adäquates finden, was diesem Menschenrechtsverständnis nicht hinterherhinkt. Es ginge also um Katholikenrechte in der katholischen Kirche und um Protestantenrechte in der protestantischen Kirche. Ganz einfach gesagt zum Beispiel das Recht auf Religionsfreiheit, das ganz konstitutiv ist für den Staat als säkularen Staat, kann ich in dieser Form nicht in den Kirchen institutionalisieren. Da müsste ich jetzt ein differenziertes Recht, wie weit Pluralismus, wie weit Meinungsfreiheit zum Beispiel innerhalb der einen Konfession oder Religion gehen kann, haben. Und da hinken wir hinterher, da würde ich Ihnen völlig recht geben.
Weber: Eine andere Frage ist ja die Gleichstellung von Männern und Frauen, die ja ganz explizit auch in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte genannt ist, und die in den Kirchen – als erstes Beispiel fällt einem eher die katholische ein, aber auch in der protestantischen Kirche ist da vielleicht nicht alles genau gleichgestellt – nicht so verwirklicht ist.
Gabriel: Ja, da haben wir ein Problem, würde ich sagen, und zwar eines, das auch von hoher Gesellschaftsrelevanz ist.
Weber: Und was sehen Sie da als Tendenz, wird sich das irgendwann anpassen an eben so ein allgemeineres Verständnis oder werden die Kirchen da weiterhin eben als ihren eigenen Raum gewisse Rechte so nicht umsetzen?
Gabriel: Sagen wir so, ich hoffe es, dass es sich anpasst.
Weber: Wenn Sie nun bei einer Begegnung sind mit protestantischen, katholischen und orthodoxen Theologen, ist dieses Menschenrechtsthema ein immer präsentes oder ist das was, worüber man nicht so gerne redet, weil es eben doch sehr unterschiedlich ist? Gibt es da schon eine lange Dialogtradition? Wie ist das?
Gabriel: Ich meine, natürlich gibt es zwischen den Kirchen oder in den Begegnungen zwischen den Kirchen verschiedenste Themen, die sowohl den Glauben als auch gesellschaftliche Fragen und moralische Fragen betreffen. Das ganze Thema Politik, Menschenrechte ist also ein Ausschnitt im ökumenischen Dialog, der sich aber in den letzten Jahren eigentlich stark etabliert hat. Es gab eine Reihe von Konferenzen, gerade mit der russisch-orthodoxen Kirche, zum Beispiel auch schon vor ca. zehn Jahren von Pro Oriente hier in Wien, und dann auch Begegnungen in Moskau, in St. Petersburg, also da gab es verschiedenste Begegnungen. Es gab auch immer wieder Konferenzen an unserem Institut, wo das Thema war, sowohl Menschenrechte nicht nur als Freiheitsrechte – und da ist sehr wohl noch mal zu unterscheiden – sondern auch als soziale Rechte, und mit den sozialen Rechten haben sich die Kirchen ja immer viel leichter getan als mit den Freiheitsrechten. Also das war von Anfang an so, und da die sozialen Rechte eigentlich gleichgewichtig sind, muss man das wenigstens erwähnen.
Weber: Sie sagen, die russisch-orthodoxe Kirche hat da möglicherweise ein anderes Verständnis, verläuft dann im Grunde der Graben weiterhin an der Ost-West-Grenze, die es so zum Glück heute nicht mehr gibt, oder doch zwischen katholisch-evangelisch auf der einen Seite und orthodox auf der anderen Seite, was ja dann auch die griechisch-orthodoxe und andere Kirchen umfasst?
Gabriel: Ich meine, jede Theorie der Menschenrechte – wenn ich in den philosophischen und theologischen Bereich vorstoße über den rein rechtlichen hinaus – hat ihre Wurzeln in ganz spezifischen Traditionen. Da unterscheidet sich auch dann die Argumentation in den protestantischen Kirchen etwas von der in der katholischen Kirche. Der Unterschied besteht dann vor allem darin, ob man den säkularen Staat, der auf Grundrechtsgarantien aufruht, als die beste Verwirklichungsform im Politischen annehmen kann. Und das ist im protestantischen und katholischen Bereich über weiteste Strecken geklärt. Es mag da auch Splittergruppen geben im evangelikalen Bereich und vielleicht auch ganz rechte Gruppen in der katholischen Kirche, die teils auch nicht wirklich mehr zur katholischen Kirche gehören, wie die Pius-Brüder zum Beispiel.
Aber in den orthodoxen Kirchen ist die Debatte erst vor kürzerer Zeit angestoßen, und da braucht es sicherlich noch einiges auch an Diskussionen, wobei zum Beispiel in den 70er-Jahren eine panorthodoxe Synode die Menschenrechte ganz unproblematisch als Grundlage des Verständnisses nennt. Gleiches gilt für die Charta Ökumenika, die vor zehn Jahren verabschiedet wurde. Das, was sich da jetzt abspielt, sind wohl auch eher Aufholprozesse beziehungsweise Prozesse, in denen man versucht, das noch einmal stärker in das eigene theologische Erbe zu integrieren.
Weber: Sie haben auch einige Jahre für die Vereinten Nationen gearbeitet. Was ist denn Ihr Eindruck, wenn man von dort aus blickt. Sind die Kirchen da wahrgenommen als wichtige Akteure für Menschenrechte, oder ist das eigentlich keine wirklich wichtige Lobbygruppe?
Gabriel: Der Heilige Stuhl hat eine Beobachterrolle in den Vereinten Nationen und damit eine Sonderposition. Und es gibt viele christliche NGOs, die sich da auch wirklich engagieren. Aufs Ganze gesehen, habe ich es immer für sehr bedauerlich gehalten, dass die säkulare Menschenrechtsschiene, wenn man das so sagen kann, und die christliche oder theologische oder religiöse parallel laufen. Also da wäre sicherlich noch viel mehr möglich, und zwar auch deshalb, weil ja die Kirchen – und zwar alle Kirchen – starke Basisbewegungen auch haben in den verschiedensten Ländern, die sich zum Teil auch sehr mutig für Menschenrechte einsetzen. Ich kann jetzt nur sagen, zum Beispiel Weißrussland – wir haben mit einigen weißrussischen Theologen und Juristen Kontakte, und ich war jetzt gerade letzte Woche tief beeindruckt, wie die erzählt haben, wie sich hier orthodoxe Gruppen für eine Verbesserung der Menschenrechtslage in Weißrussland einsetzen.
Weber: Also Kirchen und Menschenrechte, nicht nur ein theoretisches Thema. Vielen Dank, Ingeborg Gabriel, Theologin und Leiterin des Instituts für katholische Sozialethik an der Universität Wien!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
In der Evangelischen Akademie Bad Boll findet an diesem Wochenende eine Tagung zum christlichen Verständnis der Menschenrechte statt. Eine der Mitwirkenden ist Ingeborg Gabriel. Die Theologieprofessorin ist Leiterin des Instituts für katholische Sozialethik an der Universität Wien und Direktorin der österreichischen Kommission Justitia et Pax. Ich habe vor der Sendung mit ihr gesprochen und sie zunächst gefragt, wie sehr die Menschenrechte vom Christentum oder vom jüdisch-christlichen Erbe inspiriert sind, oder wie stark sie auf die besonders in Frankreich ja durchaus kirchenkritische Aufklärung zurückgehen.
Ingeborg Gabriel: Also ich würde schon sagen, dass die Menschenrechte christliche Wurzeln haben, und zwar sowohl was Freiheit, Gleichheit und Solidarität angeht, die einfach in der christlichen Botschaft tief verankert sind. Dass das dann gegen den Widerstand der Großkirchen durchgesetzt wurde, ist eine andere Geschichte, und da spielt die französische Revolution natürlich eine große Rolle, wobei man sehen musste, dass die Aufklärung im französischen und damit auch im kontinentaleuropäischen Raum anders gelaufen ist als zum Beispiel im anglosächsischen Raum, wo diese Abgrenzung von den Kirchen und damit auch vom Christentum niemals in dieser Schärfe vorhanden war.
Weber: Wie ist das denn heute? Haben die Kirchen, die großen, also sagen wir mal evangelisch, katholisch und orthodox, wirklich ein unterschiedliches Verständnis von Menschenrechten, oder ist es, weil es eine universale Erklärung gibt, auch ein universales Verständnis in allen Kirchen?
Gabriel: Ich meine, die Entwicklung ist ja so gelaufen, dass nach dem Zweiten Weltkrieg die allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet wurde auch unter den Eindruck der schrecklichen Gräuel zweier Kriege und Totalitarismen. Und auch in den Kirchen hat da ein Umdenkprozess eingesetzt, und zwar ich spreche jetzt von der katholischen und der protestantischen Kirche oder den protestantischen Kirchen. Ich meine, von da an war es dann nur noch ein Schritt in der katholischen Kirche zum Zweiten Vatikanischen Konzil beziehungsweise schon vorher, bei Johannes XXIII, wurde die allgemeine Erklärung der Menschenrechte anerkannt, und damit die Menschenrechte als ganze.
In den orthodoxen Kirchen ist die Entwicklung eine etwas andere, das hat mit der Geschichte zu tun, das hat damit zu tun, dass sie bis vor 20 Jahren, jedenfalls die meisten von ihnen, unter kommunistischer Herrschaft waren, auch sicherlich mit einer langen Geschichte der islamischen Dominanz bei vielen orthodoxen Kirchen. Also da sind auch historische Gründe dafür maßgebend, dass es in der Orthodoxie unterschiedliche Meinungen zum Thema Menschenrechte gibt.
Weber: Und wie sehen diese Unterschiede aus, was muss man sich da vorstellen?
Gabriel: Diese Unterschiede sehen so aus, dass ein Teil der Theologen und auch der Kirchenleitungen die Menschenrechte als eine Entwicklung der Moderne gutheißt und auch unterstützt, dass ein anderer Teil hingegen Bedenken anmeldet, und dazu gehört vor allem die russisch-orthodoxe Kirche.
Weber: Was für Bedenken kann man denn gegen Menschenrechte haben? Ist dann die Grundidee Rechte kann nur Gott geben, und die kann nicht sich der Mensch selbst geben, oder was kann daran überhaupt problematisch sein?
Gabriel: Das ist eine, ja. Das ist einer der Punkte, die hier zur Debatte stehen, also eine Entgegensetzung von Anthropozentrik und Theozentrik, die allerdings theologisch ...
Weber: Also das eine mal – nur um die Fremdwörter zu erklären –, das eine Mal steht der Mensch im Mittelpunkt, das andere Mal ...
Gabriel: ... das eine Mal steht der Mensch im Mittelpunkt, das andere Mal steht Gott im Mittelpunkt, was natürlich theologisch so nicht wirklich überzeugend ist. Im Wesentlichen hat es aber mit einer differenzierten Auseinandersetzung beziehungsweise auch Ablehnung der westlichen Moderne zu tun. Die Menschenrechte stehen hier als Pars pro toto für ein ganzes Gedankensystem und Gesellschaftssystem, das als suspekt erscheint.
Weber: Nun ist es aber auch in den westlichen Kirchen nicht so, dass jedes Menschenrecht so ganz in der Kirche angewendet wird, also als neuesten Fall haben wir jetzt eine württembergische Vikarin, die einen Muslim geheiratet hat und darauf hin ihre Kündigung empfangen hat, weil sie eben nicht als Pfarrerin mit einem Nichtchristen verheiratet sein darf. Das passt ja dann nun auch nicht mit Menschenrechten zusammen, oder?
Gabriel: Die Frage der Menschenrechte in den Kirchen beziehungsweise der Christenrechte in den Kirchen wäre noch eine eigene. Ich meine, man kann natürlich das staatliche Menschenrechtsverständnis, das auf die Beziehung von Bürger und Staat bezogen ist, nicht eins zu eins umlegen auf die Kirchen. Man müsste aber etwas Adäquates finden, was diesem Menschenrechtsverständnis nicht hinterherhinkt. Es ginge also um Katholikenrechte in der katholischen Kirche und um Protestantenrechte in der protestantischen Kirche. Ganz einfach gesagt zum Beispiel das Recht auf Religionsfreiheit, das ganz konstitutiv ist für den Staat als säkularen Staat, kann ich in dieser Form nicht in den Kirchen institutionalisieren. Da müsste ich jetzt ein differenziertes Recht, wie weit Pluralismus, wie weit Meinungsfreiheit zum Beispiel innerhalb der einen Konfession oder Religion gehen kann, haben. Und da hinken wir hinterher, da würde ich Ihnen völlig recht geben.
Weber: Eine andere Frage ist ja die Gleichstellung von Männern und Frauen, die ja ganz explizit auch in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte genannt ist, und die in den Kirchen – als erstes Beispiel fällt einem eher die katholische ein, aber auch in der protestantischen Kirche ist da vielleicht nicht alles genau gleichgestellt – nicht so verwirklicht ist.
Gabriel: Ja, da haben wir ein Problem, würde ich sagen, und zwar eines, das auch von hoher Gesellschaftsrelevanz ist.
Weber: Und was sehen Sie da als Tendenz, wird sich das irgendwann anpassen an eben so ein allgemeineres Verständnis oder werden die Kirchen da weiterhin eben als ihren eigenen Raum gewisse Rechte so nicht umsetzen?
Gabriel: Sagen wir so, ich hoffe es, dass es sich anpasst.
Weber: Wenn Sie nun bei einer Begegnung sind mit protestantischen, katholischen und orthodoxen Theologen, ist dieses Menschenrechtsthema ein immer präsentes oder ist das was, worüber man nicht so gerne redet, weil es eben doch sehr unterschiedlich ist? Gibt es da schon eine lange Dialogtradition? Wie ist das?
Gabriel: Ich meine, natürlich gibt es zwischen den Kirchen oder in den Begegnungen zwischen den Kirchen verschiedenste Themen, die sowohl den Glauben als auch gesellschaftliche Fragen und moralische Fragen betreffen. Das ganze Thema Politik, Menschenrechte ist also ein Ausschnitt im ökumenischen Dialog, der sich aber in den letzten Jahren eigentlich stark etabliert hat. Es gab eine Reihe von Konferenzen, gerade mit der russisch-orthodoxen Kirche, zum Beispiel auch schon vor ca. zehn Jahren von Pro Oriente hier in Wien, und dann auch Begegnungen in Moskau, in St. Petersburg, also da gab es verschiedenste Begegnungen. Es gab auch immer wieder Konferenzen an unserem Institut, wo das Thema war, sowohl Menschenrechte nicht nur als Freiheitsrechte – und da ist sehr wohl noch mal zu unterscheiden – sondern auch als soziale Rechte, und mit den sozialen Rechten haben sich die Kirchen ja immer viel leichter getan als mit den Freiheitsrechten. Also das war von Anfang an so, und da die sozialen Rechte eigentlich gleichgewichtig sind, muss man das wenigstens erwähnen.
Weber: Sie sagen, die russisch-orthodoxe Kirche hat da möglicherweise ein anderes Verständnis, verläuft dann im Grunde der Graben weiterhin an der Ost-West-Grenze, die es so zum Glück heute nicht mehr gibt, oder doch zwischen katholisch-evangelisch auf der einen Seite und orthodox auf der anderen Seite, was ja dann auch die griechisch-orthodoxe und andere Kirchen umfasst?
Gabriel: Ich meine, jede Theorie der Menschenrechte – wenn ich in den philosophischen und theologischen Bereich vorstoße über den rein rechtlichen hinaus – hat ihre Wurzeln in ganz spezifischen Traditionen. Da unterscheidet sich auch dann die Argumentation in den protestantischen Kirchen etwas von der in der katholischen Kirche. Der Unterschied besteht dann vor allem darin, ob man den säkularen Staat, der auf Grundrechtsgarantien aufruht, als die beste Verwirklichungsform im Politischen annehmen kann. Und das ist im protestantischen und katholischen Bereich über weiteste Strecken geklärt. Es mag da auch Splittergruppen geben im evangelikalen Bereich und vielleicht auch ganz rechte Gruppen in der katholischen Kirche, die teils auch nicht wirklich mehr zur katholischen Kirche gehören, wie die Pius-Brüder zum Beispiel.
Aber in den orthodoxen Kirchen ist die Debatte erst vor kürzerer Zeit angestoßen, und da braucht es sicherlich noch einiges auch an Diskussionen, wobei zum Beispiel in den 70er-Jahren eine panorthodoxe Synode die Menschenrechte ganz unproblematisch als Grundlage des Verständnisses nennt. Gleiches gilt für die Charta Ökumenika, die vor zehn Jahren verabschiedet wurde. Das, was sich da jetzt abspielt, sind wohl auch eher Aufholprozesse beziehungsweise Prozesse, in denen man versucht, das noch einmal stärker in das eigene theologische Erbe zu integrieren.
Weber: Sie haben auch einige Jahre für die Vereinten Nationen gearbeitet. Was ist denn Ihr Eindruck, wenn man von dort aus blickt. Sind die Kirchen da wahrgenommen als wichtige Akteure für Menschenrechte, oder ist das eigentlich keine wirklich wichtige Lobbygruppe?
Gabriel: Der Heilige Stuhl hat eine Beobachterrolle in den Vereinten Nationen und damit eine Sonderposition. Und es gibt viele christliche NGOs, die sich da auch wirklich engagieren. Aufs Ganze gesehen, habe ich es immer für sehr bedauerlich gehalten, dass die säkulare Menschenrechtsschiene, wenn man das so sagen kann, und die christliche oder theologische oder religiöse parallel laufen. Also da wäre sicherlich noch viel mehr möglich, und zwar auch deshalb, weil ja die Kirchen – und zwar alle Kirchen – starke Basisbewegungen auch haben in den verschiedensten Ländern, die sich zum Teil auch sehr mutig für Menschenrechte einsetzen. Ich kann jetzt nur sagen, zum Beispiel Weißrussland – wir haben mit einigen weißrussischen Theologen und Juristen Kontakte, und ich war jetzt gerade letzte Woche tief beeindruckt, wie die erzählt haben, wie sich hier orthodoxe Gruppen für eine Verbesserung der Menschenrechtslage in Weißrussland einsetzen.
Weber: Also Kirchen und Menschenrechte, nicht nur ein theoretisches Thema. Vielen Dank, Ingeborg Gabriel, Theologin und Leiterin des Instituts für katholische Sozialethik an der Universität Wien!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.