Von den Melkern abgeschaut
Der britische Landarzt Edward Jenner machte im 18. Jahrhundert eine Entdeckung, die sich für die damalige Zeit als ungeahnt segensreich erwies. Ihm gelang es, mit Kuhpocken einen Impfstoff zu entwickeln, der die Menschen vor der tödlichen Pockenerkrankung schützt. Vor 210 Jahren unternahm Jenner das entscheidende Experiment.
London, 14. Mai 1796: Die britische Metropole versinkt im Dreck und Gestank. Latrinen werden auf Straßen ohne Kanalisation geleert, Schweine und Hühner wühlen im Unrat, Wasser holen sich die Bewohner aus trüben Kanälen. Unvorstellbar sind die hygienischen Bedingungen, katastrophal die Folgen. Jährlich sterben 25.000 Menschen an Blattern, von den Pocken ganz zu schweigen
"Die Pocken waren eine der damals gefürchtetsten Infektionskrankheiten, Pockenzüge waren an der Tagesordnung, und zahllose Menschen fielen dem zum Opfer, vor allem Kinder, ältere Menschen, Menschen, die an sich schon nicht besonders gesund waren. Und die, die es überlebten, hatten häufig schwerste Schäden","
erzählt Ferdinand Moog, Arzt und Altphilologe am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Universität Köln. Wer überlebte, war taub oder blind, hatte angegriffene Organe, auf jeden Fall war sein Gesicht von den Pockennarben furchtbar entstellt.
In dieser Zeit lebte und arbeitete ein bescheidener Landarzt in Gloucestershire, einer kleinen Grafschaft in Süd-West-England. Edward Jenner hieß der damals 46-Jährige, er hatte eine Lehre als Chirurg gemacht und war auf der Suche nach einem vorbeugenden Mittel gegen die Pocken. Viele versuchten sich damals mit der Variolation zu schützen. Sie infizierten sich mit dem Eiter aus menschlichen Pockenpusteln und hofften nach überstandener Krankheit immun zu sein, eine Rosskur, die allerdings nicht viele überstanden.
""Jenner hat dann, weil er ja auf dem Lande tätig war, viel mit Melkern und Melkerinnen zu tun gehabt und hörte dann unisono die Meinung, wer einmal Kuhpocken hatte, der ist dagegen geschützt. Und das hat ihn fasziniert, er hat die Leute befragt, er hat ärztliche Kollegen befragt, ob sie so etwas schon beobachtet hätten, allerdings ist er den Leuten so auf die Nerven gegangen, dass er zum Beispiel aus einem Club ausgeschlossen worden wäre, sollte er noch einmal irgendwelche Fragen über Kuhpocken stellen."
Wer die Kuhpocken überstanden hat, ist gegen die menschliche Variante immun. Also müsse man doch nur, folgerte Jenner, die nicht ganz so gefährlichen Kuhpocken auf den Menschen übertragen. Ein medizinischer Versuch von historischer Tragweite begann. Edward Jenner entnahm der an Kuhpocken erkrankten Melkerin Sara Nemls Eiter. Dann suchte er sich ein
gesundes Kind, James Fips, und hat ihm am 14. Mai 1796
"zweimal mit Eiter aus den Eiterpusteln dieser Sara Nelms gestochen, also infiziert, stellte fest, dass es ihm so nach acht Tagen nicht ganz so gut ging, er hatte Kopfschmerzen und Fieber, er bekam dann auch kleine Bläschen an den entsprechenden Stellen, er hatte eindeutig Kuhpocken. Und dann hat er einige Zeit später versucht, am 1. Juli desselben Jahres, diesen James Fips mit Variola zu infizieren, er hat also die Variolation vorgenommen und stellte fest, keine Reaktion."
Der Junge war gegen die Pocken immun, die erste Impfung mit abgeschwächten Viren geglückt. Was genau geschehen ist, wusste Jenner aber nicht. Mikroorganismen waren unbekannt, er sprach von Matter, von der Masse oder vom Charakter einer Krankheit, die übertragen wurde. Dabei benutzte Jenner zwar den Begriff Virus, der damals aber etwas ganz anderes bedeutete.
"Virus heißt im Lateinischen giftiger Geifer, Sabber, giftiger Schleim, der aus Drachen und gefährlichen Ungeheuern herausfließt, und so verstand er das auch, also der Eiter als eklige, krank machende Masse."
Zufrieden war der Landarzt mit seinen Ergebnissen noch nicht. Penibel legte Jenner Fallstudien an, er machte sich sogar Gedanken über die Qualität des Eiters.
"Er hat gesagt, die Pusteln dürfen nicht zu alt sein, sie dürfen aber auch nicht zu jung sein, sie müssen reif und satt sein, der Eiter muss frisch sein."
Seine Ergebnisse musste Jenner zwar noch auf eigene Kosten veröffentlichen, doch dann ging es Schlag auf Schlag. Die Ära der Vakzination - abgeleitet von vacca, die Kuh - begann. 1807 führte Hessen die erste Zwangsimpfung ein, und Staatsmänner aus aller Welt suchten Jenners Hilfe.
"Zum Beispiel der US-Präsident Jefferson hat auf seine Bitte hin Kuhpockeneiter bekommen und hat dann höchst begeistert nicht nur seine Familie sondern auch alle Freunde und Nachbarn geimpft. Wer auch sehr von der Erkenntnis angetan war, war Napoleon, damals bekanntermaßen nicht sonderlich angetan von den Briten, er hat Jenner zu Ehren eine Medaille schlagen lassen, er hat sich für den Einsatz dieser neuen Methode bei seinen Soldaten eingesetzt und er hat sogar, als Jenner ihn um die Freilassung einiger britischer Internierter persönlich mit einem Schreiben anging, diesen Wünschen Folge geleistet. Also es war erstaunlich, wie dieser kleine Landarzt ein großer Star war."
Aber selbst jetzt war Edward Jenner noch von Zweifeln geplagt: "Ich weiß nicht", schrieb er, "ob ich nicht doch einen furchtbaren Fehler gemacht und etwas Ungeheuerliches geschaffen habe." Seine Zweifel waren unbegründet. Es gibt nur wenige Mediziner, deren Wirken so segensreich war, wie das des bescheidenen Landarztes Edward Jenner.
"Die Pocken waren eine der damals gefürchtetsten Infektionskrankheiten, Pockenzüge waren an der Tagesordnung, und zahllose Menschen fielen dem zum Opfer, vor allem Kinder, ältere Menschen, Menschen, die an sich schon nicht besonders gesund waren. Und die, die es überlebten, hatten häufig schwerste Schäden","
erzählt Ferdinand Moog, Arzt und Altphilologe am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Universität Köln. Wer überlebte, war taub oder blind, hatte angegriffene Organe, auf jeden Fall war sein Gesicht von den Pockennarben furchtbar entstellt.
In dieser Zeit lebte und arbeitete ein bescheidener Landarzt in Gloucestershire, einer kleinen Grafschaft in Süd-West-England. Edward Jenner hieß der damals 46-Jährige, er hatte eine Lehre als Chirurg gemacht und war auf der Suche nach einem vorbeugenden Mittel gegen die Pocken. Viele versuchten sich damals mit der Variolation zu schützen. Sie infizierten sich mit dem Eiter aus menschlichen Pockenpusteln und hofften nach überstandener Krankheit immun zu sein, eine Rosskur, die allerdings nicht viele überstanden.
""Jenner hat dann, weil er ja auf dem Lande tätig war, viel mit Melkern und Melkerinnen zu tun gehabt und hörte dann unisono die Meinung, wer einmal Kuhpocken hatte, der ist dagegen geschützt. Und das hat ihn fasziniert, er hat die Leute befragt, er hat ärztliche Kollegen befragt, ob sie so etwas schon beobachtet hätten, allerdings ist er den Leuten so auf die Nerven gegangen, dass er zum Beispiel aus einem Club ausgeschlossen worden wäre, sollte er noch einmal irgendwelche Fragen über Kuhpocken stellen."
Wer die Kuhpocken überstanden hat, ist gegen die menschliche Variante immun. Also müsse man doch nur, folgerte Jenner, die nicht ganz so gefährlichen Kuhpocken auf den Menschen übertragen. Ein medizinischer Versuch von historischer Tragweite begann. Edward Jenner entnahm der an Kuhpocken erkrankten Melkerin Sara Nemls Eiter. Dann suchte er sich ein
gesundes Kind, James Fips, und hat ihm am 14. Mai 1796
"zweimal mit Eiter aus den Eiterpusteln dieser Sara Nelms gestochen, also infiziert, stellte fest, dass es ihm so nach acht Tagen nicht ganz so gut ging, er hatte Kopfschmerzen und Fieber, er bekam dann auch kleine Bläschen an den entsprechenden Stellen, er hatte eindeutig Kuhpocken. Und dann hat er einige Zeit später versucht, am 1. Juli desselben Jahres, diesen James Fips mit Variola zu infizieren, er hat also die Variolation vorgenommen und stellte fest, keine Reaktion."
Der Junge war gegen die Pocken immun, die erste Impfung mit abgeschwächten Viren geglückt. Was genau geschehen ist, wusste Jenner aber nicht. Mikroorganismen waren unbekannt, er sprach von Matter, von der Masse oder vom Charakter einer Krankheit, die übertragen wurde. Dabei benutzte Jenner zwar den Begriff Virus, der damals aber etwas ganz anderes bedeutete.
"Virus heißt im Lateinischen giftiger Geifer, Sabber, giftiger Schleim, der aus Drachen und gefährlichen Ungeheuern herausfließt, und so verstand er das auch, also der Eiter als eklige, krank machende Masse."
Zufrieden war der Landarzt mit seinen Ergebnissen noch nicht. Penibel legte Jenner Fallstudien an, er machte sich sogar Gedanken über die Qualität des Eiters.
"Er hat gesagt, die Pusteln dürfen nicht zu alt sein, sie dürfen aber auch nicht zu jung sein, sie müssen reif und satt sein, der Eiter muss frisch sein."
Seine Ergebnisse musste Jenner zwar noch auf eigene Kosten veröffentlichen, doch dann ging es Schlag auf Schlag. Die Ära der Vakzination - abgeleitet von vacca, die Kuh - begann. 1807 führte Hessen die erste Zwangsimpfung ein, und Staatsmänner aus aller Welt suchten Jenners Hilfe.
"Zum Beispiel der US-Präsident Jefferson hat auf seine Bitte hin Kuhpockeneiter bekommen und hat dann höchst begeistert nicht nur seine Familie sondern auch alle Freunde und Nachbarn geimpft. Wer auch sehr von der Erkenntnis angetan war, war Napoleon, damals bekanntermaßen nicht sonderlich angetan von den Briten, er hat Jenner zu Ehren eine Medaille schlagen lassen, er hat sich für den Einsatz dieser neuen Methode bei seinen Soldaten eingesetzt und er hat sogar, als Jenner ihn um die Freilassung einiger britischer Internierter persönlich mit einem Schreiben anging, diesen Wünschen Folge geleistet. Also es war erstaunlich, wie dieser kleine Landarzt ein großer Star war."
Aber selbst jetzt war Edward Jenner noch von Zweifeln geplagt: "Ich weiß nicht", schrieb er, "ob ich nicht doch einen furchtbaren Fehler gemacht und etwas Ungeheuerliches geschaffen habe." Seine Zweifel waren unbegründet. Es gibt nur wenige Mediziner, deren Wirken so segensreich war, wie das des bescheidenen Landarztes Edward Jenner.