Von den Romantikern lernen
In seinem zweiteiligen Werk "Romantik – Eine deutsche Affäre" schlägt der Philosoph Rüdiger Safranski einen großen historischen Bogen. Er untersucht den Einfluss der innovativen Bewegung bis zur 68er Bewegung. Nach dem Motto "Es ist eine Lust, ein Ich zu sein" hätten die Romantiker ihre Fähigkeiten entfaltet und immer das Gefühl gehabt, noch etwas vor sich zu haben.
Jürgen König: Seine Bücher unter anderem über Schopenhauer, E.T.A. Hoffmann, Nietzsche, Heidegger, Schiller – diese Bücher wurden in 19 Sprachen übersetzt. Jetzt hat er ein neues Buch geschrieben. Er, das ist Rüdiger Safranski. Sein Buch heißt "Romantik. Eine deutsche Affäre". Guten Morgen, Herr Safranski!
Rüdiger Safranski: Guten Morgen!
König: Dem Kritiker Ulrich Greiner von der "Zeit" erscheinen Sie als von der Romantik ganz elektrisiert. Sind Sie ein romantischer Mensch?
Safranski: Also auf jeden Fall bin ich ein Mensch, der von ihr elektrisierbar ist. Und wenn man sich dieser Epoche erst mal nähert um 1800, was wir die romantische Epoche dann nennen können, da muss man schon sehr hartköpfig sein, um davon nicht in irgendeiner Weise berührt und mitgerissen zu werden.
König: Wie würden Sie das Wort "romantisch" beschreiben?
Safranski: Die Romantiker selber waren ja nicht naiv, sie haben sich immer auch selber zugeschaut und über sich selbst nachgedacht. Und so hat Novalis, der Großmeister der frühen Romantik, hat da selber auch eine Definition gegeben, die einfach sehr schön ist. Er sagt: Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es. Also dem Gemeinen einen hohen Sinn und das Geheimnis, einen Sinn für das Geheimnis wieder zu entwickeln, das sich hinter der Wirklichkeit und in unserem Leben möglicherweise verbirgt, das ist romantisch.
König: Und diese Definition gilt im Grunde genommen noch, wenn ich heute sage, romantisch, das ist für mich zum Beispiel ein Candle-Light-Dinner mit anschließendem Kuscheln, dann nehme ich das Gemeine im Novalis’schen Sinne, also das Essen, und erhöhe es durch die Vorstellung, die ich dann mit dem Essen, aber auch mit dem Kuscheln verbinde?
Safranski: Ja, Sie sagen es ganz richtig, und außerdem muss ich Sie darauf hinweisen, dass Sie neue Beleuchtungsverhältnisse schaffen, wenn Sie also mit Kerzen essen. Und in diesem neuen Beleuchtungsverhältnis sieht alles auch wirklich wieder anders aus. Also Kerzengebrauch ist sozusagen ein handfestes Romantisieren.
König: Ihr Buch besteht eigentlich aus zwei Büchern, "Die Romantik" heißt das erste, es beschreibt das, was man klassisch die deutsche literarische Romantik nennt. Sie beginnen mit Herders "Seereise nach Frankreich" 1769, dann geht es über Schiller, Fichte, Tieck, Novalis, Schleiermacher, Hölderlin, Kleist bis zu Eichendorff und E.T.A. Hoffmann. Das zweite Buch trägt dann den Titel "Das Romantische" und beschreibt die Geisteshaltung des Romantischen, die Sie durch alle deutsche Lande bis zu den 68ern verfolgen – Hegel, Feuerbach, Marx und Nietzsche kommen darin vor, Romantisches bei Richard Wagner, Hofmannsthal, Rilke, Stefan George, Thomas Mann. Sie fragen nach dem Romantischen des Nationalsozialismus, und das letzte Kapitel fragt dann: Wie romantisch war die 68er Bewegung? Ein großer Bogen also. Beginnen wir mit dem ersten Buch "Die Romantik". Sie haben ja über die Literatur dieser Zeit, also sagen wir erstes Drittel 19. Jahrhundert, schon sehr viel geschrieben, woher jetzt das Bedürfnis, eine Gesamtdarstellung dieser Zeit zu versuchen?
Safranski: Ich wollte zum einen zu den Wurzeln meiner Obsession auch zurückkehren. Sie sagen es, ich habe mit dem Buch über E.T.A. Hoffmann, diesem großen Romantiker, begonnen, und ich wollte schon noch mal ein Gesamtbild und die Biografie dieser Epoche gewissermaßen nach vorne bringen und mir dadurch auch eine Basis noch mal schaffen, um eben diesen zweiten Teil auch des Buches schreiben zu können, eine Beobachtung des Fortwirkens der romantischen Motive und der Lebenshaltung und Lebenseinstellung.
König: Welches waren diese romantischen Motive damals, also nach dem Zeitalter der Vernunft, der Aufklärung, wie kam es zu diesem allmählichen Wechsel hin zum Romantischen?
Safranski: Na ja, jetzt in der Kürze muss man es kurz und entschieden beantworten. Und die kurze Antwort ist, Romantik entsteht in diesem Moment, wo – angeregt auch durch die französische Revolution – ein neuer Individualismus Platz greift. Es ist eine Lust, ein Ich zu sein. So könnten die Romantiker gesagt haben. Und man entdeckt eine Schatzgrube in den eigenen Fähigkeiten der Phantasie, der Imagination, der Einbildungskraft, der Spekulation. Und es ist eine Lust, mit allem zu experimentieren und auszuprobieren.
Übrigens nicht nur in der Literatur, sondern die erste Generation der Romantiker waren auch ganz lebensreformerisch eingestellt. Das Leben sollte sich verändern. Sie gründen Wohngemeinschaften in Jena, die Frauen sollen emanzipiert werden und melden sich auch zu Wort, die großen Frauenfiguren – Caroline Schlegel und nachher Rahel Varnhagen und Henriette Herz mit ihren Salons. Das ist also auch ein Stück romantischer Lebensreform. Die Romantiker wollten das Prinzip Revolution in die Literatur verpflanzen, in die Philosophie, in die Lebensformen, wie ich eben sagte. Und das ist das Aufbruchhafte und Beschwingte der ersten Generation.
König: "Eine deutsche Affäre" haben Sie Ihr Buch untertitelt, inwiefern? Ist romantisch typisch deutsch? Man hat Ihnen ja, um das gleich auch noch zu sagen, Kritiker haben Ihnen vorgeworfen, Lothar Müller in der "SZ" zum Beispiel, diese Konzentration, da ginge auch viel verloren, ein Blick auf die englische Romantik hätte gut getan.
Safranski: Na ja, also es ist klar, die europäische Romantik gibt es. Es gibt Bewegungen in England, in Frankreich – in Frankreich muss man immer an Rousseau, der da viel vorgearbeitet hat, in England, da muss man an die englischen Gärten erinnern, die dann den neuen Lebensstil, die neuen Naturgefühle in England usw., Lord Byron kommt nachher. Also das ist natürlich ganz klar. Aber ich wollte die deutsche Romantik. Und es ist nun so, beschreiben Sie die deutsche Romantik, dann haben Sie alles im Sack, auch die anderen. Es kommt dann qualitativ nichts Neues dazu, und damals wussten es auch die Leute, romantisch war damals in Europa, heißt gewissermaßen deutsch und sich anlehnen an ein Modell, das in Deutschland entwickelt worden ist. Und deswegen sage ich, schreibe ich über die deutsche Romantik, habe ich die ganze Romantik drin. So fiel mir diese Entscheidung auch leicht. Und es ist ja auch immer so, wenn man ein Buch von 400 Seiten schreibt, muss man unendlich viel weglassen. Und die Kunst besteht darin, seine Spur zu verfolgen. Und deswegen sind natürlich Kritiken, die einfach sagen, das und das fehlt noch, die sind mit die phantasielosesten Kritiken, mit denen man nun gar nichts anfangen kann.
König: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Philosophen Rüdiger Safranski, dessen neues Buch "Romantik. Eine deutsche Affäre" soeben erschienen ist. Lassen Sie uns zum zweiten Teil des Buches kommen, überschrieben "Das Romantische". Ein ideengeschichtlicher Abriss von Hegel über Wagner und Nietzsche über die Romantik als geistige Vorgeschichte des Nazi-Unheils bis hin zu den 68ern, über die Sie schreiben: "Die 68er lasen Karl Marx und redeten unablässig über Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse, aber eigentlich standen sie dem Taugenichts näher." Gemeint ist der fröhlich Geige spielende Wanderer aus der Novelle von Eichendorff. Wäre das Ihr Fazit über diese Generation, eine verantwortungslose Spielschar der Ich-Verliebten und Tagträumer?
Safranski: Na ja, doch, doch, ich war ja auch dabei. Ich kann das ja auch aus der Innenperspektive sehen, da ist schon was dran. Man muss ja dann sagen, wenn man jetzt einen weiteren Begriff des Romantischen verwendet, den ich dann im zweiten Teil auch verwende, ist es ja eine lustvolle Überschreitung des Realitätsprinzips und eine Bereicherung durch alles Mögliche, vor allem aber auch eine, na ja, das Dionysische. Deswegen habe ich ein Kapitel auch über Wagner und Nietzsche, also die 68er, das Dionysische, diese mit den erotischen Untertönen, das war ja nun wirklich sehr, sehr stark. Man muss nur an die Musik denken. Man versteht ja die 68er Zeit nicht, wenn man nicht diesen Musikteppich hört.
König: Deswegen spielen wir nachher auch die "Kinks".
Safranski: Ja, ja. Und die werden uns nachher auch einiges vielleicht einspielen, weiß ja nicht. Also die "Doors" und die "Pink Floyd". Schauen Sie, was haben wir damals gesagt? Es ging auch darum, wenn es nicht ganz hart politisch zuging, da ging es um Bewusstseinserweiterung, auch mit allen möglichen Hilfsmitteln, denen übrigens auch die historischen Romantiker zugewandt waren. In Novalis-Gedichten tauchte der Mohn auf, taucht das Rauschmittel auf. Also von dieser Seite her gesehen ist das eine Jugendbewegung gewesen, die mit starkem romantischen Schub gearbeitet hat.
König: Lassen Sie uns den Bogen noch bis in unsere Gegenwart zu Ende führen. Sie schreiben auch, was die Romantiker von der Postmoderne unterscheide, sei, dass die Romantiker meinten, noch etwas vor sich zu haben, während die Postmodernen schon glauben, alles hinter sich zu haben. Das steht, sagen wir ruhig, so sehr nebenbei in Ihrem Buch, wird nicht weiter ausgeführt, aber ich habe mir gedacht, das könnte schon ein zentraler Gedanke des Buches sein, der Postmoderne vorzuführen, wie es ist zu leben mit dem Gefühl, noch etwas vor sich zu haben. Ist das ein zentraler Gedanke?
Safranski: Ja, das ist es, ja, und das haben Sie gut rausgespürt, natürlich, dieses Lebensgefühl. Man muss auch schon sagen, darum kann man die Romantiker beneiden, weil man es ja nicht so sehr ganz in der Hand hat. Die historische Situation ist so, ist so. Wir haben es nicht vollkommen in der Hand, uns eine Situation zu schaffen, in der wir sehr, sehr viel Frohgemutes vor uns haben. Es kommt auch darauf an, von der Romantik insofern zu lernen. Die Romantiker waren mit ihrem Gefühl, etwas vor sich zu haben und ins Offene hinauszukommen, waren sie auch große Virtuosen und Künstler der Autosuggestion. Die haben sich auch unglaublich viel eingeredet und konnten diese Technik, sich selbst hochzustimmen und in Stimmung zu versetzen, die konnten sie auch benützen.
Und an diesem Punkt können wir dann auch von den Romantikern lernen. Um in einen besseren Zustand hineinzukommen, da können wir einiges doch auch selber machen. Diese Art bis hin zur Selbstberauschung, diese Art, die die Romantiker gepflegt haben, sich selber sozusagen, wie sie auch sagen, sich selber zu vivifizieren, das ist der Ausdruck bei Novalis, also sich selber zu beleben und nicht schon halbtot zu sein, ehe man ganz tot ist.
König: "Und die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort." Mit diesem Eichendorff-Zitat beginnt Rüdiger Safranski sein Buch "Romantik. Eine deutsche Affäre". Es ist im Hanser Verlag erschienen, hat 415 Seiten, kostet 24,90 Euro. Herr Safranski, vielen Dank!
Rüdiger Safranski: Guten Morgen!
König: Dem Kritiker Ulrich Greiner von der "Zeit" erscheinen Sie als von der Romantik ganz elektrisiert. Sind Sie ein romantischer Mensch?
Safranski: Also auf jeden Fall bin ich ein Mensch, der von ihr elektrisierbar ist. Und wenn man sich dieser Epoche erst mal nähert um 1800, was wir die romantische Epoche dann nennen können, da muss man schon sehr hartköpfig sein, um davon nicht in irgendeiner Weise berührt und mitgerissen zu werden.
König: Wie würden Sie das Wort "romantisch" beschreiben?
Safranski: Die Romantiker selber waren ja nicht naiv, sie haben sich immer auch selber zugeschaut und über sich selbst nachgedacht. Und so hat Novalis, der Großmeister der frühen Romantik, hat da selber auch eine Definition gegeben, die einfach sehr schön ist. Er sagt: Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es. Also dem Gemeinen einen hohen Sinn und das Geheimnis, einen Sinn für das Geheimnis wieder zu entwickeln, das sich hinter der Wirklichkeit und in unserem Leben möglicherweise verbirgt, das ist romantisch.
König: Und diese Definition gilt im Grunde genommen noch, wenn ich heute sage, romantisch, das ist für mich zum Beispiel ein Candle-Light-Dinner mit anschließendem Kuscheln, dann nehme ich das Gemeine im Novalis’schen Sinne, also das Essen, und erhöhe es durch die Vorstellung, die ich dann mit dem Essen, aber auch mit dem Kuscheln verbinde?
Safranski: Ja, Sie sagen es ganz richtig, und außerdem muss ich Sie darauf hinweisen, dass Sie neue Beleuchtungsverhältnisse schaffen, wenn Sie also mit Kerzen essen. Und in diesem neuen Beleuchtungsverhältnis sieht alles auch wirklich wieder anders aus. Also Kerzengebrauch ist sozusagen ein handfestes Romantisieren.
König: Ihr Buch besteht eigentlich aus zwei Büchern, "Die Romantik" heißt das erste, es beschreibt das, was man klassisch die deutsche literarische Romantik nennt. Sie beginnen mit Herders "Seereise nach Frankreich" 1769, dann geht es über Schiller, Fichte, Tieck, Novalis, Schleiermacher, Hölderlin, Kleist bis zu Eichendorff und E.T.A. Hoffmann. Das zweite Buch trägt dann den Titel "Das Romantische" und beschreibt die Geisteshaltung des Romantischen, die Sie durch alle deutsche Lande bis zu den 68ern verfolgen – Hegel, Feuerbach, Marx und Nietzsche kommen darin vor, Romantisches bei Richard Wagner, Hofmannsthal, Rilke, Stefan George, Thomas Mann. Sie fragen nach dem Romantischen des Nationalsozialismus, und das letzte Kapitel fragt dann: Wie romantisch war die 68er Bewegung? Ein großer Bogen also. Beginnen wir mit dem ersten Buch "Die Romantik". Sie haben ja über die Literatur dieser Zeit, also sagen wir erstes Drittel 19. Jahrhundert, schon sehr viel geschrieben, woher jetzt das Bedürfnis, eine Gesamtdarstellung dieser Zeit zu versuchen?
Safranski: Ich wollte zum einen zu den Wurzeln meiner Obsession auch zurückkehren. Sie sagen es, ich habe mit dem Buch über E.T.A. Hoffmann, diesem großen Romantiker, begonnen, und ich wollte schon noch mal ein Gesamtbild und die Biografie dieser Epoche gewissermaßen nach vorne bringen und mir dadurch auch eine Basis noch mal schaffen, um eben diesen zweiten Teil auch des Buches schreiben zu können, eine Beobachtung des Fortwirkens der romantischen Motive und der Lebenshaltung und Lebenseinstellung.
König: Welches waren diese romantischen Motive damals, also nach dem Zeitalter der Vernunft, der Aufklärung, wie kam es zu diesem allmählichen Wechsel hin zum Romantischen?
Safranski: Na ja, jetzt in der Kürze muss man es kurz und entschieden beantworten. Und die kurze Antwort ist, Romantik entsteht in diesem Moment, wo – angeregt auch durch die französische Revolution – ein neuer Individualismus Platz greift. Es ist eine Lust, ein Ich zu sein. So könnten die Romantiker gesagt haben. Und man entdeckt eine Schatzgrube in den eigenen Fähigkeiten der Phantasie, der Imagination, der Einbildungskraft, der Spekulation. Und es ist eine Lust, mit allem zu experimentieren und auszuprobieren.
Übrigens nicht nur in der Literatur, sondern die erste Generation der Romantiker waren auch ganz lebensreformerisch eingestellt. Das Leben sollte sich verändern. Sie gründen Wohngemeinschaften in Jena, die Frauen sollen emanzipiert werden und melden sich auch zu Wort, die großen Frauenfiguren – Caroline Schlegel und nachher Rahel Varnhagen und Henriette Herz mit ihren Salons. Das ist also auch ein Stück romantischer Lebensreform. Die Romantiker wollten das Prinzip Revolution in die Literatur verpflanzen, in die Philosophie, in die Lebensformen, wie ich eben sagte. Und das ist das Aufbruchhafte und Beschwingte der ersten Generation.
König: "Eine deutsche Affäre" haben Sie Ihr Buch untertitelt, inwiefern? Ist romantisch typisch deutsch? Man hat Ihnen ja, um das gleich auch noch zu sagen, Kritiker haben Ihnen vorgeworfen, Lothar Müller in der "SZ" zum Beispiel, diese Konzentration, da ginge auch viel verloren, ein Blick auf die englische Romantik hätte gut getan.
Safranski: Na ja, also es ist klar, die europäische Romantik gibt es. Es gibt Bewegungen in England, in Frankreich – in Frankreich muss man immer an Rousseau, der da viel vorgearbeitet hat, in England, da muss man an die englischen Gärten erinnern, die dann den neuen Lebensstil, die neuen Naturgefühle in England usw., Lord Byron kommt nachher. Also das ist natürlich ganz klar. Aber ich wollte die deutsche Romantik. Und es ist nun so, beschreiben Sie die deutsche Romantik, dann haben Sie alles im Sack, auch die anderen. Es kommt dann qualitativ nichts Neues dazu, und damals wussten es auch die Leute, romantisch war damals in Europa, heißt gewissermaßen deutsch und sich anlehnen an ein Modell, das in Deutschland entwickelt worden ist. Und deswegen sage ich, schreibe ich über die deutsche Romantik, habe ich die ganze Romantik drin. So fiel mir diese Entscheidung auch leicht. Und es ist ja auch immer so, wenn man ein Buch von 400 Seiten schreibt, muss man unendlich viel weglassen. Und die Kunst besteht darin, seine Spur zu verfolgen. Und deswegen sind natürlich Kritiken, die einfach sagen, das und das fehlt noch, die sind mit die phantasielosesten Kritiken, mit denen man nun gar nichts anfangen kann.
König: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Philosophen Rüdiger Safranski, dessen neues Buch "Romantik. Eine deutsche Affäre" soeben erschienen ist. Lassen Sie uns zum zweiten Teil des Buches kommen, überschrieben "Das Romantische". Ein ideengeschichtlicher Abriss von Hegel über Wagner und Nietzsche über die Romantik als geistige Vorgeschichte des Nazi-Unheils bis hin zu den 68ern, über die Sie schreiben: "Die 68er lasen Karl Marx und redeten unablässig über Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse, aber eigentlich standen sie dem Taugenichts näher." Gemeint ist der fröhlich Geige spielende Wanderer aus der Novelle von Eichendorff. Wäre das Ihr Fazit über diese Generation, eine verantwortungslose Spielschar der Ich-Verliebten und Tagträumer?
Safranski: Na ja, doch, doch, ich war ja auch dabei. Ich kann das ja auch aus der Innenperspektive sehen, da ist schon was dran. Man muss ja dann sagen, wenn man jetzt einen weiteren Begriff des Romantischen verwendet, den ich dann im zweiten Teil auch verwende, ist es ja eine lustvolle Überschreitung des Realitätsprinzips und eine Bereicherung durch alles Mögliche, vor allem aber auch eine, na ja, das Dionysische. Deswegen habe ich ein Kapitel auch über Wagner und Nietzsche, also die 68er, das Dionysische, diese mit den erotischen Untertönen, das war ja nun wirklich sehr, sehr stark. Man muss nur an die Musik denken. Man versteht ja die 68er Zeit nicht, wenn man nicht diesen Musikteppich hört.
König: Deswegen spielen wir nachher auch die "Kinks".
Safranski: Ja, ja. Und die werden uns nachher auch einiges vielleicht einspielen, weiß ja nicht. Also die "Doors" und die "Pink Floyd". Schauen Sie, was haben wir damals gesagt? Es ging auch darum, wenn es nicht ganz hart politisch zuging, da ging es um Bewusstseinserweiterung, auch mit allen möglichen Hilfsmitteln, denen übrigens auch die historischen Romantiker zugewandt waren. In Novalis-Gedichten tauchte der Mohn auf, taucht das Rauschmittel auf. Also von dieser Seite her gesehen ist das eine Jugendbewegung gewesen, die mit starkem romantischen Schub gearbeitet hat.
König: Lassen Sie uns den Bogen noch bis in unsere Gegenwart zu Ende führen. Sie schreiben auch, was die Romantiker von der Postmoderne unterscheide, sei, dass die Romantiker meinten, noch etwas vor sich zu haben, während die Postmodernen schon glauben, alles hinter sich zu haben. Das steht, sagen wir ruhig, so sehr nebenbei in Ihrem Buch, wird nicht weiter ausgeführt, aber ich habe mir gedacht, das könnte schon ein zentraler Gedanke des Buches sein, der Postmoderne vorzuführen, wie es ist zu leben mit dem Gefühl, noch etwas vor sich zu haben. Ist das ein zentraler Gedanke?
Safranski: Ja, das ist es, ja, und das haben Sie gut rausgespürt, natürlich, dieses Lebensgefühl. Man muss auch schon sagen, darum kann man die Romantiker beneiden, weil man es ja nicht so sehr ganz in der Hand hat. Die historische Situation ist so, ist so. Wir haben es nicht vollkommen in der Hand, uns eine Situation zu schaffen, in der wir sehr, sehr viel Frohgemutes vor uns haben. Es kommt auch darauf an, von der Romantik insofern zu lernen. Die Romantiker waren mit ihrem Gefühl, etwas vor sich zu haben und ins Offene hinauszukommen, waren sie auch große Virtuosen und Künstler der Autosuggestion. Die haben sich auch unglaublich viel eingeredet und konnten diese Technik, sich selbst hochzustimmen und in Stimmung zu versetzen, die konnten sie auch benützen.
Und an diesem Punkt können wir dann auch von den Romantikern lernen. Um in einen besseren Zustand hineinzukommen, da können wir einiges doch auch selber machen. Diese Art bis hin zur Selbstberauschung, diese Art, die die Romantiker gepflegt haben, sich selber sozusagen, wie sie auch sagen, sich selber zu vivifizieren, das ist der Ausdruck bei Novalis, also sich selber zu beleben und nicht schon halbtot zu sein, ehe man ganz tot ist.
König: "Und die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort." Mit diesem Eichendorff-Zitat beginnt Rüdiger Safranski sein Buch "Romantik. Eine deutsche Affäre". Es ist im Hanser Verlag erschienen, hat 415 Seiten, kostet 24,90 Euro. Herr Safranski, vielen Dank!