Wie Jazz zum Sprachrohr gegen Rassismus wurde
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Als die US-Bürgerrechtsbewegung aufkam, wurden auch viele eigentlich unpolitische Jazzmusiker plötzlich politisch. Mit ihren Songs prägten sie die Bewegung mit - und setzten alte musikalische Traditionen fort.
Es gibt ein berühmtes Foto, entstanden am 25. August 1959 abends vor dem Club "Birdland" in New York City. Es zeigt den Trompeter und Jazz-Giganten Miles Davis. Sein weißes Hemd ist blutbespritzt, am Kopf klafft eine Wunde.
Ein Polizist hat auf ihn eingeschlagen. Sein Verbrechen: Er hatte sich vor dem Club mit einer weißen Frau unterhalten, mit ihr eine Zigarette geraucht, wollte sie zum Taxi bringen. Das reichte aus, um die Wut des weißen Polizisten hervorzurufen.
Acht Tage zuvor war Miles Davis‘ Album "Kind of Blue" erschienen.
Widerständige Ideen, widerständige Figuren
Das ist nur eines von vielen Beispielen - die meisten davon sind nicht dokumentiert - wie auch schwarze Künstlerinnen und Künstler unter Polizeigewalt in den USA leiden mussten. Und müssen. Schon damals gab es widerständige Ideen, widerständige Figuren. Die Bürgerrechtsbewegung erstarkte, Musikerinnen und Musiker äußerten sich explizit. So zum Beispiel Max Roach, der 1960 die Platte "We Insist! Freedom Now Suite" aufnahm, auf der Texte von Oscar Brown Jr. vertont sind.
Im Song "Driva Man" singt Abbey Lincoln. Sie war eigentlich als Sängerin für Balladen bekannt, hat sich hier aber ganz anders ausgedrückt.
Die kollektive schwarze Erfahrung erzählen
Dass Jazz zum Sprachrohr des Aufbegehrens wurde, sei auf die damalige historische Situation und musikalische Traditionen zurückzuführen, erklärt der Musikhistoriker Harald Kisiedu.
Die Bürgerrechtsbewegung sei damals in einer Phase gewesen, in der es ihr gelungen sei, "ganz entscheidende politische Fortschritte zu erzielen". So etwa 1954 die Aufhebung der Rassentrennung an öffentlichen Schulen, der Busboykott in Montgomery oder die Sit-ins 1960, an denen mehr als 70.000 Menschen beteiligt waren und die dazu führten, dass die Rassentrennung auch in Restaurants und auf öffentlichen Plätzen aufgehoben wurde.
Zudem hätten auch schon Musikerinnen und Musiker aus früheren Jahrgängen die Idee gehabt, "dass Jazz so etwas ist wie das Erzählen der Geschichte der kollektiven schwarzen Erfahrungen", so Kisiedu. Er denke da etwa an Duke Ellington und an Sidney Bechet. Es habe daher schon eine lange Tradition gegeben, die Geschichte von Sklaverei und Rassismus in den USA musikalisch zu thematisieren.