Von der Hitlerjugend in den Widerstand
Beim Gedenken an die Geschwister Scholl und den Widerstand gegen Hitler steht meist Sophie Scholl im Vordergrund. Erst 70 Jahre nach der ersten Flugblattaktion erscheint nun ein Buch über ihren Bruder Hans - und dessen politisch-moralische Wandlung zum Gegner der Nazis.
Wenn Schulen, Straßen und Plätze nach den "Geschwistern Scholl" benannt sind und die "Weiße Rose" als studentische Widerstandsgruppe gegen Hitler geehrt wird, steht meist Sophie Scholl im Vordergrund der Erinnerung. Erst recht seit dem gleichnamigen Kinofilm mit Julia Jentsch aus dem Jahre 2005. Warum erst jetzt – 70 Jahre nach der ersten Flugblattaktion und 50 Jahre nach dem Bestseller "Die weiße Rose" – ein Buch über Sophies älteren Bruder Hans erscheint, wird beim Lesen der 430 Seiten schnell klar: Hans Scholl ist kein glatter Held, seine Briefe und Tagebücher verschleiern oft mehr als sie offenbaren, politisch und moralisch wandelte er sich viel komplizierter als Sophie.
Vom stolzen HJ-Fahnenträger zum frustrierten Untertan, vom deutschnationalen Lazarettsanitäter im Frankreichfeldzug zu jenem Medizinstudenten, der nachts mit Wandfarbe "Nieder mit Hitler" an Regierungsgebäude pinselt und über 9000 Flugblätter in einzelnen Briefumschlägen verschickt. Diese Wandlung vollzieht sich bei ihm zwischen dem 14. und 24. Lebensjahr – bedingt durch biografische, intellektuelle, religiöse und soziale Ereignisse und Einflüsse.
Er wird mit 16 wegen einer unerlaubten Tramptour durch Schweden angeklagt, sein Vater wegen einer Lappalie inhaftiert. Als Medizinstudent im Russlandfeldzug muss Hans bis zu 20 Amputationen täglich operieren, lernt die Barbarei der Wehrmachtslandser hassen und die russische Kultur schätzen. Er liest die Werke von André Gide, Paul Claudel, Nikolai Berdjajew, Dostojewski und Tolstoi, besucht orthodoxe Gottesdienste. Zurück in München trifft er katholische Intellektuelle und Künstler, findet im herzensfrommen Professor Carl Muth einen väterlichen Freund und Mentor.
Die Stärke dieser Biografie ist, wie akribisch sie den Einfluss seiner Freunde darstellt: Da sind der Halbrusse und inspirierende Visionär Alexander Schmorell, der biedere junge Familienvater Chistoph Probst, der wagemutige Mitstreiter Willi Graf. "Nein, es ist doch wirklich toll – alle sind verliebt in Scholl" flüstern die Mädchen an der Münchner Uni. Der gutaussehende, Pfeife rauchende, etwas elitär distanzierte, aber empathische Dr. Scholl verführt nicht weniger als fünf Freundinnen in wenigen Jahren, hält sie lange hin, liebt sie zeitweilig parallel, instrumentalisiert sie für den gefährlichen Untergrundkampf und – ist ein echter Feigling, wenn es ums Schlussmachen geht.
Der erst 32-jährigen promovierten Historikerin Barbara Ellermeier gelingt es zwar, Hans Scholl aus dem Schatten seiner berühmteren Schwester Sophie heraus zu holen. Über seine Beziehung zu ihr erfährt man aber wenig. Anstrengend auch ein ärgerlich verdrehter Schreibstil der Autorin: Die wichtigsten Informationen kommen immer erst am Ende des Satzes; entscheidende Schicksalswendungen erwähnt sie in beiläufigen Relativsätzen; echte Goldkörner neuer Erkenntnis muss der Leser leider unter Abraumhalden von Banalitäten herausklauben.
Besprochen von Andreas Malessa
Barbara Ellermeier: Hans Scholl. Biografie
Hoffmann & Campe Verlag, Hamburg 2012
430 Seiten, 24,99 Euro
Vom stolzen HJ-Fahnenträger zum frustrierten Untertan, vom deutschnationalen Lazarettsanitäter im Frankreichfeldzug zu jenem Medizinstudenten, der nachts mit Wandfarbe "Nieder mit Hitler" an Regierungsgebäude pinselt und über 9000 Flugblätter in einzelnen Briefumschlägen verschickt. Diese Wandlung vollzieht sich bei ihm zwischen dem 14. und 24. Lebensjahr – bedingt durch biografische, intellektuelle, religiöse und soziale Ereignisse und Einflüsse.
Er wird mit 16 wegen einer unerlaubten Tramptour durch Schweden angeklagt, sein Vater wegen einer Lappalie inhaftiert. Als Medizinstudent im Russlandfeldzug muss Hans bis zu 20 Amputationen täglich operieren, lernt die Barbarei der Wehrmachtslandser hassen und die russische Kultur schätzen. Er liest die Werke von André Gide, Paul Claudel, Nikolai Berdjajew, Dostojewski und Tolstoi, besucht orthodoxe Gottesdienste. Zurück in München trifft er katholische Intellektuelle und Künstler, findet im herzensfrommen Professor Carl Muth einen väterlichen Freund und Mentor.
Die Stärke dieser Biografie ist, wie akribisch sie den Einfluss seiner Freunde darstellt: Da sind der Halbrusse und inspirierende Visionär Alexander Schmorell, der biedere junge Familienvater Chistoph Probst, der wagemutige Mitstreiter Willi Graf. "Nein, es ist doch wirklich toll – alle sind verliebt in Scholl" flüstern die Mädchen an der Münchner Uni. Der gutaussehende, Pfeife rauchende, etwas elitär distanzierte, aber empathische Dr. Scholl verführt nicht weniger als fünf Freundinnen in wenigen Jahren, hält sie lange hin, liebt sie zeitweilig parallel, instrumentalisiert sie für den gefährlichen Untergrundkampf und – ist ein echter Feigling, wenn es ums Schlussmachen geht.
Der erst 32-jährigen promovierten Historikerin Barbara Ellermeier gelingt es zwar, Hans Scholl aus dem Schatten seiner berühmteren Schwester Sophie heraus zu holen. Über seine Beziehung zu ihr erfährt man aber wenig. Anstrengend auch ein ärgerlich verdrehter Schreibstil der Autorin: Die wichtigsten Informationen kommen immer erst am Ende des Satzes; entscheidende Schicksalswendungen erwähnt sie in beiläufigen Relativsätzen; echte Goldkörner neuer Erkenntnis muss der Leser leider unter Abraumhalden von Banalitäten herausklauben.
Besprochen von Andreas Malessa
Barbara Ellermeier: Hans Scholl. Biografie
Hoffmann & Campe Verlag, Hamburg 2012
430 Seiten, 24,99 Euro
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