Von der Natur lernen

Zu Gast: Ingo Rechenberg, Professor für Bionik und Evolutionstechnik an der TU Berlin |
Wie schaffen es Geckos, mühelos an glattesten Flächen haften zu bleiben? Warum bleiben an der Haut von Delphinen keine Algen und Muscheln hängen? Wie sind die Sinnesorgane von Insekten beschaffen, dass sie geringste Mengen von Duftstoffen auf größte Entfernungen erkennen können?
Die Natur steckt voller Geheimnisse und Wunder - und es gibt eine Wissenschaft, die versucht, diese Rätsel aufzudecken und für die Menschen nutzbar zu machen: Die Bionik.

"Die Bionik schlägt eine Brücke von der Natur zur Technik", sagt Prof. Dr. Ingo Rechenberg von an der Technischen Universität Berlin. Der 74-Jährige war 1973 der erste Wissenschaftler weltweit, der einen Lehrstuhl für Bionik und Evolutionstechnik bekommen hat.

"Die Bionik ist wichtig, erstens, weil sie uns so viele Tricks verrät, wie Energie sinnvoller nutzbar ist. Das andere ist folgendes: Wenn ich Ingenieur bin, habe ich zwei Alternativen: Ich kann eine rein technische Lösung bauen oder ich kann mich an der biologischen Lösung orientieren. Und bei der biologischen Lösung ist die Chance größer, dass sie sich eher mit der Umwelt verträgt, als die rein technische. Denn diese Lebewesen haben sich alle aneinander abschleifen müssen."

Durch die Evolution habe die Natur in Jahrmillionen optimale Lösungen entwickelt, man müsse diese nur geduldig beobachten.

"Das beste Beispiel ist Otto Lilienthal. Wie viele vor ihm haben versucht, zu fliegen und haben es nicht geschafft? Sie dachten sich, wenn wir nur Vogelfedern haben, dann klappt das ... Otto Lilienthal hat zehn Jahre nichts anders gemacht, als zu beobachten und hat sich dann mit seinem Bruder Gustav herangewagt - und er hat es geschafft. Man muss versuchen, zu verstehen, nicht einfach nachbauen!"

Mit Lilienthal und seinem berühmten Vorbild Leonardo da Vinci, der schon im 15. Jahrhundert Fluggeräte baute, verbindet Rechenberg die Liebe zur Fliegerei.

"Seit ich 1954 Weltmeister im Modellflug wurde, hat mich die Natur als Vorbild für die Technik nicht losgelassen."

So entwickelte er einen Mini-Helikopter, der nach dem Vorbild einer Libelle fliegt. Und da besonders extreme Naturverhältnisse auch besonders angepasste und interessante Lebewesen hervorbringen, reiste der ehemalige Flugzeugbauer in die Antarktis, um das energiesparende Schwimmen der Pinguine zu enträtseln.

Seit 25 Jahren erforscht er zudem das Leben in der Sahara. Von dort brachte er Sandfische mit, die perfekt an das Leben unter der Sandoberfläche angepasst sind. Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern versucht er, das Geheimnis der extrem glatten und Sand abweisenden Hautoberfläche dieser Echsenart zu entschlüsseln, um daraus möglichst reibungsfreie Materialien zum Beispiel für Kugellager zu entwickeln.

Seine neueste Entdeckung: Eine Rollspinne, die über eine Art Vorderradantrieb verfügt:

"Nach unseren bisherigen Beobachtungen stößt die Spinne sich ab und vollzieht dann mit zusammengefalteten Beinen wie ein Kunstturner eine Reihe schneller Flipflops hintereinander."

Das Rollspinnen-Weibchen in seinem heimischen Terrarium hält gerade Winterschlaf, aber der unermüdliche Forscher hat bereits eine Idee für eine technische Umsetzung:

"Wir hier am Institut wollen diese Spinne nachbauen. Wir haben zum Beispiel an Marsmobile gedacht. Ein Gefährt, das laufen und rollen kann. Auch als eine Art Rad für ein Behindertenfahrzeug könnte diese Fortbewegungstechnik etwas sein. Eine rollende Spinne wäre nicht zuletzt ein schönes Spielzeug."

"Von der Natur lernen - Faszination Bionik"
Ingo Rechenberg ist heute von 9.05 Uhr bis 11 Uhr zu Gast bei Gisela Steinhauer. Hörerinnen und Hörer können sich an der Diskussion beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800 / 2254 2254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.

Informationen im Internet:
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