Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt
Leben und Wirken Helmut Kohls gelten als sattsam bekannt: die Geschichte des schwarzen Riesen aus der Pfalz und späteren Kanzlers der Einheit, der aber unwürdig von der politischen Bühne abtreten sollte. Wer die Biografie des Zeithistorikers Hans-Peter Schwarz liest, lernt Helmut Kohl wirklich kennen.
Jeder, der sich für Politik interessiert, glaubt den Pfälzer, Helmut Kohl, Jahrgang 1930, zu kennen, schließlich war der schwarze Riese jahrzehntelang eine prägende Figur der Bundesrepublik Deutschland als Ministerpräsident, Oppositionsführer, CDU-Vorsitzender, Kanzler der Einheit, Vorkämpfer für ein friedliches Europa, von privaten Schicksalsschlägen gebeutelt und von einer Spendenaffäre unwürdig vom Sockel gestoßen, auf den er gerade als Denkmal gehoben worden war. Wer das Buch von Schwarz gelesen hat, kennt ihn wirklich.
Das Bild, das sich die meisten Bundesbürger von Helmut Kohl gemacht haben, ist zu Recht geprägt von Kontrasten. Friedrich Schiller meinte Wallenstein, als er schrieb:
"Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte."
Das gilt auch für Kohl. Wer war dieser Mann und wie wird man ihm gerecht? Diese Fragen beantwortet Hans-Peter Schwarz. Und seine Antworten, die sich durchaus nicht flott herunter lesen, sind für die nächste Zukunft Basis jeder Beschäftigung mit Kohl und Grundlage für dessen historische Würdigung.
"Es war einmal ein imposantes Talent, aus dem der machtversessene und machtvergessene Kanzler wurde. Wie kam es dazu?"
So fragte der "Spiegel" und findet auch dafür bei Schwarz die Erklärung. Weil er so geblieben ist, wie er immer war. Körperlich mit 1.93 Meter ein Hüne, massiv, respektheischend, als Redner direkt, hart, polemisch, rücksichtslos, der Raufbold aus Ludwigshafen, eine Kraftnatur, reizbar, hämisch, eine rhetorische Dampfwalze.
"Helmut Kohl lässt bereits in frühen Jahren seinen charakteristischen Führungsstil erkennen, den er auch als Bundeskanzler beibehalten wird. Erst entwickelt er im Gedankenaustausch mit Vertrauten Reformkonzepte.
Diese werden dann gegen alle sturen Verteidiger des Status quo und alle lästigen Zweifler durchgesetzt. Ungerührt setzt er notfalls auch jenen breiten Fächer von Zwangsmaßnahmen ein, über die eine Regierung verfügt.
Später, in den neunziger Jahren, kann er nicht mehr als strahlender Siegfried im besten Mannesalter auftreten. Eine kritische Öffentlichkeit sieht in ihm dann viel eher einen gealterten, mürrischen dickfelligen Riesen, der jeden Widerstand unwirsch beiseite räumt." (S. 113 f.)
Der derart gestrickte Helmut Kohl boxt sich durch an die Spitze der rheinland-pfälzischen CDU, wird ein erfolgreicher, reformfreudiger Ministerpräsident, der sich als geselliger Gastgeber einen Namen und aus seinem Anspruch auf eine führende Rolle in Bonn kein Hehl macht. Dort angekommen tut sich der Emporkömmling schwer. Besonders mit den Journalisten.
"Die Redaktionen von SPIEGEL, STERN und ZEIT und diejenigen, die diese bundesweit zum Vorbild nehmen, können und wollen sich mit einem wesensmäßig unintellektuellen Pfälzer nicht anfreunden." (S.192)
Diese kritische Distanz wird Helmut Kohl sein politisches Leben lang begleiten. Andere Gegnerschaften und Abneigungen sind für das politische Schwergewicht kein Hindernis.
Der von Natur aus misstrauische und argwöhnische Politiker geht bei seinem Aufstieg zur Kanzlerschaft durch ein Stahlbad von Rankünen und Intrigen. Er lernt Rivalen in Schach zu halten, er wird mitleidlos, bisweilen sogar böse. Er opfert Freunde und Freundschaften und nimmt gnadenlos seine Gegner ins Visier. Hans-Peter Schwarz führt dafür viele Beispiele an.
Er beschreibt, wie Franz Josef Strauß, Kurt Biedenkopf, Heiner Geißler, Richard von Weizsäcker, Rita Süßmuth aus der Union, Helmut Schmidt von der SPD versuchten haben, sich der Dampfwalze Kohl entgegen zu stellen, ohne sie aufhalten zu können. Die Schilderungen dieser Schlammschlachten machen einem den Hauptakteur nicht unbedingt sympathischer.
Schon eher, wenn es um die Ziele der Kohlschen Politik geht. Da ist zunächst das Thema Europa. Nie wieder sollen Europäer miteinander Krieg führen, das war schon ein Vorsatz des jungen Kohl.
Deshalb kämpfte er für eine Einigung des Kontinents und für gemeinsame europäische Institutionen, stimmte trotz erster Bedenken dem französischen Wunsch nach der Einheitswährung Euro begeistert zu, bekräftigte die dankbaren Beziehungen zu den USA, hielt engen Kontakt zu den mächtigen Männern im Kreml, unterstützte den Entspannungsprozess im Ostblock, erkannte die wirtschaftliche Bedeutung von China. Schwarz bilanziert:
"Er erwies sich auf vielen Feldern seiner Außen- und Europapolitik als Realist voller Feingefühl und Umsicht. Aber er sah nicht, dass sein Projekt Europa bedroht wurde.
Einmal durch das Euro-System selbst, von dessen eingebauten Sprengfallen die ökonomischen Laien auf den europäischen Gipfeln sich keine rechte Vorstellung machen konnten, zum anderen durch die mit unwiderstehlichem Zerstörungspotential ausgestatteten globalen Finanzmärkte." (S.936)
Zu den bleibenden, unumstrittenen Großtaten Helmut Kohls gehört die Wiederherstellung der deutschen Einheit. Eindringlich beschreibt Schwarz, gestützt auf jetzt erst zugängliche Dokumente und Zeitzeugen, welches diplomatische Geschick der Kanzler entfaltete, um die sich widersprechenden Interessen in Washington, Moskau, London und Paris mit dem Wunsch nach Wiedervereinigung zu vereinbaren und zum Erfolg zu führen.
Dass die Wiedervereinigung dann später alles andere als eine Erfolgsgeschichte wird, verschweigt auch Schwarz nicht – auch nicht, welche privaten Schicksalsschläge, vom Freitod seiner Frau bis zur Entfremdung mit den Söhnen, Kohl treffen. Und er macht deutlich, dass die Zukunft Europas vom Ausgang der Euro-Krise abhängt.
Friedrich Schiller zeichnet seinen Wallenstein als tragischen Helden. Im Licht der Gegenwart könnte das Urteil der Historiker über Helmut Kohl, so das Fazit von Hans-Peter Schwarz, ähnlich lauten: Ein Mann, der viel erreicht, aber zu viel gewollt hat. Ein Mann von tragischer Größe.
Hans-Peter Schwarz Helmut Kohl. Eine politische Biographie
Deutsche Verlagsanstalt München DVA Sachbuch 2012
Das Bild, das sich die meisten Bundesbürger von Helmut Kohl gemacht haben, ist zu Recht geprägt von Kontrasten. Friedrich Schiller meinte Wallenstein, als er schrieb:
"Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte."
Das gilt auch für Kohl. Wer war dieser Mann und wie wird man ihm gerecht? Diese Fragen beantwortet Hans-Peter Schwarz. Und seine Antworten, die sich durchaus nicht flott herunter lesen, sind für die nächste Zukunft Basis jeder Beschäftigung mit Kohl und Grundlage für dessen historische Würdigung.
"Es war einmal ein imposantes Talent, aus dem der machtversessene und machtvergessene Kanzler wurde. Wie kam es dazu?"
So fragte der "Spiegel" und findet auch dafür bei Schwarz die Erklärung. Weil er so geblieben ist, wie er immer war. Körperlich mit 1.93 Meter ein Hüne, massiv, respektheischend, als Redner direkt, hart, polemisch, rücksichtslos, der Raufbold aus Ludwigshafen, eine Kraftnatur, reizbar, hämisch, eine rhetorische Dampfwalze.
"Helmut Kohl lässt bereits in frühen Jahren seinen charakteristischen Führungsstil erkennen, den er auch als Bundeskanzler beibehalten wird. Erst entwickelt er im Gedankenaustausch mit Vertrauten Reformkonzepte.
Diese werden dann gegen alle sturen Verteidiger des Status quo und alle lästigen Zweifler durchgesetzt. Ungerührt setzt er notfalls auch jenen breiten Fächer von Zwangsmaßnahmen ein, über die eine Regierung verfügt.
Später, in den neunziger Jahren, kann er nicht mehr als strahlender Siegfried im besten Mannesalter auftreten. Eine kritische Öffentlichkeit sieht in ihm dann viel eher einen gealterten, mürrischen dickfelligen Riesen, der jeden Widerstand unwirsch beiseite räumt." (S. 113 f.)
Der derart gestrickte Helmut Kohl boxt sich durch an die Spitze der rheinland-pfälzischen CDU, wird ein erfolgreicher, reformfreudiger Ministerpräsident, der sich als geselliger Gastgeber einen Namen und aus seinem Anspruch auf eine führende Rolle in Bonn kein Hehl macht. Dort angekommen tut sich der Emporkömmling schwer. Besonders mit den Journalisten.
"Die Redaktionen von SPIEGEL, STERN und ZEIT und diejenigen, die diese bundesweit zum Vorbild nehmen, können und wollen sich mit einem wesensmäßig unintellektuellen Pfälzer nicht anfreunden." (S.192)
Diese kritische Distanz wird Helmut Kohl sein politisches Leben lang begleiten. Andere Gegnerschaften und Abneigungen sind für das politische Schwergewicht kein Hindernis.
Der von Natur aus misstrauische und argwöhnische Politiker geht bei seinem Aufstieg zur Kanzlerschaft durch ein Stahlbad von Rankünen und Intrigen. Er lernt Rivalen in Schach zu halten, er wird mitleidlos, bisweilen sogar böse. Er opfert Freunde und Freundschaften und nimmt gnadenlos seine Gegner ins Visier. Hans-Peter Schwarz führt dafür viele Beispiele an.
Er beschreibt, wie Franz Josef Strauß, Kurt Biedenkopf, Heiner Geißler, Richard von Weizsäcker, Rita Süßmuth aus der Union, Helmut Schmidt von der SPD versuchten haben, sich der Dampfwalze Kohl entgegen zu stellen, ohne sie aufhalten zu können. Die Schilderungen dieser Schlammschlachten machen einem den Hauptakteur nicht unbedingt sympathischer.
Schon eher, wenn es um die Ziele der Kohlschen Politik geht. Da ist zunächst das Thema Europa. Nie wieder sollen Europäer miteinander Krieg führen, das war schon ein Vorsatz des jungen Kohl.
Deshalb kämpfte er für eine Einigung des Kontinents und für gemeinsame europäische Institutionen, stimmte trotz erster Bedenken dem französischen Wunsch nach der Einheitswährung Euro begeistert zu, bekräftigte die dankbaren Beziehungen zu den USA, hielt engen Kontakt zu den mächtigen Männern im Kreml, unterstützte den Entspannungsprozess im Ostblock, erkannte die wirtschaftliche Bedeutung von China. Schwarz bilanziert:
"Er erwies sich auf vielen Feldern seiner Außen- und Europapolitik als Realist voller Feingefühl und Umsicht. Aber er sah nicht, dass sein Projekt Europa bedroht wurde.
Einmal durch das Euro-System selbst, von dessen eingebauten Sprengfallen die ökonomischen Laien auf den europäischen Gipfeln sich keine rechte Vorstellung machen konnten, zum anderen durch die mit unwiderstehlichem Zerstörungspotential ausgestatteten globalen Finanzmärkte." (S.936)
Zu den bleibenden, unumstrittenen Großtaten Helmut Kohls gehört die Wiederherstellung der deutschen Einheit. Eindringlich beschreibt Schwarz, gestützt auf jetzt erst zugängliche Dokumente und Zeitzeugen, welches diplomatische Geschick der Kanzler entfaltete, um die sich widersprechenden Interessen in Washington, Moskau, London und Paris mit dem Wunsch nach Wiedervereinigung zu vereinbaren und zum Erfolg zu führen.
Dass die Wiedervereinigung dann später alles andere als eine Erfolgsgeschichte wird, verschweigt auch Schwarz nicht – auch nicht, welche privaten Schicksalsschläge, vom Freitod seiner Frau bis zur Entfremdung mit den Söhnen, Kohl treffen. Und er macht deutlich, dass die Zukunft Europas vom Ausgang der Euro-Krise abhängt.
Friedrich Schiller zeichnet seinen Wallenstein als tragischen Helden. Im Licht der Gegenwart könnte das Urteil der Historiker über Helmut Kohl, so das Fazit von Hans-Peter Schwarz, ähnlich lauten: Ein Mann, der viel erreicht, aber zu viel gewollt hat. Ein Mann von tragischer Größe.
Hans-Peter Schwarz Helmut Kohl. Eine politische Biographie
Deutsche Verlagsanstalt München DVA Sachbuch 2012