Von der Religion des Trinkens

Von Julia Macher |
Nie langweilig, nie politisch korrekt und nur selten romantisch - so beschreibt Empar Moliner in ihren Romanen den Alltag von Großstadtneurotikern. Die spanische Autorin, die ihre Werke auf Katalanisch und Spanisch schreibt, wird als "junge Stimme" bei der diesjährigen Frankfurter Buchmesse zu Gast sein.
Empar Moliner braucht als Erstes einen Kaffee, extrastark. Dann flitzt sie zum Sofa, schlägt die Beine zum Schneidersitz untereinander, zieht das Ringel-Shirt gerade, strubbelt sich die kurzgeschnittenen braunen Haare zurecht und fixiert ihr Gegenüber. Interviews machen sie nervös, sagt sie. Also bitte, schnell los! Empar Moliner, 40 Jahre alt. Ex-Werbezettelverteilerin, Ex-Schauspielerin, Ex-Radio-Moderatorin, heute Kolumnistin bei der Tageszeitung "El País" und eine der erfolgreichsten Schriftstellerinnen Kataloniens.

"Schreiben ist die absurdeste Arbeit überhaupt. Schreiben, damit die Leute lesen! Das ist eine sehr seltsame Sache. Mich überrascht es, dass die Leute überhaupt noch lesen, überhaupt noch Geschichten erzählt bekommen wollen. Das Normale ist doch nicht zu lesen. Ich glaube, wer liest ist verrückt."

Fernsehen gucken sei doch viel einfacher als lesen, sagt Empar Moliner und grinst. Sie jedenfalls liebt die Glotze. Auf ihrem Wohnzimmerboden stapeln sich Plastikhüllen von Playstationspielen, DVDs - Woody Allen natürlich und ein paar TV-Serien. Popkultur eben. Aus Hochkultur hat sie sich nie etwas gemacht. Mit 17 ging sie von der Schule. Statt irgendwann Abi und Studium nachzuholen, packte Empar ihre Koffer und reiste durch Europa. Vielleicht hat sie sich dadurch einen besonders scharfen Blick für die Wirklichkeit bewahrt. Stundenlang kann sie sich über die Kritik von Feministinnen an angeblich frauenfeindlicher Werbung oder über vor Betroffenheit triefende Gleichberechtigungskampagnen aufregen.

"Political correctness ist einfach ein lohnendes Geschäft. Wer Frauen, Schwule oder Schwarze unterstützt, verkauft mehr Bücher. Schreib einen Artikel à la ‚Heute schäme ich mich ein Mann zu sein, weil eine Frau misshandelt wurde’ und am nächsten Tag werden viele Frauen deine Bücher kaufen."

Zack. Treffer. Das war ein klassischer "Empar Moliner": ein sarkastischer Gedanke, witzig verpackt und dem Gegenüber mit Verve ins Gesicht geschleudert. So wie sie spricht, schreibt sie auch: In ihren Erzählungen lässt Empar Moliner frustrierte Ehefrauen zu ebenso frustrierten Nymphomaninnen werden. Romantisch verklärte Professoren entpuppen sich als unsympathische Lustgreise. Paartherapien oder Liebesurlaube in Tunesien enden garantiert im Fiasko. Der ganz normale Beziehungswahnsinn eben.

"Ich glaube, im Grund bin ich ein sehr romantischer Mensch - das wusste ich bis jetzt gar nicht. Vielleicht interessieren mich deswegen so sehr menschliche Beziehungen, ihr Verfall, das ganze elendige Paarleben. Ja, auch wir Zyniker können romantisch sein."

Dabei lebt sie selbst seit langem in einer glücklichen Beziehung. Ihr Freund ist Musiker, sie liebt seinen melancholischen Gitarrenrock ebenso sehr wie ihn. In ein paar Wochen werden die beiden Eltern. Stolz legt Empar die rechte Hand auf den schwangeren Bauch. Dann reicht es ihr schon wieder mit der Gefühlsduselei. Warum sie ihre Bücher auf katalanisch schreibt? Genervtes Augenrollen. Was für eine doofe Frage! Katalanisch sei die Sprache, in der sie als kleines Kind so hübsche Worte wie Gin Tonic gelernt habe.

"”Ich bin eine große Trinkerin. Ich liebe Cocktails, das hat fast etwas Religiöses. Ich bin gerne in Bars und sehe den Profitrinkern bei der Arbeit zu. Sie zelebrieren das Trinken über Stunden. So etwas bekommt man nur mit jahrelanger Übung hin.""

Zugucken, wie sich die Bewegungen der anderen verlangsamen, wie die Grenze zwischen Wirklichkeit und Tagträumen verwischt. Fremd und gleichzeitig vertraut sein, gemeinsam und doch allein. Empar Moliner bewegt sich gerne in dieser Zwischenzone. Deswegen sagte sie mit 17 Jahren ihren Eltern und ihren fünf Brüdern ade, verließ ihr Heimatdorf in der Nähe von Barcelona und zog in die Großstadt.

"Ich liebe die Stadt. Deswegen spielen meine Geschichten auch an Orten, in denen es Straßen, Autos, Ampeln gibt. Bevor ich von zu Hause fort ging, drohte mein Vater mir, du wirst ja schon sehen: In der Stadt grüßt sich niemand, die Nachbarn kennen sich nicht. Als ich dann hierher kam, merkte ich, dass er Recht hatte. Das ist großartig."

Der große Vorteil von Barcelona sei, dass niemand sie auf der Straße erkenne, sagt Empar. Hier muss sie niemandem Rechenschaft ablegen über sich, muss sich keinem gegenüber verpflichtet fühlen. Und findet genug andere Stadtneurotiker, die ihr Vorlagen für ihre Erzählungen liefern.