Von Diesel auf Landstrom

Dicke Luft im Rostocker Hafen

Das große Kreuzfahrtschiff "Mar" der Aida liegt im Fährhafen von Rostock-Warnemünde.
Die "Aida-Mar" im Rostocker Fährhafen: An manchen Tagen liegen mehrere dieser Riesenschiffe im Hafen. © imago / Felix Abraham
Von Silke Hasselmann |
Liegt ein Kreuzfahrtschiff im Rostocker Hafen, soll es künftig mit Landstrom betrieben werden. Doch die "schwimmenden Hotels" brauchen so viel Elektrizität wie eine 90.000-Einwohner-Stadt und Mehrkosten wollen die Reeder nicht zahlen.
Am 8. April gegen sechs Uhr morgens am Warnemünder Kreuzfahrtterminal. Leichter Regen prasselt nieder, doch einige Schaulustige sind gekommen. Sie sehen, wie die 206 Meter lange "Bouticca" von der Ostsee kommend Mole und Leuchtturm passiert. Langsam schiebt sich das schwimmende Mega-Hotel an die Kaikante von Pier 7 und macht fest. Spätestens jetzt begreifen Einwohner und Urlauber: Die Kreuzfahrtsaison 2018 ist eröffnet; es geht auch in Warnemünde wieder los. Und manchen freut es: "Ich find's schön, dass die Kreuzfahrtschiffe da sind. Aber der Regen ist Scheiße."
Wer wieder wegfahren kann, hat einen Vorteil: Er erlebt nicht, welchen Dreck die Kreuzliner in die Warnemünder Luft jagen, solange sie im Hafen liegen. So, wie die "Bouticca" während der gesamten 17-stündigen Liegezeit ihre Dieselmotoren weiterlaufen ließ, um sich wie auf der Fahrt mit selbsterzeugtem Strom zu versorgen, taten es alle anderen Riesendampfer bei den noch folgenden 200 Anläufen - ob von den 252 Meter langen Aida-Kreuzlinern bis zur 330 Meter langen "Regal Princess".

Schlechte Laune trotz guter Werte

An manchen Tagen lagen zwei oder drei Kreuzfahrtriesen gleichzeitig in Warnemünde. Da gab es richtig dicke Luft - fanden jedenfalls viele Anwohner und beklagten sich über den dauernden Motorenlärm, über Abgase und Ruß. Doch wann immer die zuständigen Behörden die Schadstoff-Messanlage im Hafen überprüfte, stellten sie fest: "Diese Anlage ist extra für diesen Zweck errichtet worden. Insofern können wir mit Gewissheit sagen, dass wir mit der in diesem Zusammenhang mit der Kreuzschifffahrt oder auch mit der sonstigen Schifffahrt in dem Bereich keine Überschreitung von Grenzwerten haben."
"Wir sehen das jetzt, dass viele Kreuzfahrtschiffe umrüsten oder bei Neubauten schon anderen Kraftstoff und Treibstoff einsetzen. Also das Umdenken ist schon da. Für uns ist wichtig, dass wir weiterhin kontrollieren. Man muss sagen, dass die Schifffahrt schon sicherer geworden ist. Jetzt muss sie auch sauberer werden."
Hafenmanager Jens Scharner weiß, dass viele Warnemünder vor allem dann nichts Gutes über die seit Jahren zunehmende Kreuzschifffahrt zu sagen haben, wenn wieder einmal ein Riese drei- bis fünftausend Passagiere an Land gebracht hat und nun am Kreuzfahrtterminal der Wind ungünstig steht. Der Co-Geschäftsführer der Rostock Port GmbH meint: "Wir sind permanent im Kontakt mit den Reedereien, mit dem Hafenamt, mit dem Umweltamt, wo wir das aufnehmen. Es gibt in Warnemünde Messstationen, zum Beispiel für die Emissionen Luft. Also die Lufteinschränkungen. Da sind wir überall deutlich unter den Grenzwerten. Aber es ist eine subjektive Wahrnehmung und da spielt es gar keine Rolle, ob wir unter den Grenzwerten sind. Wenn jemand das so wahrnimmt, müssen wir uns damit beschäftigen. Und das machen wir."

Gemeinsame Absichtserklärung

Rostock, Höhe Düne, 11. September. Auch Jens Scharner ist in die noble Yachtresidenz gekommen und hält eine kurze Rede vor der ersten Garde der Rostocker Hafen- und Schifffahrtszene und vor Spitzenleuten aus der Landes- und Kommunalpolitik. Ein ziemlicher Auftrieb, obwohl doch nur eine Absichtserklärung unterzeichnet werden soll. Doch neben dem Co-Geschäftsführer von Rostock Port, dem Oberbürgermeister der Hansestadt und dem Präsidenten des in Rostock ansässigen Kreuzfahrtunternehmens Aida Cruises setzt auch Ministerpräsidentin Manuela Schwesig ihre Unterschrift darunter. Man wolle dafür wirken, dass Kreuzfahrtschiffe im Hafen von Rostock-Warnemünde möglichst ab 2020 mit Landstrom versorgt werden können.
"Das ist ein Gemeinschaftsprojekt von Aida, vom Land, von der Stadt und dem Hafen, und so verstehen wir das auch. Wir unterstützen das als Land gerne, aber Aida geht auch mit gutem Beispiel voran."
Tatsächlich ging die Initiative von Aida Cruises aus. Noch vor einigen Jahren öffentlichkeitswirksam von Naturschutzbund NABU gerüffelt, weil die angekündigten Abgasreinigungssysteme noch immer nicht eingesetzt wurde, arbeitet AIDA nun an einem grünen Erscheinungsbild. Unternehmenschef Felix Eichhorn setzt verstärkt auf Treibstoffe und Stromerzeugungsmethoden, die die Öffentlichkeit gern mit "schadstoffarm", "sauber", "umweltfreundlich" verbindet. Stichwort: verflüssigtes Erdgas (LNG) und Landstrom.

Steuerzahler muss Stromanlagen zahlen

Je nachdem, was passt, so Felix Eichhorn: "Wir haben heute eine Flotte von zwölf Schiffen, wovon zwei Schiffe während der Hafenliegezeiten mit LNG versorgt werden können. Aber wir haben darüber hinaus zehn Schiffe, wo eine Nachrüstung nach heutigem technologischen Stand nicht möglich ist."
Doch für diese Schiffe der Kussmund-Linie komme Landstrom in Frage, was nichts anderes ist als Strom aus dem Netz statt aus den bordeigenen Dieselaggregaten. Neun dieser Schiffe seien bereits auf Landstrom vorbereitet, so der AIDA-Präsident: "Und das ist die kombinierte Strategie, die wir haben, natürlich auch eine Lösung für diese zehn Schiffe anbieten zu können. Und das ist das, was wir sowohl in Hamburg und Kiel als hier in Warnemünde angehen werden."
Tatsächlich erhielt Hamburg-Altona 2016 als erster europäischer Hafen einen Landstrom-Anschluss für Kreuzfahrtschiffe. Vom Steuerzahler beglichene Anschaffungskosten: rund zehn Millionen Euro. Über die laufenden Betriebskosten schweigen sich Hafenbehörde und Stadt aus. Bekannt ist nur, dass das Landstrom-Aggregat am Hamburger Kreuzterminal bislang rund 20 Mal genutzt wurde, und das von einem einzigen Aida-Schiff. Offenkundig scheuen die meisten Reedereien eine Umrüstung ihrer schwimmenden Hotels, die nicht für unter ein bis zwei Millionen Euro pro Schiff zu haben ist. Dennoch will bzw. soll nun auch Rostock-Warnemünde nachziehen.

Die Hoffnung: Weniger Gestank, mehr Gäste

Zu Gast auf der 4. Rostocker Großmotoren-Konferenz mit 150 Forschern und Entwicklern von Motorenherstellern und Zulieferunternehmen, mit Vertretern von Reedereien, Mineralölwirtschaft und Hafenbetreibern. Der Lehrstuhl für Kolbenmaschinen und Verbrennungsmotoren an der Universität Rostock richtet diese Großmotoren-Konferenz seit sechs Jahren aus, und Prof. Dr. Horst Harndorf hat den Hut auf.
Auch hier dreht sich alles um effizientere Schiffsantriebe, sauberere Brennstoffe und um Alternativen zu durchlaufenden Dieselaggregaten während der Hafenliegezeit. Kein Wunder, sagt findet Horst Harndorf. "Der wesentliche Treiber kommt ja eigentlich aus der Kreuzfahrtindustrie. Man hat gemerkt: Sich oben aufs Oberdeck zu legen und zu bräunen und dabei vielleicht noch einen Cocktail zu trinken – das ist zu wenig. Man hat auch den Anspruch, dass der Gestank von diesen schwerölbetriebenen Motoren und die Partikelemissionen, der saure Regen, der von den Schornsteinen runterkommt, nicht unbedingt für ein positives Urlaubserlebnis zuträglich ist."
Der Spezialist für Verbrennungsmotoren weiß natürlich, warum die Schiffe auch im Hafen ihre Dieselaggregate nicht ausschalten und dass deshalb trotz aller Abgasreinigungssysteme vor allem rußige Kleinstpartikel durch die Schornsteine gehen. "Wenn Sie heute ein Kreuzfahrtschiff an der Kaikante liegen haben - vielleicht haben Sie eine grobe Vorstellung, welche Energiemengen in diesem sogenannten Hotelbetrieb für dieses Schiff notwendig sind. Da reden wir ja nicht von ein paar hundert Kilowatt, sondern das sind wahrscheinlich zwei, drei Megawatt, die das Schiff nach wie vor benötigt, um die Klimatisierung, das Hallenbad, die Sauna, die Küche... Das sind extrem hohe Leistungen, die wie energetisch in Form von elektrischem Strom diesen Schiffen bereitstellen müssen."

So viel Strom wie eine 90.000-Einwohner-Stadt

Auch dieser Strom muss irgendwo erzeugt werden, und das kann ein Kohlekraftwerk ebenso sein wie ein französisches AKW – der Strommix weist das nicht ohne Weiteres aus. So gesehen ist Landstrom in der ökologischen Gesamtschau nicht unbedingt großartig, meint Horst Harndorf. Er ist aber vor allem skeptisch, ob der Landstrom eine wirtschaftlich attraktive Alternative zu dem Strom ist, den die Schiffe an Bord erzeugen. Zum einen, so der Großmotorenspezialist, lassen immer mehr Reedereien ihre Kreuzfahrtschiffe inzwischen mit Motoren fahren, die mit dem relativ billigen Schiffsdiesel, aber mit flüssigem Erdgas klarkommen.
"Jetzt stellen Sie sich vor, es kommt ein Kreuzfahrer an die Kaikante, der zufällig einen LNG-, also Duel-Fuel-Motor an Bord hat. Der wird sich erst einmal die Frage stellen: Ist es billiger, im Hotelbetrieb meinen Gas-Motor zu betreiben? Der ist ja nun doch von den Umweltansprüchen her deutlich angenehmer zu betreiben als ein Dieselmotor mit schlechten Brennstoffen. Dieser LNG-Betrieb wird sich spiegeln müssen an dem, was Herr Scharner mit seinem Rostock Port Ihnen anbietet. Was kostet denn die Kilowattstunde Landstrom, damit du Dein Schiff in dem Hotelbetrieb damit betreiben kannst? Das sind rein betriebswirtschaftliche Überlegungen."
Die technologischen Herausforderungen dürften den Strompreis ebenfalls verteuern. Immerhin muss ein Kreuzfahrtpott immer nur so lange versorgt werden, wie er im Hafen liegt. Das sind selten mehr als zwölf Stunden, doch für diese Zeitspanne muss ein Stromangebot gewährleitest werden, das je nach Schiffsgröße locker für die Versorgung einer Stadt mit 30.000 bis 90.000 Einwohnern reichen würde.

Reedereien fordern Sonderregelungen

Zudem kommt der elektrische Strom aus dem Netz mit 20.000 Volt und 50 Hertz an, die Schiffe aber sind mit ganz unterschiedlichen Spannungs- und Frequenzwerte unterwegs. Also muss der Hafen als Anbieter von Landstrom auch einen Umwandler für alle möglichen Sonderwünsche bereitstellen.
Auf jeden Fall sind für Landstrom Netzentgelte und ein Zuschlag nach dem Gesetz für erneuerbare Energien, die EEG-Umlage, fällig, was bei Bordstrom entfällt. Wer wird für die Differenz zwischen Bord- und Landstrom aufkommen? Die Nutzer wie Aida Cruises werden nicht auf dem gesamten Betrag sitzen bleiben wollen; das zeigt sich bereits in Hamburg. Doch soll die öffentliche Hand einspringen – also die Stadt Rostock, der der Hafen gehört, oder das Land Mecklenburg-Vorpommern?
Schon fordern die Reedereien von der Politik, Landstrom von der EEG-Umlage zu befreien. Doch das ist nach EU-Wettbewerbsrecht nicht so einfach. Eine andere Idee: Hafen und Stadt räumen Schiffen, die Landstrom nutzen, einen Rabatt bei den Hafenliegeentgelten ein. All das wird unter den vier Partnern, die die Rostocker Absichtserklärung unterzeichnet haben, noch konkret ausgekegelt. Fest steht im Moment: Rostock soll bis 2020 ein Landstrom-Aggregat haben, auch wenn das bedeutet, dass bei Mehrfachanläufen nur ein Riesenliner versorgt wird, während die anderen wie gehabt ihre Dieselmaschinen laufen lassen, so Jens Scharner, Co-Geschäftsführer der Rostock Port GmbH.
So gesehen ist das viel zu wenig. Auf der anderen Seite müssen wir immer sehen: Wie viele Schiffe haben Landstrom? Es gibt Aida. Wir haben heute gelernt, dass die Schiffe vorausgerüstet sind und dass sie auch weiter den Weg gehen. Wir sehen es nicht bei allen Reedereien, dass sie diese Möglichkeit haben. Also fangen wir erst mal mit den Reedereien an, die es können."
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