Von einem, der abhängt und das Leben sucht

Von Bernd Sobolla |
"Oh Boy" handelt von einem jungen Mann, der ohne Lebensplan durch Berlin treibt. Der überzeugende Debütfilm von Jan Ole Gerster ist zugleich eine Hommage an die Hauptstadt und kommt mit außergewöhnlichem Soundtrack daher, der an die 30er- und 40er-Jahre erinnert.
"Oh Boy" handelt von einem jungen Mann, gespielt von Tom Schilling, der ohne Lebensplan durch Berlin treibt. Der überzeugende Debütfilm von Jan Ole Gerster ist auch eine Hommage an die Hauptstadt und kommt mit außergewöhnlichem Soundtrack daher, der an die 30er- und 40er-Jahre erinnert.

Filmausschnitt "Oh Boy": "Kaffee zum Mitnehmen, bitte! / To go, ja!? / Mhm. / Da hätten wir dann zwei Sorten, entweder den Cafe Arabica oder den Columbia Morning. / Gut, dann nehme ich den Columbia. / Den Columbia, alles klar, 3,40 Euro bitte. / 3,40 für einen normalen Kaffee? / Das ist der Columbia!"

Niko, gespielt von Tom Schilling, ist Ende 20, passionierter Kaffeetrinker, ansonsten aber recht anspruchslos: Die Beziehung zu seiner Freundin endet ohne ersichtlichen Grund, die Umzugskisten in seiner Wohnung bleiben unausgepackt. Sein Leben plätschert vor sich hin. Eigentlich könnte alles ewig so weitergehen. Doch plötzlich zieht der Bankautomat Papas EC-Karte ein.

Filmausschnitt "Oh Boy": "Ich habe letzte Woche deinen Professor Kollat kennen gelernt. Auf einem Kongress in Zürich. Er hat mir erzählt, dass du vor zwei Jahren das Studium geschmissen hast. Warum konnte er mir leider nicht sagen. Mein Frage an dich, lieber Nico, ist: Was um alles in der Welt hast du zwei Jahre lang getrieben, während ich dir Monat für Monat Geld für dein Studium überwiesen habe? Hä! / Ich habe nachgedacht. / Nachgedacht? Und über was, wenn ich fragen darf? / Über mich, über dich, über alles. / Ich überweise dir 1000 Euro im Monat, damit du über mich nachdenkst?"

Bis auf einen Notgroschen ist Niko pleite. Doch ein Mann ohne Eigenschaften ist er nicht, wie Tom Schilling betont.

Tom Schilling: "Ich habe diese Figur von Anfang an geliebt als jemand, der sich konsequent verweigert und der ein Beobachter ist, ein Chronist. Der aber nicht schreibt, sondern nur schaut und genau hinschaut. Es ging so ein bisschen darum, auch die Leichtigkeit der Figur und der Situation im Auge zu behalten und sie aber trotzdem nicht zu verraten."

Und diese Leichtigkeit vermittelt Tom Schilling grandios: Neugier und Beobachtungsgabe treiben Niko durch Berlin. Konsequenzen folgen daraus nicht. In einem Café trifft er zufällig eine alte Schulfreundin, verabredet sich mit ihr und zieht weiter, ohne irgendwohin zu wollen.

Filmausschnitt "Oh Boy": "Kennst du das, wenn man so das Gefühl hat, dass die Menschen um einen herum irgendwie, irgendwie merkwürdig sind. Aber wenn du ein bisschen länger drüber nachdenkst, dann, wird dir irgendwie klar, dass vielleicht nicht die anderen, sondern dass man selbst das Problem ist."

Ein Lebensgefühl, das der 34-jährige Filmemacher Jan Ole Gerster in wunderbare Schwarz-Weiß-Bilder taucht und selbst erfuhr, als er vor zwölf Jahren nach Berlin kam.

Jan Ole Gerster: "Ich glaube, mir hat das ein bisschen geholfen so eine Distanz zwischen mir und meinem Alltag da rein zu bringen und dem Stoff. Zudem ist Schwarz-weiß immer ein sehr einfaches, aber eben auch effizientes Mittel, um sich ein bisschen vom Hier und Jetzt zu lösen. Und vielleicht dem Ganzen einen universelleren Touch zu geben."

Auf seinem Trip durch Berlin begleitet Niko seinen Kumpel Pascal zu Dreharbeiten, er unterzieht sich einem psychologischen Test, besucht eine Tanzperformance und erlebt den emotionalen Zusammenbruch seines Nachbarn. Diese Szenen wirken fast wie Filme im Film, so dicht erzählen sie eigenständige Geschichten. Wobei Justus von Dohnanyi, Ulrich Noethen, Andreas Schröders und Inga Birkenfeld vor Spielfreude sprühen. Und Michael Gwisdek glänzt als alter Mann, der Niko in einer Bar vom Novemberpogrom 1938, der sogenannten Reichskristallnacht, erzählt.

Filmausschnitt "Oh Boy": "Und ich stand da drüben auf der Straße, und alles war voller zerbrochenem Glas, und es brannte, und die Straße glitzerte, weil das Feuer so hell war. Und ich kann mich noch genau erinnern, dass ich irgendwann anfing zu flennen. Und jetzt rate mal, warum! / Warum? / Weil ich dachte: Bei all den Glasscherben hier kann ich jetzt gar nicht mehr Fahrradfahren."

"Oh Boy" ist nicht nur das Portrait eines sympathisch umherstreunenden Mannes, es ist auch ein Berlin-Film. Eine Komödie, die ein wenig Geschichte vermittelt, viele bekannte Ecken der Stadt in neuem Licht zeigt, die Atmosphäre Berlins durch schräge Individualisten spiegelt, aber ebenso fasziniert durch menschenleere Straßen, aufgenommen in den frühen Morgenstunden. Und nicht zuletzt hat Jan Ole Gerster einen außergewöhnlichen Soundtrack gewählt, der an die Jazz-Musik der 30er- und 40er-Jahre erinnert.

Jan Ole Gerster: "Ich habe mich in erster Linie gefragt, welche Musik für mich persönlich die Stadt erzählt. Oft wird ja Berlin mit elektronischer Musik assoziiert. Das erschien mir aber zu keiner Sekunde irgendwie passend. Und es war auch nie so der Soundtrack zu meinem Film. Ich habe offensichtlich einen sehr nostalgischen Blick auf diese Stadt und finde zu dieser ganze Betriebsamkeit dieser Quirligkeit, die Berlin hat, passte diese Musik wahnsinnig gut."
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