Von Hans von Trotha

"Lässig, heiter, zart und fort." überschreibt die die "Berliner Zeitung" ihren Nachruf auf Wolfgang Herrndorf. Und dort wie in allen Feuilletons zeigt sich, dass Abschiedszeilen sehr, sehr schwierig sind, wenn der Verstorbene dem Autor nahesteht. Außerdem: Die "SZ" hat sich eine ganz besondere Bestseller-Liste vorgenommen.
"Jeder Tod ist traurig. Dieser jedoch wird vielen Menschen das Herz brechen",
schreibt Felicitas von Lovenberg in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG über Wolfgang Herrndorf. In der SÜDDEUTSCHEN bilanziert Jens Bisky:

"Zurück bleiben vier große Bücher, die auf verschiedenen Wegen noch einmal die ganz großen Fragen stellen: nach der Einsamkeit, der Sehnsucht, dem Glück, dem Bösen im Menschen und in der Welt.

"Am Schlagendsten ist vielleicht die Schlagzeile der BERLINER ZEITUNG: "Lässig, heiter, zart und fort."

Der Nachruf ist immer schwieriges Terrain. Je näher einem Autor ein Tod geht, desto schwieriger scheint es zu werden, einen guten Nachruf zu verfassen. In dem geht es in erster Linie um den Toten, in zweiter um den Leser und frühestens in dritter Linie um den Autor des Nachrufs. Was immer hilft, ist, den Toten selbst zu Wort kommen zu lassen. Ein Interview-Zitat von Wolfgang Herrndorf bringen Jan Küveler in der WELT und Gerrit Bartels im TAGESSPIEGEL. Es lautet:

"Ich möchte die Bücher schreiben, die ich selber gerne lese. Im Grunde ist das Unterhaltungsliteratur. Nabokov sagte einmal, gute Literatur erkenne man daran, dass es einem kalt den Rücken runterläuft. Genau, so ist es, so muss es sein."

Bleiben wir bei den Büchern. In der WELT spekuliert Matthias Heine darüber, dass die Schriftsteller bald einen angemessenen Schutzheiligen bekommen könnten, während sie sich bislang mit den Journalisten und den Tauben den Heiligen Franz von Sales teilen müssen. Die Heiligsprechungswürdigkeit von G.K. Chesterton, dem Verfasser der "Pater-Brown"-Romane, wird derzeit geprüft.

"Chesterton", schreibt Heine, "der 1920 vom Anglikanismus zum Katholizismus konvertierte, wäre der erste echte Schriftsteller, der heilig gesprochen wird."

Das regt die Fantasie an:

"Im deutschsprachigen Raum wäre Joseph Roth ein Kandidat", meint Heine, "der hatte sich ja am Ende seines Lebens extrem katholisch gebärdet, aus Habsburg-Nostalgie. Er blieb aber ein ungetaufter Jude. Dennoch", findet Heine, "schon um der interessanten Dispute, der er in der für Heilige reservierten V.I.P.-Lounge des Himmels mit dem Antisemiten Chesterton führen könnte, sollte man eigentlich beide promovieren."

Schriftsteller könnten höheren Beistand bisweilen durchaus gebrauchen. Schließlich werden Bücher immer noch als gefährlich empfunden. Patrick Bahners berichtet in der FAZ, dass in Guantánamo ein Exemplar von Alexander Solschenizyns Archipel GULag konfisziert worden sein soll. Da kommt die Literatur der Wirklichkeit wohl zu nah. Das haben Herrschende noch nie gemocht. Man dachte allerdings, dass sei eher 19. Jahrhundert oder Faschismus. Aber Patrick Bahners klärt uns auf:

"Gemäß einem Urteil des Obersten Gerichtshofs von 1989 haben die Gefängnisdirektoren auch im regulären Strafvollzug weitgehend freie Hand im Verhängen von Lektüreverboten. Sie müssen lediglich einen 'vernünftigen' Zusammenhang mit Sicherheitsbedenken plausibel machen, um den Gefangenen das Recht auf ungehinderten Informationszugang aus dem ersten Verfassungszusatz zu nehmen."

Wir erfahren, dass es in Guantánamo eine Lagerbibliothek mit knapp 30.000 Büchern und DVDs gibt. Bahners dazu:

"Besucher berichten regelmäßig über die wechselnden Lieblingstitel der Gefangenen. Demnach stand 'Harry Potter' lange an der Spitze der Ausleihstatistik. Ein Potter-Fan aus Libyen ließ sich von den Wärtern die Abenteuer des Zauberschülers erzählen, solange sie noch nicht in arabischer Übersetzung vorlagen. Er erkannte in Lord Voldemort George W. Bush wieder, dessen Erinnerungsbuch 'Decision Points' in der Bibliothek ebenfalls vorgehalten wird. ... In der Presse wird gern vermerkt, dass der Koran nicht das beliebteste Buch sei. Derzeit soll 'Fifty Shades of Grey' von E.L. James am häufigsten verlangt werden."

Die SÜDDEUTSCHE dokumentiert einen anderen Index, der bislang eher ein Schattendasein bei der Evaluierung zeitgenössischer Literatur fristete: den Travelodge-Index. Das ist eine Top-20-Liste jener Titel, die am häufigsten in den Zimmern der Hotelkette Travelodge zurückgelassen wurden, 2012 immerhin 22.648 Bände. Platz eins belegte zum dritten Mal in Folge: Fifty Shades of Grey von E.L. James.