Digitale Bildchen für Kafka und Co.
Schiller bekommt die Glocke, Kafka den Käfer. Es scheint ein beliebtes Spiel geworden zu sein, Philosophen oder Schriftstellern kleine digitale Bildchen zuzuordnen – sogenannte Emojis. Menschen und digitale Apparate basteln quasi an neuen Kommunikationsformen, meint Arno Orzessek.
Keine Frage: Sie schwappt hoch, die neue deutsche Emoji-Welle!
Gerade hatte Nils Markwardt, der Redakteur des in Berlin erscheinenden Philosophie Magazin, per Twitter ein paar berühmten Philosophen und Schriftstellern kleine Bildzeichen zugeteilt - da wurden schon Nachahmer aktiv. In der Musik, in der Bildenden Kunst, in der Mode.
So kommt es, dass der Philosoph Martin Heidegger sein taufrisches Emoji - einen Totenkopf, der auf den "Vorlauf zum Tod" anspielen mag - bereits mit Alexander McQueen teilen muss. Das ist der britische Mode-Designer, dessen Markenzeichen mit Totenköpfen bedruckte Tücher waren.
Der Heidegger-McQueen-Totenkopf erscheint außerdem in dem Doppelzeichen-Emoji, das Damien Hirst repräsentieren soll, jenen Künstler, der mit einem Diamantenschädel für Aufsehen gesorgt hat.
Und das bedeutet: Das Entziffern der neuen Kulturheroen-Emojis setzt jede Menge Vorwissen voraus und bleibt komplett kontextabhängig.
Es gibt ihn schon, den heideggerfreien Totenkopf
Erschwerend kommt hinzu, dass es im internationalen Emoji-Kanon, der zur Zeit mehr als eintausend standardisierte Symbole enthält, längst einen Totenkopf gibt - der völlig heideggerfrei für nichts anderes als eben 'Totenkopf' steht und als solcher Teil einer allgemeinverständlichen Weltsprache sein soll.
Immerhin hat der Amerikaner Fred Benenson vor zwei Jahren Hermann Melvilles Roman Mobby Dick vollständig in Bildzeichen übersetzt. Emoji Dick wurde als papierene Druckfassung sogar in die Liberary of Congress aufgenommen.
Allerdings behaupteten Test-Leser, schon der erste Bild-Satz - Telefon, Männerkopf, Segelboot, Wal, ein Ring aus Daumen und Zeigefinger - könne vieles heißen, nur nicht zwingend Nennt mich Ismael.
Obwohl die hiesigen Kultur-Emojis zunächst Solo-Zeichen sind, ist auch ihre Beliebigkeit groß und ihre Mehrdeutigkeit unbeherrschbar.
Wie vielen Chinesen erschließt sich denn wohl, dass Slavoj Zizeks Repräsentation in einem Explosions-Piktogramm Charakter, Denk- und Vortragsweise des wilden Philosophen treffend beschreibt?
Kurz: Die Kultur-Emojis sind eine Liebhaberei von Insidern für Insider.
Und selbst wenn global Bärenhunger auf deutsche Kultur ausbräche, würde es der Laubbaum als Emoji für Annette Droste-Hülshoff, Autorin der Judenbuche, kaum auf die Website "emojitracker" schaffen. Dort wird in Echtzeit aufgelistet, welche Emojis auf Twitter gerade Konjunktur haben.
Teamarbeit zwischen Menschen und digitalen Apparaten
Gleichwohl bestätigt die Emoji-Mode eine Tendenz:
Die Entwicklung neuer Kommunikationsformen ist zur Teamarbeit zwischen Menschen und digitalen Apparaten geworden - auch über die Programmier-Sprachen als basaler Mensch-Maschine-Kommunikation hinaus.
Mit Heidegger ließe sich sagen: Die digitale Technik ist das Gestell, das auch für die Entbergung neuer Symbole und Symbolsprachen sorgt.
Hinzu kommt: Selbst wenn die Kultur-Emojis keinen Welterfolg haben, manipuliert ihre Erfindung das kulturelle Gedächtnis.
Schiller per Glocke zu repräsentieren heißt, ihn mit seinem gängigsten Klischee zu identifizieren. Nicht anders bei Kafka, dessen Emoji ein Käfer ist. So werden Marken-Kerne bestimmt und zementiert. -
Sage übrigens keiner, die Bildzeichen würden nicht ernst genommen.
Anfang des Jahres wurde in den USA Osiris Aristy verhaftet, weil er in einem Facebook-Posting drei Pistolen-Emojis veröffentlicht hatte, die auf ein Polizisten-Bildchen zeigen. Echte Polizisten interpretierten das als eindeutige Anschlagsplanung.
Angesichts dessen müssen Thomas-Bernhard-Fans beim Posten besonders vorsichtig sein: Bernhards Emoji ist nämlich eine Bombe.