Von Jens Brüning

Die Feuilletonisten von "Tagesspiegel" und "Frankfurter Rundschau" stellen nach der Aberkennung des Welterbetitels von Dresden Überlegungen über Sinn und Nutzen dieses Titels an.
"Die Scham kommt hinterher", lesen wir im Berliner TAGESSPIEGEL. Nicola Kuhn resümiert unter dem Titel "Wir Denkmalbeschmutzer" die "Brücken-Blamage von Dresden" und fragt:

"Was schützt der Weltkulturerbe-Titel wirklich?"

In Husum zum Beispiel wurde vor 25 Jahren eine Ampelanlage installiert, die jetzt nicht mehr reparabel ist und durch ein umweltfreundliches Modell ersetzt wird. Husum liegt zwar nicht im Wattenmeer, aber es ist kein weiter Weg von der Geburtsstadt des "Schimmelreiter"-Schöpfers Theodor Storm zum Blanken Hans, der nun im "Unesco Naturdenkmal Wattenmeer" tost. Man könnte also getrost behaupten, Husums Stadtverwaltung habe ihren Tribut an die Auszeichnung bereits als Morgengabe entrichtet. In Dresden aber, lesen wir im Berliner TAGESSPIEGEL, herrscht weiterhin Uneinsichtigkeit. "Bewerben könne man sich schließlich jederzeit", wird die Oberbürgermeisterin der ihres Kulturerbe-Titels verlustig gegangenen Elbestadt zitiert, "dann eben mit einem anderen städtischen Ausschnitt, von der Brücke nur etwas abgerückt."

Ein typischer Fall von Denkste, meint Nicola Kuhn im TAGESSPIEGEL. In einem anderen Fall von drohendem Titelverlust ging es noch einmal gut. Wir lesen:

"Die für Kölns Silhouette bedrohlichen Wolkenkratzer kamen über das Planungsstadium nicht hinaus: weniger weil die Stadtväter interveniert hätten, sondern weil sich die Renditeberechnungen als fehlerhaft erwiesen."

Im übrigen gilt und stimmt bedenklich:

"Der Titel Weltkulturerbe steht auf dem Papier, ziert die Werbeprospekte einer Stadt, den Alltag berührt er kaum."

Das ist auch die Erfahrung von Christian Thomas, der es sich unterhalb des Loreley-Felsens gemütlich gemacht hat, um für die FRANKFURTER RUNDSCHAU eine Betrachtung über das Kulturerbe Mittelrheintal anzustellen. "Ich sag mal", mimt er den SPD-Genossen, "hier kommt auf zehn Bausünder ein Gerechter." Das Tal nämlich, über dem die Loreley ihr blondes Haar ordnet, ist seit Urzeiten Verkehrsweg. Und Verkehrswege sind nichts Romantisches. Und so plant man auch hier: eine Brücke. Von ihr erhofft man sich wirtschaftliche Belebung, wo in den letzten Jahrzehnten 30 Prozent der Bewohner ihr Heil anderswo suchten. Schön, meint Christian Thomas, ist anders. Er schreibt in der FR:

"Die gebaute Umwelt rund um die Loreley ist nicht nur schön, anmutig oder tiefromantisch, sie ist vielerorts abgenutzt, angefangen von dem Loreleylokal selbst."

Und darum werden wir auch mit der Frage konfrontiert:

"Was soll es bedeuten, dass ein durch Zersiedelung weggeputzter Weinberg etwas Natürliches, eine Brücke aber etwas Unnatürliches sein soll?"

Natürlich sind menschliche Emotionen. Das hat jetzt das höchste deutsche Gericht, das Bundesverfassungsgericht festgestellt. Verhandlungsgegenstand war ein Urteil, das dem Herausgeber der Wochenzeitung DIE ZEIT, Michael Naumann, verbot, Ermittlungen des Berliner Generalstaatsanwalts mit dem Wort "durchgeknallt" zu qualifizieren. Dieses Urteil hatte der oberste Strafverfolger so kommentiert, wie es im Berliner TAGESSPIEGEL zitiert wird:

"Auf Straftaten folgen Sanktionen, das weiß jeder, 'vom Buschneger bis zu den Tieren'."

Der Mann hat es also auch ganz gern rustikal, und so ist nicht erstaunlich, dass das Bundesverfassungsgericht in gewohnter Weise die Meinungsfreiheit über den Personenschutz gestellt hat und Naumanns Wortwahl "durchgeknallt" als "von gewisser Schärfe" und "ehrverletzend" einstufte, aber als "Sachanliegen" durchgehen ließ. Der gelernte Richter und Staatsanwalt Heribert Prantl resümiert in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG:

"Die höchsten Richter urteilten deshalb, dass es eine Sonderbehandlung für den Herrn Generalstaatsanwalt nicht geben darf. Das ist gut. Schlecht ist nur, dass für diese simple Weisheit das höchste Gericht bemüht werden musste."