Von Jens Brüning
Wie der Westen roch und was die heutige Karl-Marx-Allee mit dem italienischen Städtchen Siena gemein hat - das lesen wir in den Pressestimmen zum Einheitstag.
"Wie alle, die aus dem Westen kamen, roch er anders", lasen wir am Montag im Wochenmagazin DER SPIEGEL. SPIEGEL-Redakteur Stefan Berg erzählte – passend zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober – von seinem Leben als Westler im Osten und als Ostler im Westen.
Zwanzig Jahre post festum kann man schon mal offen sein. Der so anders roch, war der West-Onkel, der bei Bergs im Osten zu Besuch kam. So wurde aus dem kleinen Stefan ein Westler im Osten - einer nämlich, der sich sehnte:
"Den Fernseher anschalten, das war unsere tägliche Ausreise."
Dann war Stefan Berg groß, und die Mauer war offen. Aus dem jungen Mann war inzwischen ein Journalist geworden. Er bewarb sich und kam nach Hamburg zum Bewerbungsgespräch: "Ich hatte immer gen Westen geblickt", erinnert er sich im SPIEGEL,
"die leider auch. Ich hatte das Gefühl, ihnen beweisen zu müssen, dass ich Dusch- von Telefonzellen unterscheiden kann."
Heute muss man erklären, was früher mal Telefonzellen waren. Nun, Stefan Berg bekam den Job und den nächsten auch. Das war dann schon bei seinem derzeitigen Arbeitgeber, dem SPIEGEL:
"Ich wusste, ich war in der Hochburg westdeutscher Selbstgerechtigkeit gelandet."
Aber immerhin druckt das sein Arbeitgeber. Mit dem Onkel aus dem Westen war das nämlich so:
"Er erzählte, dass er oft Kritisches über Westdeutschland geäußert habe. Wir hätten es aber nicht hören wollen."
Den umgekehrten Weg – also von West nach Ost – wählte der gebürtige Nürnberger Ulf Poschardt. Er schrieb am Freitag in der Tageszeitung DIE WELT über die Wandlung des Berliner Bezirks Mitte in den vergangenen zwanzig Jahren. Es fing für einen, der als "Wichtigtuer" weit bekannt ist, sehr schön an:
"Es war eine aufregende Pionierzeit, in der Innovation und Experiment nur einen Feind kannten: die Langeweile."
Berlins Mitte wimmelte damals vor Wichtigtuern und ihrer Gefolgschaft, und dann kam das neue Jahrtausend und alles wurde anders. Ulf Poschardt notierte in der WELT:
"Aus den modischen Gecken, die bisher nur hier und da im Straßenbild zwischen Ostfolklore und urberlinerischer Tristesse auftauchten, war auf einmal die Mehrheit geworden."
Turnschuhläden schossen, wenn wir dem Autor glauben wollen, wie Pilze aus dem Boden und überwucherten die angesagtesten Galerien, Restaurants und Tanzschuppen. Und das ist das vorläufige Ergebnis dieses Wandlungsprozesses:
"Begann Mitte als Heimat der Bedeutungsproduzenten, ist es heute die Hochburg von Geschmacksproduzenten geworden."
Wir vermuten, dass Ulf Poschardt mitten unter ihnen wohnt, verstehen dann aber nicht, dass es in der Überschrift zu diesem Artikel in der WELT vom Freitag heißt:
"Vor 20 Jahren begann die Besiedelung der Mitte Berlins mit modernen Menschen aus der Provinz. Jetzt ist dort: Provinz."
Passend dazu fand sich in der Sonnabendausgabe der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG ein Artikel vom Deutschland-Korrespondenten Joachim Güntner mit der Überschrift: "In Absonderung vereint." Güntners Analyse der vergangenen zwanzig Jahre endet mit dem Satz:
"Die Reserve gegenüber der Maulfertigkeit des Westdeutschen teilt der Ostdeutsche bekanntlich mit dem Schweizer, der die schnelle Zunge von Personen aus dem großen Kanton ebenfalls nicht leiden kann."
Vor dem Berliner Verlagsgebäude des Axel-Springer-Konzerns wurde in der vergangenen Woche ein "Kunstwerk der Einheit" enthüllt. Steffen Grimberg von der TAGESZEITUNG, kurz TAZ, überquerte zur Berichterstattung die Rudi-Dutschke-Straße, an der beide Zeitungshäuser liegen, und hörte den Laudator des Ereignisses, den Uraltkanzler Helmut Schmidt sagen: "Manches ist nicht gelungen."
Schmidt meinte damit nicht die drei zum Denkmal gewordenen Bronzeköpfe der Herren Bush senior, Gorbatschow und Kohl, sondern den Prozess der Deutschen Einheit.
Auch in der Tageszeitung DIE WELT wurde am Donnerstag selbstverständlich der Enthüllungsakt vor dem eigenen Verlagshaus wahrgenommen. Thomas Vitzthum notierte, was Helmut Schmidt sagte:
"Die deutsche Einheit ist sozial, ökonomisch und psychologisch noch nicht vollendet."
In der neuesten Ausgabe der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG schreiben Schriftsteller verschiedener Herkunft zum Thema "Deutschland und ich". Die meisten erinnern sich an ihre erste Begegnung mit einem Deutschland im Umbruch, also etwa 1989/90.
Der Ungar Péter Esterházy hingegen erzählt eine Geschichte aus der Gegenwart. Er lebt derzeit in Berlin und da er motorisiert ist, benötigt er eine Parkgenehmigung. Dazu muss er aufs Amt, und es beschleicht ihn das Gefühl: "Etwas fehlt immer." Und da hat er ausgesprochen Recht. Er berichtet:
"Nach zehn Minuten waren wir schon auf der Straße."
Dabei hatte er befürchtet, er werde wie einst der Petent in Kafkas Erzählung "Vor dem Gesetz" verderben und verdorren. Péter Esterházy jubelt in der Sonntagsausgabe der FAZ:
"Eine französische Leichtigkeit, italienische Lockerheit, englische Lässigkeit flutet durch die an die kleinen krummen Gassen von Siena gemahnende Karl-Marx-Allee. So also sind die Deutschen, fasste ich zusammen, als wäre ich die Reinkarnation von Hegel und Freddy Quinn zugleich."
Nur mit der Vermutung, dass immer etwas fehle, hatte der ungarische Schriftsteller Recht: "Parkplätze gibt es nicht."
Zwanzig Jahre post festum kann man schon mal offen sein. Der so anders roch, war der West-Onkel, der bei Bergs im Osten zu Besuch kam. So wurde aus dem kleinen Stefan ein Westler im Osten - einer nämlich, der sich sehnte:
"Den Fernseher anschalten, das war unsere tägliche Ausreise."
Dann war Stefan Berg groß, und die Mauer war offen. Aus dem jungen Mann war inzwischen ein Journalist geworden. Er bewarb sich und kam nach Hamburg zum Bewerbungsgespräch: "Ich hatte immer gen Westen geblickt", erinnert er sich im SPIEGEL,
"die leider auch. Ich hatte das Gefühl, ihnen beweisen zu müssen, dass ich Dusch- von Telefonzellen unterscheiden kann."
Heute muss man erklären, was früher mal Telefonzellen waren. Nun, Stefan Berg bekam den Job und den nächsten auch. Das war dann schon bei seinem derzeitigen Arbeitgeber, dem SPIEGEL:
"Ich wusste, ich war in der Hochburg westdeutscher Selbstgerechtigkeit gelandet."
Aber immerhin druckt das sein Arbeitgeber. Mit dem Onkel aus dem Westen war das nämlich so:
"Er erzählte, dass er oft Kritisches über Westdeutschland geäußert habe. Wir hätten es aber nicht hören wollen."
Den umgekehrten Weg – also von West nach Ost – wählte der gebürtige Nürnberger Ulf Poschardt. Er schrieb am Freitag in der Tageszeitung DIE WELT über die Wandlung des Berliner Bezirks Mitte in den vergangenen zwanzig Jahren. Es fing für einen, der als "Wichtigtuer" weit bekannt ist, sehr schön an:
"Es war eine aufregende Pionierzeit, in der Innovation und Experiment nur einen Feind kannten: die Langeweile."
Berlins Mitte wimmelte damals vor Wichtigtuern und ihrer Gefolgschaft, und dann kam das neue Jahrtausend und alles wurde anders. Ulf Poschardt notierte in der WELT:
"Aus den modischen Gecken, die bisher nur hier und da im Straßenbild zwischen Ostfolklore und urberlinerischer Tristesse auftauchten, war auf einmal die Mehrheit geworden."
Turnschuhläden schossen, wenn wir dem Autor glauben wollen, wie Pilze aus dem Boden und überwucherten die angesagtesten Galerien, Restaurants und Tanzschuppen. Und das ist das vorläufige Ergebnis dieses Wandlungsprozesses:
"Begann Mitte als Heimat der Bedeutungsproduzenten, ist es heute die Hochburg von Geschmacksproduzenten geworden."
Wir vermuten, dass Ulf Poschardt mitten unter ihnen wohnt, verstehen dann aber nicht, dass es in der Überschrift zu diesem Artikel in der WELT vom Freitag heißt:
"Vor 20 Jahren begann die Besiedelung der Mitte Berlins mit modernen Menschen aus der Provinz. Jetzt ist dort: Provinz."
Passend dazu fand sich in der Sonnabendausgabe der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG ein Artikel vom Deutschland-Korrespondenten Joachim Güntner mit der Überschrift: "In Absonderung vereint." Güntners Analyse der vergangenen zwanzig Jahre endet mit dem Satz:
"Die Reserve gegenüber der Maulfertigkeit des Westdeutschen teilt der Ostdeutsche bekanntlich mit dem Schweizer, der die schnelle Zunge von Personen aus dem großen Kanton ebenfalls nicht leiden kann."
Vor dem Berliner Verlagsgebäude des Axel-Springer-Konzerns wurde in der vergangenen Woche ein "Kunstwerk der Einheit" enthüllt. Steffen Grimberg von der TAGESZEITUNG, kurz TAZ, überquerte zur Berichterstattung die Rudi-Dutschke-Straße, an der beide Zeitungshäuser liegen, und hörte den Laudator des Ereignisses, den Uraltkanzler Helmut Schmidt sagen: "Manches ist nicht gelungen."
Schmidt meinte damit nicht die drei zum Denkmal gewordenen Bronzeköpfe der Herren Bush senior, Gorbatschow und Kohl, sondern den Prozess der Deutschen Einheit.
Auch in der Tageszeitung DIE WELT wurde am Donnerstag selbstverständlich der Enthüllungsakt vor dem eigenen Verlagshaus wahrgenommen. Thomas Vitzthum notierte, was Helmut Schmidt sagte:
"Die deutsche Einheit ist sozial, ökonomisch und psychologisch noch nicht vollendet."
In der neuesten Ausgabe der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG schreiben Schriftsteller verschiedener Herkunft zum Thema "Deutschland und ich". Die meisten erinnern sich an ihre erste Begegnung mit einem Deutschland im Umbruch, also etwa 1989/90.
Der Ungar Péter Esterházy hingegen erzählt eine Geschichte aus der Gegenwart. Er lebt derzeit in Berlin und da er motorisiert ist, benötigt er eine Parkgenehmigung. Dazu muss er aufs Amt, und es beschleicht ihn das Gefühl: "Etwas fehlt immer." Und da hat er ausgesprochen Recht. Er berichtet:
"Nach zehn Minuten waren wir schon auf der Straße."
Dabei hatte er befürchtet, er werde wie einst der Petent in Kafkas Erzählung "Vor dem Gesetz" verderben und verdorren. Péter Esterházy jubelt in der Sonntagsausgabe der FAZ:
"Eine französische Leichtigkeit, italienische Lockerheit, englische Lässigkeit flutet durch die an die kleinen krummen Gassen von Siena gemahnende Karl-Marx-Allee. So also sind die Deutschen, fasste ich zusammen, als wäre ich die Reinkarnation von Hegel und Freddy Quinn zugleich."
Nur mit der Vermutung, dass immer etwas fehle, hatte der ungarische Schriftsteller Recht: "Parkplätze gibt es nicht."