Von Jens Brüning

Die Feuilletons befassen sich ausführlich mit Peter Steins Wallenstein-Vorführung in Berlin. Außerdem in den Feuilletons: Die Doping-Geständnisse deutscher Radfahrprofis und das Verhältnis des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu einer Doping-verseuchten Sportart. Und der G8-Gipfel in Heiligendamm wirft seinen Schatten voraus.
"Und dann und wann ein Pappehelm", lasen wir am Montag in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Gerhard Stadelmaier war – wie alle Theaterkritiker der Republik nebst umliegenden Ländern – nach Berlin-Neukölln zu Peter Steins Wallenstein-Vorführung gepilgert. Die Blätter waren voll, aber debattenarm. Den meisten Platz verbrauchten alle, um zu beschreiben, dass sie in dieser Aufführung alles gesehen und gehört hatten. Man saß ja – mit vier Pausen – über zehn Stunden auf hartem Gestühl. Christopher Schmidt kam in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG zu dem Resümee, es habe "die Tragödie in Berlin ein Happy End" gehabt, nachdem er zuvor zu starken Metaphern des Weinhandels griff, vom "im Eichenfass gereiften Prädikatsdrama" Schillers schrieb und von der Kunst des Regisseurs, das Stück "auf fünf Teile so zu dekantieren, dass sich in zehn Stunden auch die fragilsten Aromen entfalten, ohne zu schwafeln oder zu schwefeln."

Im Berliner TAGESSPIEGEL schrieb Rüdiger Schaper: "’Wallenstein’ macht Hunger auf Theater." Lobend erwähnt wurde hier der Titelheld Brandauer: "Kein Starauftritt. Man spürt Regie." Und als Fazit lasen wir im TAGESSPIEGEL:

"Was da etwas streng riecht, wie die Äpfel unter Schillers Schreibtisch, ist das Theater selbst, ob alt oder jung, ob texttreu oder Patchwork."

Barbara Villiger Heilig schließlich erinnerte sich in ihrer Besprechung der Aufführung in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG an zuvor verbreitete Interviews der Hauptbeteiligten. Stein-Brandauer hatten gesagt:

"Die Gegenwart böte, auch ohne dass man sie hineininszenierte, mancherlei Bezüge zu dem alten Stück. Der unermessliche Hohlraum, über dem Spekulationen blühen und ihre Früchte tragen, bis er implodiert und Gewinner zu Verlierern macht, verbindet beide Welten."

Die Rezensentin sah das nicht auf der Neuköllner Wallenstein-Bühne. Mehr Zeit zum Nachdenken hatte Jens Jessen, der in der Wochenzeitung DIE ZEIT mit feinem Besteck ans Eingemachte ging:

"Das gehobene Kreuzfahrtpublikum hat hier endlich die Kreuzfahrt bekommen, die es gebucht hat – im Gegensatz zu anderen Anbietern, die von Karibik reden, dann aber im Hafen bleiben und nur Bilder von der Karibik zeigen, noch dazu meist Elendsszenen."

Wir lasen hier auch:

"Dass Schiller eine Rampensau, ein skrupelloses Effektschwein war, ist genügend bekannt.""

Und süffisant vernichtet der ZEIT-Kritiker schon im ersten Absatz Stein Mühen um den puren Text:

"Das Stück hat für den Zitatenschatz der Deutschen eine Rolle gespielt wie sonst nur Homers Ilias für die Antike."

Ein Stück ähnlicher Dramatik wurde in der zurückliegenden Woche im Fernsehen aufgeführt. Hauptpersonen waren reuige Radler und sich ahnungslos gebende Anstaltsvorsteher, wie etwa Intendanten öffentlich-rechtlicher Fernsehstationen. "Ohne Doping funktioniert der Radsport nicht", lasen wir am Mittwoch auf der Medienseite der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Michael Hanfeld hatte am Montagabend ferngesehen und dem Geständnis des Radlers Bert Dietz beigewohnt. Er kam zu dem Ergebnis:

"Die Sender wollten den Radsport eben um jeden Preis, auch um den Preis der eigenen Glaubwürdigkeit; eine angemessene, distanzierte und kritische Berichterstattung zu diesem Sport hat es ein ganzes Jahrzehnt lang nicht gegeben."

In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG entdeckte Enthüllungsspezialist Hans Leyendecker einen "Abgrund von Heuchelei", und im Berliner TAGESSPIEGEL zitierten Markus Ehrenberg und Joachim Huber den Chefredakteur des Zweiten Deutschen Fernsehens, Nikolaus Brender, so:

"Wir waren zu sehr in der Beobachterrolle des aufregenden Radsports.""

Weiter hinten im Artikel las man dann den Grund der ganzen Aufregung:

"Laut ARD-Werbung Sales & Services kostet bei der am 7. Juli startenden Tour ein 30-Sekunden-Spot zwischen 6200 und 17.400 Euro."

Damit kann man eine Menge schöne Dinge machen, sogar aufklärenden Journalismus. Aber daran haperte es ja all die Jahre, wie am Freitag nun wieder Hans Leyendecker in der SZ urteilte:

"Ein bisschen zu kurz bei den Betrachtungen und Entschuldigungen kam die Rolle der journalistischen Begleiter."

Gegeißelt wurde in der SÜDEUTSCHEN ZEITUNG die Haltung des abgedankten ARD-Sporkoordinators Hagen Bossdorf, gelobt der wieder aufgetauchte Kommentator Hajo Seppelt. Und Leyendecker bedauerte:

"Fernsehen wie Sponsoren und Werbung bestimmen selbst bei Olympischen Spielen, wann der Startschuss fällt."

Ein schönes Stichwort für Stefan Kister, der am Freitag in der STUTTGARTER ZEITUNG darauf hinwies:

"Die antiken Olympioniken besserten ihre Leistung mit rohen Stierhoden auf."

Es ist allerdings nicht überliefert, ob der so gespeiste Läufer tatsächlich gewann.

Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus: Vom 6. bis 8. Juni treffen sich die Gipfelregierenden im Ostseebad Heiligendamm. Nicht zum Baden, wie man weiß, denn sonst wäre die Aufregung womöglich noch größer. Am Mittwoch berichtete Jens Bisky in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG von einem "Ausflug zu den Globalisierungsgegnern", und am Donnerstag veröffentlichte Hubert Spiegel in der FAZ Stellungnahmen von DDR-erprobten Künstlern zu den in die Asservatenkammer der Bundesanwaltschaft aufgenommenen Geruchsproben der als G8-Gipfel-Gegner verdächtigten Personen. Zu alledem passt der "Vorschlag zur Güte", den Hans Magnus Enzensberger im gerade ausgelieferten Wochenmagazin DER SPIEGEL macht:

"Ein Blick in den Weltatlas zeigt, dass es in vielen Regionen, wie in der Karibik oder im Stillen Ozean, abgelegene Inseln gibt, kleine Paradiese, die Exklusivität und ein unbeschwertes Beisammensein ermöglichen können."